Rechter Terror zu Silvester in Bottrop und Essen

In Bottrop und Essen ist in der Silvesternacht ein Mann mit einem Fahrzeug in mehrere Menschengruppen hingefahren mit der Absicht, Ausländer zu töten, wie er selbst bekundete. Bei der Festnahme hat er zudem rassistische Parolen geäußert. Sieht nach einem klaren Fall von Rechtsterrorismus aus – sollte man zumindest meinen. Allerdings ist man vonseiten der Politik und auch vieler Medien nun vor allem darum bemüht, auf die psychische Indisposition des Attentäters abzustellen und diese abscheuliche Tat, bei der nur durch Glück niemand getötet wurde, so zu entpolitisieren und als Allgemeinverbrechen zu werten. Ein unglaublicher Vorgang!

Auf besonders abscheuliche Art und Weise hat sich dabei Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hervorgetan. Niema Movassat (Die Linke) hat das auf seiner Facebook-Wall treffend kommentiert:

Laut NRW-Innenminister Reul entwickelte der Rechtsterrorist, der in Bottrop und Essen mit seinem Auto in Menschen reinfuhr, „aus einer persönlichen Betroffenheit heraus Hass auf Fremde.“ Eine Erklärung direkt aus der Hölle. Was kommt als nächstes?

Nach einer Vergewaltigung: Der Mann entwickelte aus persönlicher Betroffenheit Hass auf Frauen.
Nach einem dschihadistischen Anschlag: Der Mann entwickelte aus persönlicher Betroffenheit Hass auf Ungläubige.

Reul liefert eine der widerlichsten Verharmlosungen rassistischer Gewalt, die ich bisher erlebt habe. Opfer werden zu Tätern umgedeutet, der Täter zum Opfer. Reul sollte schleunigst seinen Hut nehmen.

Solche Aussagen könnten auch direkt von einem AfD-Politiker oder noch weiter rechts Stehenden kommen. Doch Reul befindet sich in „guter Gesellschaft“, wie aus einem Video von der Bundespressekonferenz auf der Facebook-Seite von Jung & Naiv hervorgeht. Dort betont der Sprecher des Bundesinnenministeriums Schmidt, dass dieser Anschlag der allgemeinen Kriminalität zuzuordnen und kein rechtsterroristischer Hintergrund zu erkennen sei.

Selbst bei eindeutig rechten Ansichten und Aussagen des Täters wird nun abgewiegelt und das übliche Erklärungsmuster (wie bereits nach dem Attentat von Münster im letzten Sommer in einem Artikel auf unterströmt beschrieben) verwendet: Terror wird grundsätzlich nur von „den anderen“, zurzeit eben vor allem Muslimen, ausgeübt, wenn die Terroristen aus unserem eigenen Kulturkreis stammen, dann sind das psychisch verwirrte Einzeltäter.

Mal davon abgesehen, dass ich generell jeden, der andere Menschen aus religiös oder politisch fanatischen Motiven umbringt (und oft dabei auch sich selbst ins Jenseits befördert), für psychisch gestört halte, so wird mit diesem Erklärmuster auf erschreckende Weise ignoriert, wie rechter Terror eben funktioniert, nämlich meistens nach dem sogenannten Lone-Wolf-Schema – ein Grund auch, warum rechte Terrorstrukturen so schwer aufzudecken und nachvollziehen sind, wie ein ausgesprochen lesenswerter Artikel auf Deutschlandfunk Kultur, der sich vor einiger Zeit mit genau diesen Strukturen in der Bundesrepublik beschäftigt hat, feststellt. Die Verharmlosung von Rechtsterrorismus ist demzufolge also kein neues Phänomen, sondern hat eine gewisse Tradition. Und das, obwohl durch keine andere Form des Terrorismus mehr Menschen in diesem Land gestorben sind, wie auch Matthias Drobinski in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung feststellt:

Diese Entpolitisierung rechter Gewalt – und die Amokfahrt des Mannes aus Bottrop war eine politisch motivierte Tat – ist aber alles andere als ein Einzelfall. Die Bundesregierung selber teilte im Juni mit, seit dem 3. Oktober 1990 seien 76Menschen durch rechte Gewalttäter ums Leben gekommen, andere Berechnungen gehen von mehr als 150 aus. Mit weitem Abstand hat keine andere politisch motivierte Gewalt in der Geschichte der Bundesrepublik so viele Opfer gefordert wie die von rechts. Nur wurde und wird sie immer noch oft nicht als politisch motivierte Gewalt angesehen: War halt eine Kirmesschlägerei, sind irgendwelche Idioten aneinandergeraten, war ein Totschlag im Suff.

Da muss man sich nun die Frage stellen: Ist das politische Personal von Reul bis Seehofer nun tatsächlich so dumm, das nicht zu wissen? Oder betreiben sie diese Verharmlosung mit vollem Bewusstsein, was dann allerdings auch eine gewisse Sympathie für rechten Terror implizieren würde? Ersteres ist kaum vorstellbar, da sich selbst im Umfeld von Unionspolitikern zumindest noch ein paar intelligente Berater befinden sollten, Letzteres wäre hingegen wirklich erschreckend, aber leider auch recht stimmig. Schließlich beschrieb ja bereit 2009 Heribert Prantl in seinem lesenswerten Buch „Der Terrorist als Gesetzgeber“, wie vor allem rechte Politiker Terrorismus ausnutzen, um den Rechtsstaat zu schleifen sowie polizeistaatliche und totalitäre Überwachungsmaßnahmen zu implementieren.

Und man kann aufgrund der Äußerungen des Attentäters von Bottrop wohl davon ausgehen, dass die zahlreichen rechtslastigen Hetzaussagen von Seehofer und Co. zu seiner Entscheidung, Ausländer töten zu wollen, ein gutes Stück beigetragen haben.

Was für ein perfides Spiel! Erst wiegelt man Menschen (vor allem auch psychisch labile) politisch auf, und wenn diese dann dementsprechend dieser Hetze abscheuliche Taten folgen lassen, wiegelt man mit einer Entpolitisierung von deren Verbrechen ab. Wie tief kann man sinken und wie wenig politischen Anstand kann man haben?

Und dann ist es der gleiche Bundesinnenminister, der nach härteren Abschieberegeln und Gesetzesverschärfungen keift, nachdem in Amberg eine Gruppe von betrunkenen Asylbewerbern in der Silvesternacht Passanten beleidigt und auch tätlich angegriffen hat. Damit macht Seehofer sich mal wieder gemein mit den Agitatoren von ganz Rechtsaußen, wie aus einem Artikel auf Spiegel Online hervorgeht, der sich mit der Ausschlachtung der Amberger Geschehnisse durch rechte Internettrolle befasst.

Denn das diese beiden Vorfälle, der Anschlag von Bottrop und die Vorfälle in Amberg, immer wieder von Politiker, Rechten und auch vielen Medien quasi in einen Topf geworfen werden, ist ausgesprochen unstatthaft, wie auch ein Kommentar von Marco Bertolaso auf Deutschlandfunk feststellt:

Deutschland spricht heute über zwei Gewalttaten. Doch wer Amberg mit Bottrop vergleicht, vergleicht Äpfel mit Birnen. Vergessen wir kurz die Herkunft der Täter. In Bottrop und Essen hat ein Mann offenbar versucht, viele Menschen zu töten. Was er getan hat, das nennt man Terror. Käme er aus Syrien, ja hätte man in seiner Wohnung nur eine einzige abgewetzte Reclam-Ausgabe des Koran gefunden, in Deutschland wäre der Teufel los.

In Amberg haben vier jugendliche Asylsuchende Passanten verletzt. Das ist ebenfalls ein schlimmes Verbrechen. Doch so hart es klingt: Wären die brutalen Schläger von Amberg oberpfälzische Abiturienten, die Meldung wäre nicht über die regionalen Medien hinausgekommen. Gewaltexzesse von jungen Männern mit oder ohne Alkohol sind kein Einzelfall.

Und genau das zeigt letztlich den Unterschied auf zwischen beiden Verbrechen, deren Folgen für die Opfer nun in Bottrop zudem aufgrund der schwerwiegenderen Verletzungen auch um einiges härter ausgefallen sind. Was noch dazukommt: Es gab überall in Deutschland in der Silvesternacht (wie eigentlich schon seit Jahren) haufenweise Schlägereien, körperliche Übergriffe und weitere Abscheulichkeiten, in aller Regel ausgeübt von betrunkenen (zumeist) Männern. Eine kurze Suche im Netz ergab hier auf die Schnelle etliche Meldungen, z. B. aus Köln, Franken oder selbst in den eher beschaulichen Orten Winterberg oder Wurzen (wobei letztere Attacke schon Ähnlichkeiten mit den Vorfällen in Amberg aufweist, aber davon war bisher kaum was von Politik und Medien zu vernehmen – die Täter waren eben Deutsche). Wer also etwas gegen Ausschreitungen und Verletzte an Silvester machen sollte, der könnte beispielsweise damit anfangen, privates Feuerwerk zu verbieten oder die öffentlichen Besäufnisse zu reglementieren. Da traut sich hingegen niemand, schon gar nicht von rechten Parteien, ran, also ist es eben einfacher und der eigenen politischen Agenda dienlicher, auf Taten von Asylbewerbern zu fokussieren.

Horst Seehofer und Herbert Reul haben die Grenze des Erträglichen schon oft überschritten, nun haben sie sich für mich allerdings endgültig disqualifiziert, um noch als Demokratie und Rechtsstaat vertretenden Politiker wahrgenommen zu werden – und mit ihnen ihre Parteien CDU und CSU, die solche rechten Hetzer und Terrorrelativierer in ihren Reihen dulden und ihnen sogar exponierte Positionen zuschustern. Bottrop hat gezeigt, dass die Unionsparteien nun endgültig nicht mehr dem demokratischen Spektrum, sondern dem offen propagierten Rassismus, Fremdenhass und damit auch Rechtsextremismus zugeordnet werden müssen! Und damit steht dann auch einer Koalition mit der AfD, die ja von immer mehr Unionspolitikern ins Spiel gebracht wird, nichts mehr entgegen …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

2 Gedanken zu „Rechter Terror zu Silvester in Bottrop und Essen“

  1. In einem Artikel in der taz fasst Konrad Litschko den bisherigen Stand der Ermittlungen zum Anschlag von Bottrop gut zusammen und verweist vor allem auch noch mal darauf, dass dieser Vorfall in einer Reiher mit einigen anderen rechtsterroristischen Angriffen der letzten Jahre zu sehen ist. Der Täter war zwar zuvor nicht polizeibekannt, habe sich dann aber in einem aufgeheizten gesellschaftlichen Klima von rechter Hetze aufwiegeln und so letztlich zu seiner Tat bringen lassen. Dies ist ein typischen Verhaltensmuster von Rechtsterroristen, gegen das es leider nur wenig Prävention gibt. Insofern sei es eben wichtig, dieses Attentat als Terrorismus zu werten, um ein deutliches Zeichen gegen mögliche Nachahmungstäter zu setzen.

  2. Thomas Laschyk widmet sich in einem Artikel auf Der Volksverpetzer den Reaktionen von Rechten auf den Terroranschlag, und diese sind wahrlich widerwärtig: Diejenigen, die sonst immer meinen, man können ja nicht mehr sicher auf die Straße gehen, bejubeln nun diesen feigen Anschlag und feiern den Attentäter.

    Darin offenbart sich, dass es den Rechten nicht um Sicherheit oder tatsächlich eine rationale Diskussion von Gefahren geht, sondern ausschließlich um Rassismus. Und allzu viele Medien unterstützten auch genau dies noch.

    Deutschland 2019, das Land der Terrorklatscher!

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