Demonstration: FÜR und GEGEN

Gestern war in Hamburg, wie schon zuvor in vielen Städten in Deutschland, eine Demonstration „…  gegen Rechtsextremismus und neonazistische Netzwerke“. Der Widerstand gegen Extremismus (jeder Couleur) und gegen rechte Netzwerke entspringt bei den meisten Menschen wahrscheinlich dem Gedanken, nie wieder einen Nationalsozialismus wie im Dritten Reich zuzulassen. Aus meiner Sicht ein absolut sinniger Gedanke! Allerdings habe ich damit nicht nur ein sprachliches, sondern auch ein inhaltliches Problem (mal schauen, wer jetzt wieder loszetert, ohne den Kontext abzuwarten). 

Ich war gestern zwei Stunden auf der Demo, bin durch die Menschenmassen einmal quer durch, vom Gänsemarkt bis zum Rathausplatz, die komplette Masse aufgesogen und allen Sprechgesängen gelauscht. Doch jedes Mal, wenn ich destruktive oder hassgeladene Parolen höre, zucke ich innerlich zusammen. Das klingt dann z. B. so: „Ganz … Hamburg … hasst die AfD!“ Mein Problem damit: Ich „hasse“ nicht. Hass ist blind, Hass ist die Negierung einer Auseinandersetzung. Wenn ich das Wort „Hass“ höre, dann meistens in dem Kontext, dass Menschen sich mit etwas nicht beschäftigen wollen oder nicht in der Lage sind, die Realität anzunehmen (z. B: „Ich hasse schlechtes Wetter“ oder „Ich hasse Mathe“). Dann brüllen die nächsten: „Nazis raus! Nazis raus!“, und ich frage mich unweigerlich: Und wohin? Raus aus Deutschland und dann ab nach Polen oder Russland? In die Arktis?

Es klingt abgedroschen, aber wenn Nazis etwas brauchen, dann Liebe. Gewalt erzeugt Gegengewalt. Druck erzeugt Gegendruck. Auge um Auge macht die Gesellschaft am Ende blind. Wenn ich mich vor einen Nazi stelle und sie oder ihn anschreie, dass sie oder er eine Sau ist und dass sie oder er sich verpissen soll, dann ist das aus meiner Sicht nur sehr bedingt hilfreich dabei, sie oder ihn vom „Nazisein“ abzubringen. Die AfD fährt mit ihrer medialen Aufmerksamkeit in Kombination mit dem störrischen „egal, was die Regierung macht, wie nehmen einfach grundsätzlich die Gegenposition ein und fischen alle unzufriedenen Menschen damit ein, die einfache Lösungen für komplizierte Sachverhalte fordern“ beste Ergebnisse ein.

Meinen Standpunkt gegen rechtes Gedankengut kann ich auch ausdrücken, indem ich „für“ Dinge wie Menschenrechte, Toleranz, Vielfalt, Diversity oder schlichtweg Gleichberechtigung eintrete. Ich kann „für ein Parteiverbot der AfD“ eintreten, anstatt „gegen die AfD“ zu wettern und damit nur die anderen störrischen Menschen zu bestärken, die es aus oben genannten Gründen für eine „Protestwahl“ halten, wenn man Nazis wählt, die gegen die Großparteien wettern. Als gäbe es keine Alternativen zur Alternative, aber dafür müsste man sich ja mit den Alternativen beschäftigen, was sehr viel anstrengender ist, als sich kindlich hinzustellen und einfach das Gegenteil von dem zu machen, was man vorher gemacht hat. Egal, ob man sich damit ins eigene Fleisch schneidet, weil man gar keine Konzernchefin oder kein Superreicher ist, weil man in Wirklichkeit selbst von deren Parteiprogramm und politischem Kurs zur Verliererin oder zum Verlierer gemacht wird.

Es wäre vielleicht für einige etwas überspitzt zu schreiben, dass „Nazis raus!“ intellektuell nicht weit von „Ausländer raus!“ entfernt ist, weil dieser Protestruf vielleicht genau daher kommt. Aber ist es wirklich das Mittel der Wahl, die Nazis nicht zuletzt wegen ihrer Methoden zu verachten, um dann selbst zum gleichen Werkzeug zu greifen? Rauswurf, Hass und vielleicht sogar den Tod zu wünschen? Es tut mir leid, wenn das vielleicht die politische Linke schwächt, wenn ich bei solchen Großveranstaltungen fehle, aber ich möchte mich nicht mit Hass und Hetze für eine solidarische, offene und vielfältige Gesellschaft einsetzen.

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Dirk

Jahrgang 1974, in erster Linie Teil dieser Welt und bewusst nicht fragmentiert und kategorisiert in Hamburger, Deutscher, Mann oder gar Mensch. Als selbstständiger IT-Dienstleister (Rechen-Leistung) immer an dem Inhalt und der Struktur von Informationen interessiert und leidenschaftlich gerne Spiegel für sich selbst und andere (als Vater von drei Kindern kommt dies auch familiär häufig zum Einsatz). Seit vielen Jahren überzeugter Vegetarier und trotzdem der Meinung: „Alles hat zwei Seiten, auch die Wurst hat zwei!“

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