„Ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt!“ Vielleicht kann sich die oder der eine an diesen Song von Pipi Langstrumpf erinnern. Im Prinzip handeln alle Menschen mehr oder weniger nach diesem Prinzip. Auf der einen Seite drangsalieren wir andere Personen, gesetzliche oder soziale Regeln zu befolgen, aber wenn es gerade passt, biegen wir diese selbst. Bei der einen Person ist es die rote Ampel, die tagsüber eingehalten wird, um ein gutes Vorbild zu sein, aber nachts wird diese einfach ignoriert. Andere sind da schon weitaus radikaler unterwegs und finden selbst so etwas wie Mord „an der richtigen Person“ vertretbar (ich habe von „Kriegsgenerinnen und Kriegsgegnern“ schon öfter gehört, dass man Putin doch einfach „abknallen“ sollte). Natürlich ist auch hier wieder „das Maß“ das Maß der Dinge.
Gerade habe ich bei ZAPP (NDR) einen 22-minütigen Beitrag zum Umgang von Elon Musk mit der Meinungsfreiheit (Freespeech) gehört. Ein Mann, der Raketen zum Mars schickt, der Börsenspekulantinnen und Börsenspekulanten Ideen (ohne fertiges Produkt) verkauft, die freie Rede auf „X“ (ehemals „Twitter“) vehement einfordert und dann aber woke Inhalte abmahnt und Kritikerinnen und Kritikern die Konten sperrt. Ich bin nicht ganz sicher, ob der reichste Mann der Welt überhaupt bemerkt, dass er sich da in einem Widerspruch befindet, denn zur Selbstreflexion ist wahrscheinlich nicht viel Zeit. Zumindest hat die Zeit dafür gereicht, seinen Sohn Xavier für tot zu erklären, weil dieser vom „woke-mind-virus“ infiziert wurde (und nun als Vivian lebt). Die Freiheit der Geschlechterwahl ist also nach Elon nicht Teil einer Meinung, sondern ein Virus.
Ähnlich muss es den Leuten gehen, die hier in Deutschland vom „Staatsfunk“ sprechen und dann nach Ungarn oder Russland auswandern, weil dort im Funk noch gesagt werden darf, was hier nicht gestattet ist. Das hört sich demokratisch an, aber es ist ja das genaue Gegenteil: In Deutschland wird der öffentlichen Rundfunk eben nicht von Steuern bezahlt, damit der Staat entsprechend wenig Einfluss auf die Inhalte nehmen kann. Anders herum sollten diese Leute mal versuchen, in Russland von einem Angriffskrieg zu sprechen, und schauen, wie schnell das Gesagte zum Entzug ebendieser „Freiheit“ führt. Die Meinungsfreiheit, die sich viele dieser Leute wünschen, ist hier als Hetze, Antisemitismus, Rassismus oder sonstige Diffamierung untersagt. Das sehen deutsche Richter eben anders: „Meinungsfreiheit hört da auf, wo die Menschenwürde anfängt.“
Ich selbst bin übrigens auch ganz gut darin: Ich bleibe nachts vor roten Ampeln stehen, lasse meine Kinder vom Rad absteigen, wenn dies in einem (komplett leeren) Park per Schild verlangt wird, setze mich aber nach einem feucht-fröhlichen Abend auf das Rad nun nehme betrunken am Straßenverkehr teil. Was mich daran aber am meisten wundert: dass es uns überhaupt wundert oder sogar aufregt?! Man zeige mir eine Person, die ihrem ethischen und moralischen Kompass das ganze Leben lang (das zumindest bis zur Volljährigkeit gedauert haben sollte) gefolgt ist, und ich werfe mein Konzept über den Haufen, dass man vom Menschen einfach keine Perfektion erwarten kann, da dieser nicht perfekt ist (aber so etwas von ganz und gar nicht).
Wer also meint, andere zu diffamieren oder anzugreifen, weil sie oder er nicht den eigenen moralischen Ansprüchen genüge, der sollte vielleicht erst einmal tief in sich gehen und sich überlegen, ob dieser Anspruch gerechtfertigt ist und ob man diesen überhaupt selbst erfüllt!? Denn gerade dieser Tage, wo der Ruf nach Demokratie wegen der Wahlen im Osten und in Österreich so laut klingt wie lange nicht, wäre dies ein guter, erster Schritt (anstatt aus dem Stand „Nazis!“ zu tönen). Denn nicht allzu selten ist das eigene Demokratieverständnis sehr einseitig und undemokratisch ausgeprägt, wie mir so scheint …