Multikulti

Multikulti ist ja mittlerweile ein oft zu vernehmender „Kampfbegriff“, vor allem wenn darauf hingewiesen werden soll, dass dieses Konzept angeblich gescheitert sei. Dabei wird Multikulti als Gegensatz verstanden zu unserer christlich-abendländischen Lebensart, mit der diejenigen, die kulturelle Vielfalt als nichts Wünschenswertes ansehen, lieber allein gelassen werden wollen. Wenn man darüber allerdings mal ein bisschen genauer nachdenkt, dann kommt man zu dem Schluss, dass Multikulturalität gar nichts ist, was spezifisch für unsere Zeit ist, sondern dass diese schon immer unser Dasein geprägt hat.

Denn vieles, was uns heute in unserem alltäglichen Leben umgibt, ist nämlich durch kulturellen Austausch, also Multikulturalität, in unsere Breiten gekommen. Das wird heute nur oftmals gar nicht mehr so wahrgenommen. Ein paar Beispiele:

Unsere germanischen Vorfahren (wenn man diese überhaupt vereinheitlichend so bezeichnen kann, denn das waren ja neben den Germanen auch Sachsen, Alemannen, Franken und viele weitere Stämme und Völker, die sich aufgrund der damals geringeren Mobilität durchaus auch allesamt sehr fremd waren) schrieben mit Runen, heute benutzen wir die lateinischen Buchstaben und arabische Ziffern, die irgendwann aus anderen Kulturkreisen importiert wurden – ist ja auch praktischer, wenn möglichst viele Menschen in den verschiedenen Ländern zumindest gleiche Zahlen und Buchstaben benutzen.

Unsere christliche Demokratie, auf die sich gern berufen wird, weil man sie durch Multikulti in Gefahr sieht, basiert auf einem griechischen Staatsverständnis und der jüdischen Religion – beides kam also aus dem östlichen Mittelmeerraum hierher.

Viele unserer Nahrungsmittel kommen aus allen möglichen Teilen der Welt. Damit meine ich nun nicht nur Kiwis oder andere tropische Früchte, sondern auch vieles, was heute bestimmt nicht mehr so assoziiert wird: Kartoffeln, Nudel, Reis haben Hirse, Gerste und andere Getreide weitgehend abgelöst als Beilage oder Grundlage von warmen Mahlzeiten, und auch Kaffee und oder Tee dürfte für die meisten Deutschen ein unverzichtbarer Teil des täglichen Lebens sein.

In der Gastronomie nehmen wir die Vielfalt der internationalen Küche ja auch gern mit: Italienische, griechische und chinesische Restaurants findet man mittlerweile in nahezu jedem Dorf, die sind nichts Außergewöhnliches mehr, und auch an die Küche aus Thailand, Indien, dem ehemaligen Jugoslawien, den USA (Burger-Buden sind ja gerade mächtig im Kommen), Spanien, Portugal, der Türkei und vielen anderen Ländern haben wir uns gern gewöhnt. Das Essen, was als „typisch Deutsch“ gilt, kommt vor allem in regionaler Ausprägung in touristischen Gegenden auf den Tisch, ansonsten dürften Spaghetti mit Tomatensoße in deutschen Haushalten öfter kredenzt werden als Königsberger Klopse.

In der Kultur sieht das nicht viel anders aus: Die meisten populären Filme kommen aus den USA, und die dort ansässige Filmindustrie hat auch generell die Filmkultur vieler anderer Länder geprägt. Das meiste, was wir heute an Musik zu hören bekommen aus den Bereichen Rock, Pop,  Hip-Hop und auch Schlager ist ebenfalls deutlich von britisch-amerikanischer Musik beeinflusst, nur bei der elektronischen Musik kann man tatsächlich mal von einem vorwiegend deutsch geprägten Genre sprechen – dafür hören das dann allerdings auch wieder recht wenige Deutsche als ihre bevorzugte Musikrichtung.

Und letztlich kommen auch Trend in der Mode und Entwicklungen der Technik von überallher – klar, so ist das nun mal in einer globalisierten Welt. Aber diese Art der Multikulturalität wird eben auch von uns allen als selbstverständlich wahrgenommen.

Was wäre also gewesen, wenn sich unsere Vorfahren so vehement gegen Multikulti ausgesprochen hätten, wie das heute bei zunehmend mehr Deutschen der Fall ist? Wenn neue kulturelle Einflüsse nicht als Bereicherung, sondern als stets als Bedrohung der eigenen Lebensart wahrgenommen worden wären? Ich glaube, unser Leben hätte recht wenig mit dem gemeinsam, was heute als deutsche Leitkultur bezeichnet wird, die es unbedingt zu verteidigen gilt.

Vor allem: Die Angst, dass die eigene kulturelle Identität einfach so von etwas anderem überformt und/oder beiseitegeschoben werden könnte, zeugt ja nun auch nicht eben von einem großen Vertrauen und Selbstwertgefühl in Bezug auf ebendiese eigene Kultur.

Kultur lebte schon immer davon, dass sie sich anderen Einflüssen öffnete und sich dann entsprechend weiterentwickelte – in globalisierten Zeiten gilt das umso mehr, als dass kaum noch eine komplett abgeschottete kulturelle Entwicklung irgendwo möglich ist. Multikulti ist also nichts Neues und nicht, vor dem man Angst haben müsste, sondern wird nur von rechten Demagogen benutzt, um irrationale Ängste zu schüren.

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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