Je größer, desto scheiße

Da haben wir es wieder: Die Firma Böttcher AG sieht sich einer Kündigungswelle ausgesetzt, da jemand aus dem Aufsichtsrat eine knappe Millionen an die AfD gespendet hat. Nach dem Dementi, dass man die entsprechende Person seiner Position im Aufsichtsrat enthoben habe, ergeben die weiteren Recherchen die scheinbare Verwicklung des Gründers in die „Spendenaffäre“, und somit dreht sich das PR-Karussell. Das kennen wir schon zur Genüge, denn das ist so alt wie die Menschheit selbst: Je größer etwas wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht mehr funktioniert. In diesem Fall war es eine Spende (wie z. B. bei Müller, Weihenstephan, Landliebe), in anderen Fällen geht es um Ausbeutung der Arbeiterschaft (z. B. Amazon) oder nachlassenden Service und Kundennähe. Leider endet das aber nicht bei Konzernen!

Aus meiner Sicht verhält es sich auch mit politischen Parteien und sogar NGOs so. Kaum hat eine Partei es in den Bundeswahlkampf geschafft, geht es mit internen Streitereien richtig los, und die einst klare Linie wird zugunsten von Umfrageergebnissen und Beliebtheitswerten über Bord geschmissen (aktuell z. B. die Grünen/Bündins90 mit ihrem unbeholfenen Vorstoß in die Asylpolitik). Auch die Linke hat es vor einigen Jahren zerrissen, als die internen Streitigkeiten überhand nahmen, und das sogar, ohne je selbst regiert zu haben. Ich würde wohl auch den Vorstoß von Merz in Sachen Schulterschluss mit der AfD als nahezu reine PR-Kampagne bezeichnen.

Es wäre zu einfach, alles über einen Kamm zu scheren, aber ich ziehe Parallelen. Möchte man dem kapitalistischen Wachstumsprinzip hinterhereifern, dann heißt das: je mehr, desto mehr (was mich an meine Schulzeit erinnert: proportionale Zuordnung). Wenn also eine Partei, Firma oder sonstige Einrichtung die Chance hat zu wachsen, dann scheint es logisch, dies auch zu tun. Dass es aber nicht zwingend ist, zeigen viele Beispiele von Begrenzungen, die auch dem gesunden Menschenverstand nicht entgegenstehen: Wenn Städte den Tourismus regulieren, wenn lokale Gruppen sich nicht für bundesweite oder globale Ziele einsetzen, wenn selbstständige Unternehmerinnen und Unternehmer kein Personal einstellen, wenn Parteien nicht anfangen, links und rechts ihrer Zielgruppe auf Stimmenfang gehen (und sich häufig genug damit lächerlich machen, denn die Leute wählen erfahrungsgemäß eher das „Original“), und wenn Menschen essen, bis sie satt sind, nicht aus Befriedigung oder Langeweile ;)

Wie so häufig bleibt in erster Linie, die Realität so zu nehmen, wie sie denn eben ist. Im zweiten Schritt kann ich für mich entscheiden, dass „Think globally, act locally“ zumindest in manchen Fällen eine gute Option darstellt (wobei ich kaum eine Waschmaschine bekomme, die hier in Altona/Hamburg hergestellt wurde). Im dritten Schritt muss ich aufpassen, nicht in eine „Informationsverweigerungstaktik“ zu verfallen und die Verantwortung für mein Handeln auf Unwissenheit oder andere abzuschieben. Und im vierten Schritt gratuliere ich uns, dass wir uns mit unterströmt seit Jahren nicht dazu hinreißen ließen, Werbung zu schalten. Eigenlob stinkt, und ich gehe deshalb jetzt duschen …

Dirk

Jahrgang 1974, in erster Linie Teil dieser Welt und bewusst nicht fragmentiert und kategorisiert in Hamburger, Deutscher, Mann oder gar Mensch. Als selbstständiger IT-Dienstleister (Rechen-Leistung) immer an dem Inhalt und der Struktur von Informationen interessiert und leidenschaftlich gerne Spiegel für sich selbst und andere (als Vater von drei Kindern kommt dies auch familiär häufig zum Einsatz). Seit vielen Jahren überzeugter Vegetarier und trotzdem der Meinung: „Alles hat zwei Seiten, auch die Wurst hat zwei!“

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