Ist wirklich alles so schlecht?

Vor einigen Wochen schrieb ich ja schon mal einen etwas augenzwinkernden Artikel, was früher alles besser war als heute. Und natürlich haben sich einige Sachen in den letzten Jahren nicht eben zum Besseren entwickelt. Dennoch ist es ausgesprochen wenig konstruktiv, grundsätzlich alles nur noch schwarzzumalen. Vor allem, wenn es dabei um Sachen geht, die nicht wirklich schlechter geworden sind.

Nehmen wir nur mal das sehr präsente Thema Sicherheit. Da wird immer wieder vor allem von Konservativen und Rechten behauptet, dass man sich in Deutschland abends nicht mehr auf die Straße trauen könnte, dass die Kriminalität aus dem Ruder läuft usw. Damit kann man natürlich wunderbar Ängste schüren, das Problem ist nur: Da ist überhaupt nichts dran! Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt, und die Kriminalität nimmt hier im langfristigen Vergleich seit den 1990er-Jahren kontinuierlich ab.

Allerdings glaubt einem das kaum einer, selbst wenn es Reportagen gibt wie „Volk in Angst: Wie mit Verbrechen Politik gemacht wird„, die das mit eindeutigen Zahlen belegen. Aber klar: Heute sind die Menschen in sozialen Medien unterwegs und bekommen da, wenn sie denn danach suchen, alle möglichen Verbrechen angezeigt, die irgendwo in Deutschland passieren – auch solche, von denen man früher gar nichts mitbekommen hat, weil die höchstens etwas für die Lokalpresse waren.

Hier könnte man also feststellen: Leute, es geht uns, was die Sicherheit angeht, echt gut, da gibt es nicht nur kaum ein Land, in dem das besser läuft, sondern es wird auch immer besser im Laufe der Zeit.

Das wäre so eine korrekte Aussage, die aber so gut wie nie in den Medien und auch von Politikern getroffen wird. Warum wohl?

Nun ja, zum einen lassen sich verängstigte Menschen leichter manipulieren und beeinflussen, demzufolge auch regieren. Wer Angst hat, denkt nicht mehr so wirklich nach, das ist ein archaisches Verhaltensmuster, was in grauer Vorzeit auch mal sinnvoll war, wenn es darum geht, schnell vor einer diffusen Gefahr wegzulaufen und so seine Überlebenschancen zu vergrößert, als dass man erst mal darüber sinniert, was es denn mit dem komischen Geräusch so genau auf sich haben könnte: Ist das nun ein wilder Bär oder vielleicht doch was anderes?

Zudem hat es ja der damalige AfD-Pressesprecher Christian Lüth sehr eindeutig formuliert: „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD“ (s. hier). Diese Denke ist nun offenbar auch bei der CDU angekommen, denn auch dort versteht man sich ja bestens darauf, Sachen schlechtzureden, die eigentlich ganz gut laufen.

Beispielsweise die Energiewende. Die Ampel hat nicht viel Gutes auf die Reihe bekommen (vor allem natürlich wegen der komplett destruktiven FDP), aber immerhin hat sie da ein bisschen Schwung nach 16 Jahren Merkel-Stillstand reingebracht. Resultat: Am letzten Sonntag ist es das erste Mal vorgekommen, dass in Deutschland mehr Strom aus erneuerbaren Quellen produziert wurde, als tatsächlich verbraucht wurde (s. hier). Wenn man dann noch berücksichtigt, dass die Nachfrage nach Großbatteriespeichern enorm gestiegen ist (s. hier), sodass auch das Speicherproblem von erneuerbaren Energien stetig kleiner wird, dann ergibt das insgesamt doch eine sehr positive Sichtweise. Aktuell dazu: In Gundremmingen, wo gerade ein AKW zurückgebaut wird, errichtet RWE den größten deutschen Batteriespeicher (s. hier). Auch wenn hierbei m. E. dezentrale Lösungen sinnvoller wären wegen des Widerstandsverlusts in Stromleitungen, so ist das doch schon mal ein Zeichen, dass selbst solche Konzerne wie RWE mittlerweile anfangen, ein Stück weit umzudenken.

Warum hört man dann von konservativen und rechten Politikern bzw. den meisten Medien immer nur etwas von „Dunkelflauten“ und angeblicher Versorgungsunsicherheit der erneuerbaren Energien?

Nun, offenbar will da niemand eingestehen, dass die Ampel-Regierung wohl doch irgendwas gar nicht so schlecht gemacht hat. Dafür ist die nun an allem Schuld, was gerade nicht läuft, vor allem wirtschaftlich: Die deutsche Autoindustrie kränkelt, weil man eben nur auf den Verbrenner gesetzt und die Entwicklung von E-Autos komplett ignoriert hat. Managementfehler und eine vor allem CDU-geprägte Politik, die über viele Jahre diese Fehler durch politisches Handeln auch noch unterstützt hat – aber nun ist auf einmal eine Regierung, die gerade mal drei Jahre im Amt war, schuld an der Misere? Ja, nee, is‘ klar …

Und das ist auch der m. E. entscheidende Punkt, warum Sachen, die eigentlich gut laufen, schlechtgeredet werden: Man muss sich dann mit den tatsächlichen Ursachen für die Dinge, die wirklich schlecht laufen, nicht auseinandersetzen. Einfach immer den Fokus auf die angeblich schlechte Sicherheitslage legen, und schon redet keiner mehr über Kinder- und Altersarmut bei gleichzeitig immer mehr Milliardären im Land. Oder man macht einen Riesenaufriss wegen ein paar Leuten, die mit Sozialleistungen betrügen und so eine die öffentliche Hand eine überschaubare Summe an Geld kosten, damit niemand auf die Idee kommt, die wirklichen Schmarotzer, die nämlich jedes Jahr Milliarden von Euro am Fiskus vorbeischmuggeln, vielleicht mal ins Visier zu nehmen.

Was dann bei vielen hängen bleibt bei dem Thema: Der Sozialstaat ist viel zu teuer, das ist schlecht! Das stimmt zwar gar nicht, denn im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt sind die Sozialausgaben gar nicht gestiegen (s. hier), was ja eigentlich schon mal eine nicht so schlechte Sache ist – wenngleich es natürlich einiges nachzubessern gäbe, da immer noch viel zu viele Menschen kaum würdevoll und mit hinreichender sozialer Teilhabe leben können. Aber indem da auf ein paar Bürgergeldbetrüger fokussiert wird, werden solche Überlegungen erst gar nicht angestellt.

Wir erleben also ein permanenten Zünden von Nebelkerzen, um von wichtigen Problemen abzulenken, für die Neoliberale keine Lösungen anzubieten haben. Dadurch wird nicht nur konstruktive Politik, die sich um tatsächliche Missstände kümmert, unterbunden, sondern es wird auch noch eine Menge Frust erzeugt, weil viele Menschen eben den Eindruck bekommen, dass alles viel schlechter wäre, als es das eigentlich ist. Und da das auch tatsächlich zum Teil mit realen Erfahrungen vieler Bürger korrespondiert, da eben zunehmend mehr Menschen immer weniger Geld zur Verfügung haben (beispielsweise durch gestiegene Lebensmittelpreise und Mietenexplosion), springt man dann auf den angebotenen Zug auf, ohne sich mal um die tatsächlichen Ursachen des eigenen Missbefindens zu kümmern.

Ach ja: Natürlich kann man, wenn man den Menschen nur hinreichend Angst macht, indem man die Sicherheitslage ständig schlechter redet, als sie ist, auch die umfassende Überwachung voranbringen. Wie sollte man das sonst begründen? Und was dann noch für weitere Sauereien möglich sind, sieht man gerade in den USA, wo der Machthaber Donald Trump ständig verbreitet, in einigen Städten wären bürgerkriegsähnliche Zustände – obwohl dort alles normal zugeht. Dafür nutzt er dann auch gefälschte Beweise, die er in sozialen Medien präsentiert, um dann Soldaten des Heimatschutzes aussenden zu können. Das ist natürlich noch mal eine Spur krasser als das, was hierzulande abgeht, zeigt aber, wo es hinführen kann, wenn man ständig Bedrohungsszenarien schafft und unbegründete Ängste schürt.

Das Problem an den positiven Entwicklungen ist nur für Konservative bis Rechte von CDU bis AfD: Die passieren nicht ihretwegen, sondern obwohl sie selbst immer dagegen arbeiten und genau diese Entwicklungen zu verhindern versuchen. Klar, dass die dann auch nicht so gern darauf verweisen, sondern aus ideologischen Gründen alles schlechtreden, was ihnen nicht in den Kram passt. Und das verhindert eben wieder, dass tatsächliche Probleme auch politisch bearbeitet werden.

Andererseits werden die Sachen, die einem wirklich Sorge bereiten sollten, beispielsweise die Klimakrise, von genau diesen Leute immer wieder kleingeredet. Logisch, um dagegen vorzugehen, bräuchte es eben auch andere Konzepte, als sie selbst anzubieten haben.

Denn eine Faustregel dabei ist: Das, was wirklich schlechter geworden ist, ist auf die Verwerfungen des Neoliberalismus zurückzuführen: Klimakrise, Artensterben, Mietenexplosion, um sich greifende Armut, schlechtere öffentliche Dienstleistungen aufgrund von Privatisierungen, Verfall der Infrastruktur … Also werden neoliberale Politiker auch einen Teufel tun, dagegen etwas zu machen. Ganz im Gegenteil: Um diesen destruktiven Kurs weiterfahren zu können, muss man die Leute ablenken und ihnen suggerieren, dass es andere Sachen gibt, die noch viel schlechter geworden sind, auch wenn das gar nicht der Fall ist. Vor allem wenn diese Verbesserungen der neoliberalen Ideologie entgegenstehen.

Also lasst Euch besser von den professionellen Angstmachern nicht ins Bockshorn jagen, freut Euch über die Dinge, die sich tatsächlich mal verbessern, und konzentriert Euch auf das, was noch verbessert werden kann.

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Ein Gedanke zu „Ist wirklich alles so schlecht?“

  1. Danke dafür! Das sich Parteien grundsätzlich gegenseitig schlecht reden trägt sicherlich zur Politikverdrossenheit der Bevölkerung bei. Dieses infantile Verhalten, anstatt über konstruktive Kritik zu einer besseren Politik beizutragen (von der eben die breite Bevölkerung profitiert) lieber jedes individuelle Verhalten negativ und überzogen zu kommentieren, das ist das Kerngeschäft des Kabarett. Aber ich sehe es deutlich: Da sich Politikerinnen und Politiker meistens in eben diesen Shows selbst im TV sehen, scheinen Sie ihr Leben als Teil eben dieser Unterhaltungssparte zu sehen. „Leute, ihr werdet gut bezahlt, damit ihr die Interessen des Volkes vertretet, nicht für Eure eigenen Interessen, Ressentiments und Beliebtheitswerte“.
    Menschen im Allgemeinen sind gut darin sich lieber um die Dinge zu kümmern, die leichter zu lösen sind, als sich an die schweren, unhandlichen Stücke zu wagen. Vom Handwerk über Lehrkräfte bis in die Politik wird deshalb lieber auf ein Thema oder Werkstück gewirkt, als sich den zu lösenden Problemen zu widmen. Anders ist auch der Krieg von Russland in der Ukraine kaum noch zu erklären. Das Individuum kann zwar sehr wohl in seinem Leben Dinge lernen und verstehen, aber in der breiten Masse geht eben genau so viel Wissen wieder verloren, wie Menschen sterben und andere geboren werden (die eben dieses Wissen oder Erfahrung nicht haben). Und so funktionieren solche durchschaubaren und unethischen Vorgehensweisen noch immer und werden es wohl auch witerhin tun.
    Da muss ich auch „Schwarzmalerei“ betreiben, denn das sich gerade die großen Drei (USA, China und Russland) vom G20 abgemeldet haben, zeugt nicht von positiven Aussichten für die Weltbevölkerung. Genauso wenig wie die nicht mehr einzuhaltenden 1,5 Grad Erderwärmung, so dass das Eintreten einiger Kipppunkte unumgänglich ist. Wenn das Eis auf Grönland abschmilzt, dann ist die Insel zwar schön grün, aber nur das, was man davon noch sieht (denn der Meeresspiegel würde weltweit um 7 Meter steigen und das ist das Aus für eine Menge von Großstädten, die fast alle an einer Küste liegen). Egal, so heißt es ja auch: „Nach uns die Sintflut.“

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