Brandbrief an die Öffentlich-Rechtlichen

Sehr geehrte Damen und Herren,

unser Land befindet sich in einer ökologischen und gesellschaftlichen Krise, die sich seit Jahren verschärft.

14 Millionen Menschen leben in Armut, zwei Millionen davon müssen an die Tafeln, weil der Staat sich nicht um sie kümmert. Jedes fünfte Kind ist von Armut betroffen und ebenso jeder fünfte Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor beschäftigt. Altersarmut bedroht immer mehr Menschen.

Mieten werden unbezahlbar, Städte immer weiter gentrifiziert, wer nicht mehr zahlen kann, muss gehen und auf sein Recht auf Wohnen und freie Wohnungswahl verzichten.

Das teilweise privatisierte 2-Klassen-Gesundheitssystem krankt, Kliniken sollen wirtschaftlich arbeiten und Profite einfahren, dafür brechen sogar Ärzte mit ihrem hippokratischen Eid und riskieren, z. B. mit unnötigen Hüft- und Knieoperationen, Gesundheit und sogar das Leben von Patienten, da jede OP eine Gefahr darstellt.

Das Personal dreht im roten Bereich.

Eine komplett in privater Hand befindliche Pharmaindustrie forscht nur nach Medikamenten, die Profit bringen, dringend nötige neue Antibiotika finden da z. B. kaum noch Berücksichtigung, dafür können Mondpreise für neu entwickelte Medikamente genommen werden. Auf der anderen Seite wurde die Produktion wichtiger Arzneien ins Ausland, u. a. in die Diktatur China, verlagert, was neben Ausbeutung in anderen Ländern, ein unkalkulierbares Risiko für unsere Versorgungssicherheit mit sich bringt.

Mit unserer im Ländervergleich viel zu hohen Krankenversicherung finanzieren wir also auch Konzernprofite. Dafür bekommt man kaum zeitnahe Arzttermine, die Praxen sind meist überfüllt.

Noch dramatischer sieht das in der Pflege aus, wo zu oft Heimbewohner für Profite von skrupellosen Investoren vernachlässigt werden, deren Gewinne wir mit unserer Pflegeversicherung mitfinanzieren. Und hier ist das Personal erst recht völlig überfordert.

Gesundheit und Pflege müssen den Menschen im Mittelpunkt haben, niemals den Profit.

Die Mittelschicht dreht ebenfalls im roten Bereich, bei Familien müssen oft beide Elternteile voll arbeiten, um überhaupt über die Runden zu kommen, dabei fehlen auch noch dringend nötige Kitaplätze, und selbst wenn man einen ergattert, ist das Personal auch hier komplett überlastet. Die so wichtige Bildung der Kinder zu finanzieren wird ebenfalls immer teurer. Eine kinderfreundliche Gesellschaft sieht ganz anders aus.

Die Digitalisierung, fatalerweise auch privaten Konzernen überlassen, hinkt hinterher, es gibt 2023 immer noch kein flächendeckendes Mobilfunknetz.

Fossile Konzerne machen Megagewinne mit Umweltzerstörung und Klimawandel und ziehen der Bevölkerung – wo es geht – das Geld aus der Tasche, das nur zu oft in die Hände reicher Anleger wandert, ebenso wie viele der hohen Mieten. Wenn man sich die Gewinne von Wohnkonzernen ansieht, während deren Mietern immer weniger zum Leben bleibt, wird einem schon schwindelig. Und Eigenheime sind meist unbezahlbar. Man hat also keine Wahl mehr.

Massentierhaltung belastet die Böden, sorgt global für Regenwaldabholzung und unendliches Tierleid, verbraucht so wichtiges Ackerland, auch sorgt der enorme Preisdruck der wenigen verbliebenen Handelskonzerne für Ausbeutung der Bauern, von denen viele aufgeben müssen, sodass die Landwirtschaft immer mehr in einen industriellen Komplex ohne große Skrupel verwandelt wird.

Pestizide, Herbizide und Fungizide zerstören dabei das Ökosystem und die Artenvielfalt und belasten Böden und Grundwasser.

Auf die ganzen politisch gemachten Probleme mit Klimawandel, Artensterben und Umweltzerstörung gehe ich nicht näher ein, da kann man nämlich traurigerweise ein ganzes Buch drüber schreiben.

Es findet seit drei Jahrzehnten eine gigantische Umverteilung von unten nach oben statt, es wurde ein System der totalen Wirtschaftlichkeit, verbunden mit maximaler Gewinnorientierung, installiert, dass in Deutschland inzwischen eine Million Millionäre hervorgebracht hat, also nicht mal 2 % der Bevölkerung. Und die besitzen unglaubliche 6,5 Billionen Dollar – am anderen Ende der Gesellschaft sind, wie schon gesagt, mindestens 16 % von Armut betroffen, für zwei Millionen reicht das Geld nicht mal mehr zum Überleben aus.

Aber die Politik lässt Reiche und Superreiche weiter tatenlos ihr Vermögen immer weiter vergrößern. Anstatt vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Korrekturen an der Vermögenssteuer anzupassen, wurde sie einfach ausgesetzt und nie wieder in Kraft gesetzt – eigentlich ein Riesenskandal.

Die Infrastruktur zerbröselt weiter, die dringend nötige Verkehrswende wird verschleppt, genau wie Klimaschutz, und eine ebenso dringend nötige Agrarwende wird nicht mal ernsthaft diskutiert. Schulen verfallen. Studenten kommen finanziell nicht mehr über die Runden, die ganze Bildungspolitik steckt in der Krise, Schüler werden meist nur noch wirtschaftskonform unterrichtet, statt zu kritischen und eigenständigen Erwachsenen mit hoher Allgemeinbildung erzogen zu werden.

Lobbyisten aus der Wirtschaft, insbesondere  Vertreter von Konzernen, gehen bei der Politik ein und aus und beeinflussen massiv Gesetze oder schreiben sie gar mit und verhindern immer wieder einen Wandel, und das schon im Ansatz, denn Lobbyismus ist teuer, und der „Normalbürger“ kann sich gar nicht leisten, seine Anliegen vertreten zu lassen.

Die Gesellschaft ist dadurch stark gespalten, Solidarität – Fehlanzeige, fast jeder sieht nur zu, wo er bleibt. Statt gesellschaftlichen Zusammenhalts lebt man lieber, besonders in sozialen Netzwerken, Hass gegeneinander aus, und wenn es denn mal doch gemeinsame Proteste gibt, finden sie kaum oder zu wenig mediale Aufmerksamkeit. Meist sind sie schon am nächsten Tag aus der Öffentlichkeit verschwunden, wie vor Jahren, als Hunderttausende gegen das nachweislich undemokratische und ökologisch stark bedenkliche Freihandelsabkommen CETA auf die Straße gingen, das jetzt trotzdem endgültig abgesegnet wurde – federführend von denen, die damals ebenfalls lautstark dagegen protestiert hatten. Ein Affront für die Demokratie …

Auch nicht zu vergessen sind da die sich wiederholenden Demos von Fridays for Future, die trotz fataler Versäumnisse in der Klimapolitik ohne jegliche Wirkung bleiben, womit ich jetzt beim eigentlichen Thema wäre, nämlich der Rolle der Medien, zu denen Sie ebenfalls gehören.

Bei den privaten Medien zählt natürlich nur Wirtschaftlichkeit, und oft sind sie gleich Bestandteil von Konzernen wie Bertelsmann, die ja mitursächlich für all die genannten Probleme verantwortlich sind und dann noch konzernkonforme Meinungsbildung – oder noch besser: Volksverblödung – über ihre Privatsender etablieren.

Andere wiederum berichten zumindest konzern- und wirtschaftskonform, weil sie z. B. durch Anzeigen von Unternehmen abhängig sind, oder schreiben eben, wie beim Axel-Springer-Verlag, den Interessen der konservativen und neoliberalen Besitzern einfach nach dem Mund.

Andere recherchieren gar nichts mehr, sondern schreiben einfach nur noch ab, investigativer Journalismus ist gerade im privaten Bereich die Ausnahme, da es schlichtweg zu teuer ist oder erst gar nicht gewünscht wird. Obendrein sind die meisten Medien ohnehin nur noch im Besitz weniger Medienkonzerne, auch eine Katastrophe für die Meinungsvielfalt in einer Demokratie.

Und hier müssten eigentlich die Öffentlich-Rechtlichen, deren Gebühren ja von der Bevölkerung getragen werden, einspringen und ihren Bildungsauftrag erfüllen.

Vorweg gesagt: Immerhin habe ich auch einen Großteil der genannten Fakten über die ÖR erfahren, und von allem wurde auch zumindest immer mal berichtet, allerdings muss man dazu Spartensender und Internetseiten zurate ziehen oder eben Sendungen, die zu ungünstigen Zeiten ausgestrahlt werden.

Ihr Hauptprogramm hingegen beschränkt sich leider meist auf politische Schönwetterberichterstattung. Sie geben der neoliberalen und oft auch konservativen Seite, die eigentlich nur Politik für einen geringen Teil der Bevölkerung, nämlich die Wohlhabenden, macht, fast ihre ganze Aufmerksamkeit, was besonders schlimm in Talkshows zu beobachten ist.

Dort werden eigentlich fast immer Politiker der großen Parteien, die uns allesamt in den Schlamassel gebracht haben, oder der Wirtschaft nahestehende „Fachleute“ eingeladen. Ihnen gegenüber sind diejenigen, die etwas verändern wollen, zumeist in der Unterzahl, und so werden die genannten dringenden Probleme, wenn überhaupt thematisiert, ganz schnell zerredet.

So wird gerade denen, die finanziell noch gut aufgestellt sind, und besonders älteren Leuten, die noch höhere Renten oder Pension beziehen, das falsche Bild vermittelt, dass alles so weit schon in Ordnung sei, was es vielleicht im Vergleich zu Ländern wie den USA noch ist, was aber eben dem Anspruch einer Demokratie, welche die Interessen aller Menschen gleichmäßig verteilt im Auge haben sollte, in keiner Weise mehr genügt.

So wird eine alles umfassende Meinungsbildung schon im Ansatz verhindert.

Gleiches gilt für die Nachrichtensendungen, auch sie bieten doch meist nur eine Plattform für die Politik, die diese ganzen Probleme seit Jahrzehnten zu verantworten hat oder vor sich herschleppt. Wirkliche grundlegende Kritik an dem System gibt es eigentlich überhaupt nicht, und über eine nötige Umverteilung, und die ist bei den so massiv ungleichen Vermögensverhältnissen in Deutschland ganz dringend notwendig, wird schon mal gar nicht ernsthaft gesprochen.

Naom Chomsky (Sprachwissenschaftler, Intellektueller und bekannter Kritiker der US-Politik, besonders unter Bush) schrieb einmal:

„Der kluge Weg, Menschen passiv und gehorsam zu halten, besteht darin, das Spektrum akzeptabler Meinungen streng einzuschränken, aber eine sehr lebhafte Debatte innerhalb dieses Spektrums zuzulassen – und sogar kritischere und dissidente Ansichten zu fördern. Das gibt den Menschen das Gefühl, dass freies Denken im Gange ist, während die Voraussetzungen des Systems durch die Grenzen der Debatten immer weiter verschärft werden.“

Ich habe leider das Gefühl, dass das eine sehr zutreffende Beschreibung unserer Realität darstellt, und das obwohl doch gerade die Medien die vierte Gewalt sein sollten, sich aber vielmehr als Verteidiger statt doch so dringend nötiger Mahner und Kritiker einer unsozialen und ökologisch wohl noch katastrophaleren Politik darstellen.

Das finde ich schon bestürzend, denn so wird der nötige soziale und ökologische Aufbruch erst frühestens dann in der Gesellschaft ankommen, wenn der Wohlstandverlust die überwiegende Mehrheit der Leute erreicht hat. Und dann ist es vielleicht zu spät. Denn schon jetzt fischen die rechten Demagogen, insbesondere der AfD, gefährlich und leider sehr erfolgreich im trüben Wasser der Unzufriedenheit.

Skurril finde ich auch, dass ein Großteil der Kritik nur in Satiresendungen wie der heute-show, extra 3 und Die Anstalt vermittelt wird, oft zusammen mit flachen Witzen (insbesondere in der heute-show), was zwar prinzipiell nicht so schlimm ist, aber doch auch wieder die nötige Dringlichkeit infrage stellt.

Anm.: Sendungen wie Nuhr im Ersten hingegen vertreten das neoliberal-konservative Lager und tragen erfolgfreich selbst zur Desinformation bei, was auch wenig hilfreich ist, aber bei einer ausgewogenen Berichterstattung hinnehmbar wäre.

Ich bitte Sie daher, Ihrem Bildungsauftrag auch als Mahner und Kritiker einer Politik, die fast nur die Interessen der Wirtschaft und großer Konzerne im Besonderen vertritt, endlich mehr gerecht zu werden als jetzt, besonders weil die Bevölkerung als Gebührenzahler einen Anspruch darauf hat, die Fehler einer Politik, die sich gegen große Teile ebendieser Bevölkerung und gegen die Umwelt richtet, auch wirklich schonungslos vermittelt zu bekommen.

Mit freundlichen Grüßen

Print Friendly, PDF & Email

Markus

Jahrgang 1967, Informatiker, pflegt und entwickelt 3-D-CAD-Software in einem kleinen Unternehmen. Träumt von einer progressiven, sozial gerechten und ökologischen Gesellschaft und verzweifelt manchmal an der Frage, warum die meisten Menschen das nicht auch wollen.

Schreibe einen Kommentar