Nous sommes Charlie

Gestern wurde in Paris ein abscheulicher Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitung Charlie Hebdo verübt, bei dem mindestens zwölf Menschen starben und zahlreiche weitere verletzt wurden. Zwei Attentäter stürmten mit Schnellfeuergewehren das Gebäude und richteten ein Massaker an, nachdem sie dann mit einem Auto sofort die Flucht ergriffen. Das ist abstoßend, erschreckend und fürchterlich, und mein aufrichtiges Beileid und Mitgefühl gilt den Familien der Ermordeten. Was mir nun allerdings richtig Angst macht, sind die Reaktionen auf diesen bestialischen Anschlag.

Es dauerte nicht lange, da standen die Schuldigen fest: radikale Islamisten, die bei der Ausübung ihrer Bluttat „Allahu akbar“ gerufen haben sollen. Ermittlungsergebnisse der Polizei wurden erst mal gar nicht abgewartet, sondern allein dieser Umstand führte dazu, dass vonseiten der AfD, von Pegida-Anhängern und ähnlichem rechtem Gesindel einen Dreck auf irgendwas wie Pietät oder Respekt vor den Toten gegeben wurde, indem der Anschlag augenblicklich genutzt wurde, um das eigene Weltbild als bestätigt anzusehen und dies auch in die Welt hinauszuposaunen. Dabei wurde dann, wie in diesen Kreisen üblich, weitgehend nicht unterschieden zwischen gewaltbereiten und radikalen Islamisten sowie Moslems im Allgemeinen. (Dass auch jeder Nichtmoslem „Allahu akbar“ brüllen kann und allein dieser Umstand nicht wirklich umfassend über den religiös motivierten Hintergrund der Mörder aussagt, spielt dabei dann auch keine Rolle: Es passt ja gerade so schön ins eigene Weltbild!) Ulkigerweise ist bei dem Massaker, was Anders Breivik 2011 angerichtet hat, keiner auf die Idee gekommen, da nun von radikalen Christen zu reden und das gesamte Christentum für diese Untat zur Rechenschaft zu ziehen …

Heute dann konnten die ersten Ermittlungsergebnisse präsentiert werden: Einer der Täter hat im Fluchtfahrzeug seinen Personalausweis vergessen (wie hier bei Spiegel online nachzulesen). Wie bitte? Da gehen also zwei Mörder extrem professionell, geplant, kaltblütig und effektiv vor, um ein Blutbad anzurichten – und dann haben die nicht nur ihre Personalausweise dabei (warum auch immer …), sondern sind auch noch so dämlich, einen davon dann irgendwo liegen zu lassen, wo er eindeutig zur Identifikation führen wird. In einem Hollywood-Thriller würde ich einen derartigen Handlungsverlauf als viel zu unglaubwürdig abkanzeln, aber in der Realität soll das so passieren? Na ja …

Die Täter haben also ihrer eigenen Religion einen extremen Bärendienst erwiesen, denn haufenweise Moslems und muslimisch Organisationen distanzieren sich von dem Anschlag und verurteilen diesen aufs Schärfste. Bei den eigenen Leuten konnte also schon mal nicht so richtig gepunktet werden. Und diejenigen, die sowieso schon gegen den Islam eingestellt waren, werden sich dadurch massiv bestätigt fühlen, sodass die eigenen Glaubensgenossen mit weiteren Nachteilen und Repressionen zu rechnen haben (in Frankreich gab es wohl in der Nacht schon die ersten Anschläge auf eine Moschee und einen muslimischen Gebetsraum). Klar, jetzt kann man sagen, dass religiöse Fanatiker eben nicht so weit denken, nicht sonderlich clever sind und in ihrer Verbohrtheit das große Ganze gern mal aus den Augen verlieren. Aber so wie das gestern in Paris anscheinend abgelaufen ist, haben wir es da nicht mit der Kurzschlusshandlung von zwei durchgeknallten Hinterwäldlern mit Bildungsresistenz zu tun, sondern um einen hochgradig professionell und gut geplanten Anschlag: Die beiden Männer haben ja anscheinend eine fundierte Kampfausbildung erhalten (steht so auch im oben verlinkten Artikel von Spiegel online), zudem musste sie ja auch irgendwie das mit den Waffen organisieren, denn die gibt es ja schließlich auch nicht mal so eben am nächsten Kiosk zu kaufen. Man muss also der Tat eine nicht unerhebliche Planungsintelligenz unterstellen und eine professionelle Durchführung – und dann geht das Ding insgesamt von der Wirkung derart absehbar nach hinten los? Ich kann mir zumindest kaum vorstellen, dass die Motivation der Täter war: „Mensch, sehen wir doch mal zu, dass wir der Le Pen und ihrem ausländerfeindlichen Haufen einen ordentlichen Popularitätsschub zukommen lassen, indem wir die Ressentiments bestätigen, die die ja eh schon immer über Moslems verbreitet hat.“ Aber genau das ist nun das Resultat.

Ich kann mir vorstellen, dass die beiden Täter nun bei der Verfolgung/Ergreifung sich zur Wehr setzen und dabei erschossen werden, und dann bleibt nur noch ein 18-jähriger obdachloser Schüler übrig, der ja in der Planung involviert gewesen sein soll. Insofern dürfte es schwer sein, dann tatsächlich eine vollständige Ermittlung der Hintergründe zu bekommen, zumal diese ja auch nicht nötig erscheint: Es erscheint ja auf den ersten Blick auch alles so schön plausibel. Und aus dem Mitgefühl für die Toten wird dann schon schnell weiterer Hass gegen „die Moslems“ erwachsen und geschürt werden, sodass die nächsten Toten wohl nicht lange auf sich warten lassen werden …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

6 Gedanken zu „Nous sommes Charlie“

  1. Jörg Wellbrock alias Tom W. Wolf finde in einem Kommentar für Der Spiegelfechter passende Worte zum Versuch vom stellvertretenden Bundesvorsitzenden der AfD Alexander Gauland, die grausigen Geschehnisse in Paris nun für seine Partei und die Legitimation von Pegida zu instrumentalisieren.

    Ich kann mir zudem beim besten Willen nicht vorstellen, dass es auch nur ansatzweise im Interesse der Ermordeten wäre, wenn nun solche Figuren wie Gauweiler derartig vorgehen. Das ist einfach nur noch schäbig!

  2. Und auch auf der Facebook-Seite vom ARD-Magazin Monitor findet sich eine passende Replik auf Gauland und Co.:

    Nous sommes Charlie – Ihr nicht !

    Zehn Journalisten sind gestern in Paris ermordet worden. Zehn mutige Kollegen, die sich von niemanden den Mund verbieten lassen wollten. Satiriker, die die Meinungs- und Kunstfreiheit ernst genommen haben und dafür mit ihrem Leben bezahlen mussten. Ja, dies war ein Anschlag auf die Pressefreiheit, der nicht nur uns als Kollegen empört, sondern jeden, für den diese Freiheiten in einer weltoffenen, demokratischen Gesellschaft existenziell sind.

    Was mich fassungslos macht: Dass sich schon wenige Stunden nach dem Anschlag Trittbrettfahrer zu Wort melden, die daraus politisch Kapital schlagen wollen. Ausgerechnet jene Rechtspopulisten, die Montag für Montag Journalisten als Lügenpresse diffamieren, nur weil sie sich mit ihren Parolen nicht gemein machen. Die Forderungen von Pegida hätten vor dem Hintergrund des Anschlags „besondere Aktualität und Gewicht erhalten“, meinte der Rechtsausleger des AfD-Vorstands, Alexander Gauland, allen Ernstes. Ähnlich zynisch äußerten sich die Sprachrohre der selbsternannten Retter des Abendlandes.

    In der Reaktion auf den Terroranschlag von Paris zeigen AfD und Pegida jetzt ihr wahres Gesicht. Nein, das darf man den Gaulands dieser Republik nicht durchgehen lassen: Dass sie auf unverfrorene Art und Weise islamische Lebensformen mit einen barbarischen Terroranschlag gleichsetzen. Dass sie ihr fremdenfeindliches Süppchen auf den Gräbern von zehn ermordeten Journalisten kochen. Dass sie sich in klammheimlicher Freude die Hände reiben, um weiter zu zündeln am rechten Rand.

    Wenn die zehn Kollegen für eines ganz sicher nicht gestanden haben, dann für den spießbürgerlichen Aufstand zur Rettung eines islamophoben Abendlandes. Deshalb: Haltet Euer Maul, wenigstens jetzt! Nous sommes Charlie. Ihr nicht!

    Georg Restle

  3. Schön zu sehen, wie viel Anteilnahme, Zusammenhalt und Mitgefühl nach einer solchen Gräueltat in der Gesellschaft zu finden sind. Ich wünsche mir diese Anteilnahme auch für jeden durch Hunger, Drohnen oder Einsamkeit verstorbenen Menschen und werde hoffentlich nie müde, auch dafür zu stehen. Hier finden sich einige Zeichnungen von Menschen, die sich von solchen Vorfällen nicht einschüchtern lassen wollen:
    http://www.architecturendesign.net/the-pen-is-mightier-than-the-sword-28-cartoonists-pay-tribute-to-the-victims-of-the-charlie-hebdo-shooting

  4. Und natürlich sollen die Anschläge dann auch dazu herhalten, um mal wieder ein bisschen Angst und Panik bei der deutschen Bevölkerung zu sehen. Wie man diesen Versuch grandios ins Leere laufen lässt, zeigt Titanic-Chefredakteuer Tim Wolf im Interview mit dem ARD Nachtmagazin, hier zu sehen auf der Webseite Spülgel an der Lein.

  5. Noch zwei Links zu dem Thema:

    Wolfgang Lieb von den Nachdenkseiten mahnt, kritisch und hinterfragend an diesen Anschlag und dessen Darstellung in den Medien heranzugehen: Mit dem Wissen wächst der Zweifel.

    Und normalerweise verlinken wir ja nicht zum Hetzblatt BILD, aber in diesem Fall mache ich mal eine Ausnahme ob der unglaublichen Dummdreistigkeit von Julian Reichelt, der in seinem Zwischenruf den Schuldigen für das Blutbad ausmacht: Edward Snowden. Konsequenz: Wir brauchen mehr Überwachung! Noch Fragen?

  6. Sehr treffend auch, was der Kabarettist Martin Buchholz auf seiner Webseite zu dem Thema schreibt. Er sagt nämlich, dass er nicht Charlie sei, weil er keine gemeinsame Sache mit denen machen will, die dies nun von sich behaupten, obwohl sie das, wofür das Satiremagazin steht, ansonsten mit Füßen treten.

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