Die Wallonie und die CETA-Kritiker werden unter medialen Beschuss genommen

Nachdem es nun so aussah, als würde das umstrittene Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada CETA doch erst mal vorläufig in Kraft gesetzt, kam nun aus der belgischen Region Wallonien ein „Stopp“, da das dortige Regionalparlament dem Vorgang so nicht zustimmt, sodass Belgien insgesamt ebenfalls nicht zustimmen kann. Während es vonseiten der CETA-Kritiker Beifall für Wallonien gibt, fahren die CETA-Befürworter nun alles an medialen Geschützen auf, was sie haben – und offenbaren dabei, dass man mithilfe der eigenen Publikationsmacht zu jeder Art der Diffamierung bereit ist, wenn es ernsthafte Störungen bei neoliberalen Großprojekten gibt.

Die ARD-Tagesschau gilt ja vielen immer noch als seriöse Informationsquelle, allerdings zeigt die Nachrichtensendung gleich mal mit einem Kommentar auf der Webseite (Ralph Sina) und einem Kommentar in der Fernsehausstrahlung (Markus Preiß), dass man in der Redaktion nichts davon hält, dass CETA nun zumindest ins Stocken gekommen ist. Sina betont dabei vor allem, indem er es sowohl in der Überschrift als auch im Schlusssatz hervorhebt (übrigens die beiden wichtigsten Stellen in Artikeln, um beabsichtigte Botschaften zu transportieren), dass nun die „Antieuropäer“ triumphieren würden – jede Kritik an CETA ist für ihn also quasi von rechts kommend und europafeindlich. Dass sowohl die NGOs, die sich gegen das Abkommen engagieren, als auch die Redner auf den Anti-CETA-Demonstrationen am 17. September betonen, dass sie nichts gegen Handel hätten, sondern nur gegen die Privilegierung von Unternehmensinteressen, wie sie in CETA zum Ausdruck kommt, ist ihm dabei recht egal. Wichtig ist es, Andersdenkende in eine Schmuddelecke zu stellen und so zu diskreditieren. Dass sich Sina dabei dann in seinem Furor selbst widerspricht, wenn er einmal schreibt:

Zwar versuchte die Juncker-Kommission, stärker auf die Bedenken einzugehen. Und sorgte dafür, dass die privaten Schiedsgerichte aus dem Kanada-Abkommen verschwanden.

Nur um dann ein paar Sätze später zu verlautbaren:

Wie außergewöhnlich gut das CETA-Agreement ist, zeigt die Tatsache, dass die USA immer wieder in Ottawa Druck gemacht haben. Und den Kanadiern hinter den Kulissen vorwarfen, der EU viel zu weit entgegengekommen zu sein. Zum Beispiel durch das neue Schiedsgerichtsmodell.

Vielleicht sollte sich Herr Sina mal informieren, ob denn die Schiedsgerichte nun gestrichen oder modifiziert wurden. Zumindest sollte man so eine Minimalrecherche von einem seriösen Journalisten erwarten können. Wobei: Mit seriösem Journalismus hat Sinas plumpe Stimmungsmache im Sinne der neoliberalen CETA-Befürworter ja eh wenig zu tun.

Sein Kollege Preiß wettert dann lieber gegen den wallonischen Ministerpräsidenten Paul Magnette und NGOs, die sich gegen CETA engagiert haben, und wirft ihnen (und damit auch den Millionen von Unterstützern) Verantwortungslosigkeit, Opportunismus und Populismus vor. Demokratie sei es eben auch, so Preiß, Kompromisse zu finden. Interessante Sichtweise, wenn man bedenkt, wie zuvor die Proteste gegen das Abkommen einfach ignoriert wurden. Kompromisse sind für Preiß also anscheinend immer so, dass letztlich die Interessen von Wirtschaft und Konzernen durchgesetzt werden – das ist Hofberichterstattung für die sogenannten Eliten und hat m. E. im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nichts zu suchen.

Auch der Spiegel betreibt – wen wundert’s ? – recht plumpen Schmierenjournalismus, indem Markus Becker Paul Magnette in der Überschrift seines Kommentars zu dem Thema erst mal als „Möchtegern-Asterix“ verunglimpft. Dann fordert er auch Kompromisse (wie das auf einmal bei der Journaille ganz vorn auf der Tagesordnung steht) und wirft den Wallonen vor, ohnehin nur eigene innenpolitisches Kalkül zu verfolgen mit ihrem Nein. Wenn man sich mit dem Thema CETA auseinandergesetzt hat, dann konnte man allerdings schon vorher wissen, dass in Wallonien keine große Zustimmung zu dem Abkommen vorhanden ist, aber das lässt man lieber aus, wenn man wie Becker ein bisschen Stimmung machen möchte. Dass er dann auch noch davon fabuliert, dass „Tausende Arbeitsplätze“ auf dem Spiel stehen, zeigt, dass sich Becker in der Tat nicht viel mit dem Abkommen beschäftigt hat, denn schließlich zeigt ja ein Blick auf das ähnliche NAFTA-Abkommen, dass dies vielmehr etliche Arbeitsplätze vernichtet hat.

Es ist schon interessant, wie unsere „Qualitätsmedien“ agieren:

Da wird ein Abkommen im Geheimen verhandelt – geschenkt!

Da werden vor allem Wirtschaftslobbyisten zu den Verhandlungen und Beratungen hinzugezogen, zivligesellschaftliche Akteuer und Organisationen werden hingegen weitgehend außen vor gelassen – geschenkt!

Es gibt eine europäische Bürgerinitiative mit über drei Millionen Unterzeichnern, Demonstrationen mit Hunderttausenden von Teilnehmern und die größte Bürgerklage in der Geschichte der Bundesrepublik mit über 100.000 Klägern gegen CETA – geschenkt!

Sowohl zahlreiche Rechtsexperten als auch Ökonomen betrachten das Abkommen ausgesprochen kritisch, bei den positiven Effekten wurde es vonseiten der Befürworter hingegen schon mal nicht so ganz genau genommen mit der Wahrheit – geschenkt!

Es wurde also die ganze Zeit Politik offensichtlich gegen einen großen Teil der sich entsprechend artikulierenden Bevölkerung gemacht, und das war für diese Schreiberlinge keine Erwähnung wert. Wenn nun allerdings tatsächlich mal Parlamente dagegen votieren, dann erfolgt sogleich ein Aufschrei, der zudem journalistische Tugenden vollkommen vermissen lässt und ausschließlich der Empörung derjenigen Ausdruck verleihen soll, die von Abkommen wie CETA profitieren werden – und das dürften nicht allzu viele Menschen sein, sondern vor allem diejenigen, die ohnehin schon mehr als genug Geld haben. Eine derartige Parteinahme zugunsten der Herrschenden ist mit der vermittelnden und kontrollierenden Rolle, die Medien in einer Demokratie eigentlich spielen sollten, nur schwer unter einen Hut zu bringen.

Diejenigen, die dieses Vorgehen von Medien und Politik kritisieren, sind da leider, was die Publikationsmacht angeht, in einer sehr unterlegenen Position, denn sowohl wir von unterströmt als auch eine Webseite wie finanzmarkwelt, die sich in einem lesenswerten Artikel nicht nur kritisch mit der medialen Rezeption, sondern auch mit den angeblichen Segnungen von CETA befasst, haben natürlich deutlich geringere Reichweiten als Tagesschau und Spiegel. Wer also nicht unbedingt abseits des Mainstreams gezielt nach Informationen sucht, der wird ausgesprochen einseitig pro CETA indoktriniert.

Dabei gibt es ja durchaus Dinge, die man an dem derzeitigen Geschehen und der Blockademöglichkeit Walloniens kritisch betrachten könnte, aber dazu bedarf es eben einer differenzierten Sichtweise, zu der Meinungsmacher wie die oben verlinkten anscheinend nicht fähig sind. Auf seiner Facebook-Seite präsentiert der EU-Abgeordnete der Grünen Sven Giegold ein Interview auf Phoenix, in dem er die Problematik anspricht, die nun grundsätzlich in Entscheidungsstrukturen bei der EU liegen. Schließlich könnte ja auch mal etwas, was man als CETA-Gegner positiv findet, zum Beispiel ein europaweiter Atomausstieg, derart blockiert werden. Hier wäre also eine Diskussion über die demokratischen Prozesse und Legitimierungen innerhalb der EU zu führen, aber das unterbleibt leider nahezu vollständig, denn das würde dann ja auch wieder den ganzen bisherigen CETA-Abstimmungsprozess, der alles andere als demokratisch war, und andere von der Wirtschaftslobby beeinflusste EU-Entscheidungen infrage stellen.

Demokratie wird also als Argument vorgeschoben, um so die Durchsetzung von Partikularinteressen zulasten der Allgemeinheit zu forcieren, und unsere sogenannten Leit- und Qualitätsmedien erweisen sich als dienstbare Helfer bei diesem demokratiefeindlichen Vorgehen. Der Vertrauensverlust, den man vonseiten der Journalisten seit Längerem beklagt, wird auf diese Weise bestimmt nicht verringert werden können …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

4 Gedanken zu „Die Wallonie und die CETA-Kritiker werden unter medialen Beschuss genommen“

  1. Eine interessante Angabe zu diesem Thema fand ich gerade in einem Telepolis-Artikel, und auch die taz berichtet darüber, nämlich dass übe 2000 Regionen und Kommunen in den EU-MItgliedsländern sich explizit sowohl gegen CETA als auch gegen TTIP ausgesprochen haben. Dass nun eine kleine Minderheit aus der Wallonie den Willen aller EU-Bürger blockiert, davon kann also keine Rede sein.

    Aber es ist schon interessant: Wenn ein nicht demokratisch legitimiertes Gremium, die EU-Kommission, ein Abkommen beschließen möchte, was auch erhebliche Auswirkungen auf die Gemeinden und Kommunen hat, und sich dann deren gewählte Vertretungen dagegen aussprechen, dann ist ein solches Veto in der Lesart unserer Mainstream-Medien undemokratisch. Das ist an Absurdität eigentlich kaum noch zu toppen.

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