Wolfgang Schorlau: Die schützende Hand

Der NSU-Komplex ist eine reichlich verworrene und verwirrende Angelegenheit – und leider nicht so im Fokus der Öffentlichkeit, wie er das eigentlich sein sollte. Wer ein wenig in diese Thematik vordringen möchte, dem sei das Buch Die schützende Hand von Wolfgang Schorlau ans Herz gelegt. In einer Mischung aus Fiktion und Realität bekommt man so einen sehr guten Überblick über die Geschehnisse, die im Tod von den beiden Rechtsterroristen und Mördern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt führten.

Schorlau bedient sich hierfür seines Privatermittlers Georg Dengler, einer Figur, die schon sieben Fälle in Vorgängerromanen bearbeitet hat. Soweit die Fiktion. Es wird dann sehr schnell ausgesprochen real, als Dengler den anonymen (und sehr gut dotierten) Auftrag bekommt, den Mörder von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu ermitteln. Das klingt zunächst mal recht einfach, da es ja die offizielle Version gibt, dass erst Mundlos Böhnhardt und dann sich selbst erschossen hat. Doch als er ein bisschen weiter in die Materie einsteigt, kommen Dengler erheblich Zweifel an dieser Lesart des Geschehens …

Als Leser bekommt man nun nicht nur die Krimihandlung präsentiert, sondern darüber hinaus etliches ans Originalmaterialien aus Pressetexten, Ermittlungsberichten, Untersuchungsprotokollen und Obduktionsberichten – alles sorgfältig mit Quellenangaben versehen. So wachsen gemeinsam mit Dengler die Zweifel daran, dass die beiden Neonazis sich quasi selbst erschossen haben, und je weiter man den ermittelnden Dengler begleitet und Einblick in die Akten bekommt, desto absurder erscheint die Theorie des Doppelsuizids. Da gibt es zum einen rein logische Fehler, dann erstaunliche „Ermittlungspannen“, bei denen Beweismaterialien vernichtet werden, und schließlich bewusste Falschaussagen vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss -bis hin zum Generalbundesanwalt und dem Leiter des Bundeskriminalamtes (BKA), die es mit der Wahrheit nicht so ganz genau nehmen.

Der Autor selbst betont im Nachwort, dass er mit seinem Buch nur eine mögliche Erzählung der Vorfälle liefert, diese aber für wesentlich wahrscheinlicher hält als das, was die offiziellen Stellen der Öffentlichkeit aufgetischt haben, und dem dürfte wohl jeder Leser nach der Lektüre zustimmen. Vor allem drängt sich auch eine Erkenntnis auf: Verschwörungen sind real, und die abwertende Bezeichnung „Verschwörungstheorie“ ist in der Tat ein Kampfbegriff, mit dem verhindert werden soll, dass genau solchen Verschwörungen auf die Schliche gekommen wird. Absurder als das, was als offizielle Version nach wie vor Gültigkeit hat (inklusive einer sogenannten spontanen Deradikalisierung der beiden Neonazis – klingt grotesk, aber dieser Begriff wird tatsächlich so verwendet), dürften nur wenige sogenannte Verschwörungstheorien sein, die sich nicht gerade mit ausgemachtem Mumpitz à la Chemtrails beschäftigen.

Insofern ist Wolfgang Schorlau hier schon ein kleines Kunststück gelungen: Der Leser ist von der spannend erzählten Handlung gefesselt und beschäftigt sich in diesem Zuge mit doch eher etwas trockener Aktenmaterie zu einem der wohl wichtigsten Kriminalfälle in der Geschichte der Bundesrepublik. Gute Laune bekommt man dabei zwar nicht unbedingt, denn wenn auch keine abschließende Lösung präsentiert wird, so erhält man doch einen ausgesprochen unerfreulichen (aber dafür umso wichtigeren Einblick) in die Arbeit von Geheimdiensten und deren Verflechtungen mit Polizei und Justiz.

Und auch gut fünf Jahre nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt ist das Thema ja brandaktuell. Zum einen läuft der Prozess gegen die Mittäterin Beate Zschäpe nach wie vor, zum anderen wurden ja gerade vor einigen Wochen DNA-Spuren von Böhnhardt beim Fundort der Leiche der kleinen Peggy K. gefunden, die vermutlich im Jahr 2001 ermordet wurde. Und auch dort setzt sich das Getrickse sogleich fort vonseiten der ermittelnden Behörden, sodass man den Eindruck bekommt, dass weitere Nachforschungen partout unterbunden werden sollen.

Gut geeignet auch als Weihnachtsgeschenk für kritische Köpfe oder auch für Krimileser, die sich bisher wenig mit der Materie NSU beschäftigt haben. Weitere Infos zum Buch hier bei JPC – aber am besten sollte das natürlich beim Buchhändler um die Ecke gekauft werden. :o)

Print Friendly, PDF & Email

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

3 Gedanken zu „Wolfgang Schorlau: Die schützende Hand“

  1. Nach der Ausstrahlung von „Die schützende Hand“ im ZDF gab es in einigen Medien heftige ablehnende Reaktionen, die sofort Wolfgang Schorlau vorwarfen, Verschwörungstheorien zu verbreiten. Es kann also anscheinend nicht sein, was nicht sein darf …

    In einem Artikel auf den NachDenkSeiten dokumentiert nun Marcus Klöckner diese Reaktionen von der Süddeutschen Zeitung und der BILD sowie Schorlaus Reaktion darauf – aus der bisher leider noch kein konstruktiver Dialog oder eine öffentliche Debatte erwuchs.

    Es scheint hier also nur darum zu gehen, auf Teufel komm raus die offizielle Version der Geschehnisse um den NSU zu verteidigen und jede Kritik daran (sei sie auch noch so fundiert und genau recherchiert) mundtot zu machen. Ein Armutszeugnis für die daran beteiligten Journalisten, wie ich finde.

  2. Im Rahmen der Reihe ZDFzoom lief eine 28-minütige Doku zur Todesliste der NSU. Diese Liste enthielt mehr als 10.000 Personen mit teilweise detaillierten Angaben und Skizzen zu möglichen Tatorten. Auch diese Liste belegt, dass es sich unmöglich um einen Alleingang der drei Beschuldigten gehandelt haben kann. Die Geschichte verläuft im Sand, dabei sollte das öffentliche Interesse umso größer sein, je länger man diesen Prozess in die Länge zieht.

Schreibe einen Kommentar