Polizeigewalt

10.000 bis 12.000 Fälle von Polizeigewalt im Jahr sind keine Bagatelle. Wenn dann nur 2 % davon zur Anklage kommen, so ist das ein Skandal, was auch immer die Gründe dafür sind, dass es so wenige Fälle sind, die letztendlich vor Gericht landen.

Es ist ein Skandal, auch weil diese vielen Fälle von Polizeigewalt kaum eine Reaktion in den Medien und der Politik ausgelöst haben. Report Mainz und die Uni Bochum berichteten zwar darüber, Phoenix auch, aber viel mehr ist nicht geschehen, ich bin jedenfalls nicht auf viel mehr aufmerksam geworden. Es scheint so, wie es bei der Kinderarmut zu sein scheint, wie bei der Obdachlosigkeit und bei anderen Themen: Skandaldemenz beherrscht die Lande. Deshalb wohl fällt auch dieser Skandal der kurzfristigen Aufmerksamkeitsspanne zum Opfer, welche in unserer Gesellschaft vorherrscht, die täglich nach neuen Meldungen zu hungern scheint. Einfach mal stehen zu bleiben, sich zu fragen, was wirklich schiefläuft, scheint nicht mehr opportun zu sein. Man regt sich kurzfristig auf, nimmt es dann hin, geht zur Tagesordnung über. Die Gründe für die Unsäglichkeiten eruiert man nicht mehr, Meinung reicht völlig aus, wie auch immer man die Unsäglichkeit, von welcher Seite man die Unsäglichkeit auch beurteilt. Gewalt gibt es im Überfluss, warum nicht auch bei und durch die Polizei, scheint man zu denken.

Polizisten sind Menschen, auch nur Menschen

Dass das keine Rechtfertigung ist, sein kann, will ich gleich vorausschicken. Nein, im Gegenteil, Polizisten haben sogar eine Vorbildfunktion, und wenn sie nicht mehr deeskalieren können, wenn sie selbst zur Gewalt greifen, auch dann, wenn Gewalt unangebracht ist, wenn sie falsch ist, dann müssen solche Polizisten auch zur Rechenschaft gezogen werden. Allerdings sind Polizisten auch keine höheren Wesen. Sie sind Mensch und Bürger und damit Teil der Gesellschaft. Deshalb spiegelt sich auch in ihren Reihen das, was in der Gesellschaft schiefläuft, sind sie nicht außen vor, wenn die Gesellschaft insgesamt gewaltbereiter geworden ist.

Falsche Politik, weil die Basis, auf der gedacht wird, falsch ist

Polizeigesetze mit immer mehr Kompetenzen für den Beamten, mit immer größeren Eingriffsmöglichkeiten in unsere Bürgerfreiheiten als Reaktion auf die Verwerfungen, welche dem Abbau an Manpower im Polizeidienst eigentlich geschuldet sind, nur um dem Ziel des ausgeglichenen Haushalts näher zu kommen, sind symptomatisch für eine insgesamt skandalöse Denkweise von Gesellschaft und von Zivilisation, genannt Neoliberalismus. Selbst Sebastian Fiedler – auch wenn er selbst die Forscher scharf angreift, was ich hier nicht zu kommentieren gedenke -, der Vorsitzende des Bunds deutscher Kriminalbeamter, schätzt die fehlende Manpower in den Ländern auf etwa 40.000 Männer und Frauen. 40.000 Männer und Frauen, die nun fehlen, die weggespart worden sind von den Länderfinanzministern, von den Länderfürsten und -fürstinnen, die nur noch Sparen im Kopf hatten und haben. Die Schuldenbremse, wie so oft, zeigt auch hier Wirkung, fatale Wirkungen, wie ich meine, und dennoch werden sie nicht müde, von uns dafür Anerkenntnis zu fordern. Von mir haben sie da keine Anerkennung zu erwarten, denn Dummheit – und das ist die Schuldenbremse in meinen Augen – ist es nicht wert, Anerkennung auch noch zu bekommen.

Mehr noch, ein Klima des Misstrauens als Basis des Denkens und Handels, seit Jahrzehnten gegenüber der eigenen Bevölkerung, ist geschaffen worden. Geschürt schon durch Kohl, als er die geistige und moralische Wende einleitete. Noch verschärft von Schröder, der sie fast vollenden konnte, es aber Merkel überlassen musste, diese endgültig zu vollenden. Bertelsmann hatte immer seine schmutzigen Hände darin, die BILD-Zeitung ebenfalls. Dennoch war es eine politische Entscheidung, und die Verantwortung liegt deshalb bei der Politik, bei Roten wie Grünen wie Gelben und Schwarzen.

Eine Ungleichheit im Lande wie nie zuvor ist entstanden, ist für mich hauptursächlich dafür, dass Hass und Neid, Frustration und Depression die Gesellschaft ergriffen haben, auch viele bei den Sicherheitskräften, was ihre Taten allerdings nicht rechtfertigt. Niemand traut niemandem mehr, jeder fühlt sich bedroht. Gesund ist eine solche Gesellschaft nicht. Wen wundert es da, wenn auch die Polizei dann erkrankt? Mich nicht, schaue ich, wie sehr, gerade die in den Ballungsräumen tätigen Polizeikräfte selbst vom Druck der eigenen Lebenswirklichkeit im Privaten bedroht sind, den der Neoliberalismus ausübt, weil er ihn ausüben muss, weil es nur um die Kosten noch geht, die möglichst gering sein müssen, auch damit die Gewinne immer mehr ansteigen können. Auch Polizisten müssen leben und dafür u. a. Mieten bezahlen. Auch Polizisten leiden unter dem Dumping bei Löhnen und Gehältern. Auch das aber darf nicht zur Rechtfertigung von Gewalt durch Menschen, die eigentlich zu unserem Schutze da sein sollten, herangezogen werden. Aber es soll helfen zu erklären.

Der eigentliche Grund für Gewalt, auch durch die Polizei

Eine Veränderung der Kultur und moralischen Vorstellungen, eigentlich eine Restauration gerade der moralischen Vorstellungen des Untertanenstaates, war und ist die Folge des neoliberalen Paradigmenwechsels in den 80ern und 90ern des letzten Jahrhunderts. Dieser Paradigmenwechsel ist nun im neuen Jahrtausend als Ursache zu benennen, auch mitverursachend die Gewalt durch die Polizei. Alte Werte, wie Korpsgeist, fallen auf wieder fruchtbareren Boden, zwangsläufig, bietet doch die Gemeinschaft des Korps den Schutz, den die Gesellschaft dem Individuum immer mehr entzogen hatte. Die Hierarchie sucht immer den Angepassten, gerade den an den Korpsgeist. Querdenken und Querhandeln schaden da nur, vor allem der eigenen Karriere. Das ist überall zu beobachten, auch natürlich dann bei den Sicherheitskräften und den sie kontrollierenden Staatsanwaltschaften, welche noch dazu nicht unabhängig sind, sondern weisungsgebunden arbeiten müssen. Ein dazu notwendiges öffentliches Interesse ist schnell formuliert.

Das Versagen beginnt in den Schulen

Eine der Folgen dieser „nicht gesamtgesellschaftlichen“ Denkweise seit Kohl in der deutschen Gesellschaft und ihrer Politik ist auch eine Personalauswahl, die leider auf politisch meist ungebildete junge Menschen zurückgreifen muss, weil hier die Versäumnisse der Sparpolitik länger schon an unseren Schulen fatal wirken durften und wohl auch noch dürfen. So war ich beispielsweise erschrocken, wie gering das Wissen der Haupt- und Realschüler war, welche ich an einer berufsbildenden Schule in meiner dortigen zweijährigen Tätigkeit vor ein paar Jahren erleben durfte, wenn es um die Grundlagen der Demokratie im Unterricht ging. Uninteressiert, aber angepasst und wenig gebildet und damit immer kritikunfähiger in der Selbstbeobachtung, aber auch wenn es darum ging, die Umwelt zu beobachten und zu beurteilen, so musste ich sie erleben. Unfähiger vor allem, an Kritik zu wachsen, zeigten sie sich mir. Angepasst an eine Gesellschaft, die ähnlich angepasst und unwissend sich mir zeigt, auch weil die Schulen nicht erst seit gestern versagen, versagen müssen angesichts des Sparzwangs und der Unfähigkeit in den Kultusministerien. Natürlich prägt das dann auch die Bürger in Uniform, beeinflusst sie in ihrem Tun. Sie sind nichts anderes als ein Produkt und ein Spiegel der Gesellschaft, einer Gesellschaft, die gern Verantwortung zuweist, aber eigene Verantwortung meist von sich weist. Der Sündenbock ist immer schnell gefunden, auch dann, wenn es den Falschen trifft.

Ursachenforschung: Fehlanzeige

Um dies endlich zu ändern, zu verbessern, muss anders gehandelt werden, an Schulen, in Betrieben, in der Wirtschaft insgesamt, aber vor allem in der Politik. Nur dazu muss man den Gründen auf die Spur kommen, nicht nur den Skandal beklagen. An der Ursachenforschung allerdings scheint es mir derzeit zu mangeln, auch an den Universitäten, gerade an denen, die sich mit Wirtschaft beschäftigen und damit zwingend eigentlich auch mit Gesellschaft beschäftigen sollten, es aber nicht mehr ausreichend tun.

Dogmen, wie „Schulden sind schlecht, Sparen ist gut“, scheinen ein eher religiöses Verständnis wieder hervorgebracht zu haben, welches genau diesen Kurswechsel im Denken und Handeln verhindert, womit hier eine Ursache gefunden ist. Tieferes Geldverständnis – Fehlanzeige in der Breite der Masse und insbesondere bei den Eliten. Die Folge ist seit Langem ein eklatantes Missverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner, den beiden Seiten des Kredites, des Geldes. Immer wieder muss ich die gleiche Diagnose stellen, und weil sich nichts daran zu ändern scheint, wird es wohl noch lange auch dabei bleiben, dass der Sündenbock schnell gefunden ist, von jeder Seite her, die einen sucht, einen braucht zur Rechtfertigung meist der eigenen Meinung.

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Heinz

Jahrgang 1958, am Leben interessiert, auch an dem anderer Menschen, von Rückschlägen geprägt. Nach diversen Tätigkeiten im Außendienst für mehrere Finanzdienstleister und zuletzt als Lehrkraft auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Ökonomie und Gesellschaft, den Kapitalismus in all seinen Formen zu verstehen und seit Jahren zu erklären ist meine Motivation. Denn ich glaube, nur wer versteht, wird auch Mittel finden, die Welt zu einer besseren Welt zu machen. Leid und Elend haben ihre Ursache im Unverständnis.

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