Mal wieder kulturerelle Aneignung …

Und schon wieder gab es einen Fall von angeblich kultureller Aneignung, der die Öffentlichkeit erregt: Der Didgeridoo-Spieler Tom Fronza durfte beim „Kieler Fahrradkombinat“ nicht auftreten.

Vor einiger Zeit schrieb ich ja schon mal einen Artikel über das grundlegende kulturelle Unverständnis von Personen, die sich selbst als „woke“ bezeichnen und meinen, künstlerische Darbietungen verbieten oder absagen (lassen) zu müssen, weil dort kulturelle Einflüsse von Menschen präsentiert werden, die nicht aus der entsprechenden Kultur stammen. Bei herabwürdigenden Spottdarbietungen sehe ich es ja auch so, dass sich das nicht gehört, aber ansonsten kann sich Kultur nur entwickeln, wenn Einflüsse aus anderen kulturellen Spielarten, Regionen und was weiß ich noch in Bestehendes aufgenommen werden, sodass dann etwas Neues, am besten Einzigartiges entsteht.

Und so was ist m. E. ja auch immer ein Ausdruck von Respekt gegenüber der anderen Kultur, wenn ich das quasi als Bereicherung und Einfluss für mein eigenes Schaffen sehe.

Nun zu dem konkreten Fall: In einem Artikel der Kieler Nachrichten findet sich Folgendes über Tom Fronza:

Tom Fronza macht seit 1997 professionell Musik. Er sei einer der „ganz wenigen professionellen deutschen Didgeridoo-Spieler“, heißt es auf Wikipedia. Das Didgeridoo wird vor allem von den Ureinwohnern Australiens gespielt. Fronza selbst lebte sogar einige Jahre in Australien. Seit 1997 unterrichtet er nicht nur und gibt Workshops im Didgeridoo, sondern wird auch zu Konzerten in ganz Europa und den USA eingeladen. Auch in Westaustralien war er als Lehrer tätig. Unter anderem unterrichtete er im Auftrag des dortigen Ministeriums für Multikulturelle Angelegenheiten.

Das liest sich für mich jetzt nicht so, als wäre er jemand, der einfach mal aus Jux und Dollerei in ein Digeridoo reintrötet, um ein bisschen Effekthascherei zu betreiben.

In einem Artikel im Rolling Stone erfährt man noch ein bisschen mehr:

Er differenziert zwischen dem traditionellen Gebrauch des Instruments und seiner zeitgenössischen Anwendung und erklärt, dass das Wort „Didgeridoo“ eigentlich eine westliche Bezeichnung sei:

„Ich spiele dieses Instrument seit nunmehr fast 30 Jahren und habe ein paar Jahre hauptsächlich in Westaustralien gelebt und dort viel mit Noongar-People zu tun gehabt. Mich verbindet allerdings auch eine gewisse Beziehung zu den Yolngu im Norden Australiens. Dort hat das Instrument in Australien auch seine tiefsten Wurzeln und wird Yidaki, Gunbork oder Gunbarrak Garra genannt, nicht Didgeridoo.“

Ich bekomme den Eindruck, dass Fronza deutlich mehr Ahnung von der Materie hat als diejenigen, die ihm nun kulturelle Aneignung vorwerfen und ihn deswegen auch gleich aburteilen. Und was auch mal wieder typisch ist und aus beiden verlinkten Artikeln hervorgeht: Die Kulturverhinderer waren nicht mal zu einem Statement zur Sache bereit.

Wenn man das nun mal so weiterspinnt, dann wäre ja so ziemlich alles kulturelle Aneignung, was zurzeit an Musik gemacht wird, denn die Bestandteile wird es immer mal irgendwo zuerst gegeben haben. Orchestermusik und die dazugehörigen Instrumente dürften dann nur noch von Europäern gespielt werden, die meisten Percussioninstrumente von Afrikanern, elektronische Musik wäre dann ein Vorrecht der Deutschen (so von wegen Kraftwerk und Tangerine Dream), und in Fußgängerzonen spielende Andenmusikanten dürften sich dann von gerade vorbeikommenden Griechen ihre Panflöten aus den Händen reißen lassen, um zu diskutieren, wo das Ding denn nun seinen Ursprung hat. US-Amerikaner würden europäischen Country-Musikern empört die Banjos untersagen, nur um dann von Afroamerikanern zu hören zu bekommen, dass diese das Ding eigentlich erfunden haben. Klar, das ist nun etwas polemisch, verdeutlicht aber, dass eine solche stringente Abtrennung von musikalischen Einflüssen und Instrumenten hochgradig kontraproduktiv ist – und eben, wie schon gesagt, auch nichts mit der Realität von musikalischer Entwicklung zu tun hat.

Wozu der Blödsinn dann führt, sieht man auch sogleich: Rechtskonservative, wie beispielsweise der eklige Dieter Nuhr (das wird auch in den beiden verlinkten Artikeln erwähnt), haben sogleich wieder schön Futter, um loszuhetzen und ihr unterbelichtetes Publikum zum Johlen und „Ja, genau!“-Grölen zu bringen. Und man kann ihnen – so wie in diesem Fall – noch nicht mal grundsätzlich inhaltlich widersprechen.

So werden dann moralinsauere Obertugendwächter aus dem linken Spektrum zu Stichwortgebern der Rechten, indem sie deren blöde Klischeevorstellungen mal eben voll und ganz bestätigen. Tolle Leistung, davon brauchen wir ja auch unbedingt noch mehr hier im Lande. Nicht.

Was dazukommt: Ein ernsthafter Diskurs über wirkliche kulturelle Aneignung, die es ja in der Tat gibt (und das nicht nur bei so krassen Fällen wie kolonialer Beutekunst), wird auf diese Weise auch noch verunmöglicht.

Woran man mal wieder sieht: Dogmatismus und fehlende Lockerheit sind niemals gute Ratgeber für konstruktives Handeln. Von Rechten ist man das ja gewohnt, aber wenn sich das nun auch bei Linken immer mehr breitmacht, dann gute Nacht!

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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