Hetzjagd auf die GDL

Putin und IS waren gestern, es gibt eine neue Personifizierung des einzig wahren Satans in Deutschland: Claus Weselsky, Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Der Postillon hat dies hier auf seine eigene satirische Art sehr treffend dargestellt (wie immer mit einer ordentlichen Portion Wahrheit darin), und von den meisten der sogenannten Leitmedien aufgestachelt, ergehen sich immer mehr Menschen in wütenden Äußerungen in Richtung der GDL: Da ist von reinen Machtspielen die Rede und dem Unding, die Vertretung der eigenen Interessen so auf dem Rücken der Bürger auszutragen, an Wortgewalt mangelt es dabei zudem auch nicht, wenn die GDL als „Terroristen“ und Weselsky als „Taliban“ bezeichnet werden. Dabei wird dann erschreckend häufig der Verstand ausgeschaltet und nur das nachposaunt, was einem BILD, Spiegel und Co. vorsetzen und was eben auch den Frust über ein Umdisponieren der eigenen Bahnfahrerei unterfüttert. Solidarität mit den Streikenden? Fehlanzeige!

Doch es gibt sie tatsächlich, die Stimmen, die sich für das Anliegen der GDL einsetzen und Verständnis für deren Vorgehen aufbringen. Diese will ich hier mal ein bisschen gebündelt präsentieren, um so ein etwas differenzierteres Bild zu vermitteln als das, was medieninduziert zurzeit bei vielen Deutschen vorherrscht und vor allem auch durch soziale Medien weitere Verbreitung findet.

Etwas überraschend schlägt sich die in letzter Zeit doch zunehmend neoliberaler und damit arbeitnehmerunfreundlicher agierende Zeit auf die Seite der GDL. Einen Orden für den GDL-Chef ist dort ein Kommentar von Ludwig Greven betitelt, der dann auch acht gute Gründe liefert, warum das Vorgehen der GDL nicht nur legitim, sondern sogar vorbildlich  ist. Der ebenfalls dort erschienen Artikel 114 Tage Streik ordnet das Ganze dann auch mal in die bundesrepublikanisch Historie ein, sodass man sieht, dass es schon deutlich größere und längere Streiks gab – nur dass sich da dann eben weite Teile der Bevölkerung mit den Streikenden solidarisch gezeigt haben.

Diese Aspekt der fehlenden Solidarität nahm sich auch Max Uthoff in der letzten Folge der Anstalt vor, als er auf den GDL-Streik zu sprechen kam – pointiert, wie man es von ihm stets gewohnt ist. Sehenswerte zwei Minuten!

Auf den Nachdenkseiten liefert Jens Berger in dem Artikel Bahnstreik – Ich bin ein GDL-Versteher interessante Hintergrundinfos zur Entstehung und Geschichte der beiden bei der Deutschen Bahn konkurrierenden Gewerkschaften GDL und EVG. Nach der Lektüre wird einem klar, warum die EVG zurzeit immer als „die Guten“ dargestellt werden, da diese Gewerkschaft selten im Interesse der Arbeitnehmer gehandelt und sich oft zu halbseidenen Kompromissen bereiterklärt hat. Norbert Hanse, der der EVG (damals noch unter ihrem alten Namen Transnet) vorstand, wurde für ein derartig arbeitnehmerfeindliches Verhalten dann auch direkt mit einem Vorstandsposten bei der Deutschen Bahn belohnt, der ihm in knapp zwei Jahren mehr als drei Millionen Euro einbrachte. Irgendwie nachvollziehbar, dass die GDL auf diesen Verein nicht so richtig gut zu sprechen ist – und dass die Arbeitnehmerseite sich natürlich solche Gewerkschaftsvertreter wie die EVG wünscht, da sie mit diesen machen kann, was sie will. Ebenfalls auf den Nachdenkseiten äußert sich Jens Berger dann auch noch in dem Artikel Bahnstreik – Aus den Zeilen tropft Hass über die vollkommen unangebrachte und hetzerische Rezeption in den meisten Medien, teilweise arg unter der Gürtellinie und bar jeden journalistischen Anstands, wenn beispielsweise BILD die Telefonnummer von Weselsky und Focus sogar ein Bild vom Haus inklusive Ortsangabe des (laut dem Magazin) „meistgehassten Deutschen“ veröffentlichen. Einen interessanten Gedanken wirft Berger am Ende des Artikels auf:

Warum stellt die Deutsche Bahn sich bei den Verhandlungen mit der GDL eigentlich derart stur? Nur um einen Arbeitskampf anzuzetteln, den sie nach realistischer Einschätzung gar nicht gewinnen kann? Oder könnte es vielmehr so sein, dass die Deutsche Bahn von Seiten der Arbeitgeber als „Agent Provocateur“ dient, um Seit´ an Seit´ mit den Medien und der Großen Koalition die öffentliche Meinung zugunsten einer gesetzlichen Beschneidung der Arbeitnehmerrechte zu drehen? Wenn dieser Gedanke nicht all zu abwegig sein sollte, dann wird der Michel seinen „gerechten Zorn“ auf die Lokführer noch teuer bezahlen. Ein Grund mehr, sich solidarisch mit dem Arbeitskampf der GDL zu erklären und der Hetzkampagne der Medien zu widerstehen.

Bahn-Streik: Ein Dank an die Lokführer ist der Titel der Jakob-Augstein-Kolumne auf Spiegel online (eine der wenigen noch lesenswerten Sachen auf dem Portal), in dem auch er eine Lanze für Weselsky bricht und zudem ebenfalls in der momentanen Reaktion vieler Deutscher auf den Streik eine deutliche Entsolidarisierung erkennt. Den gleichen Tenor hat auch die Wutrede Claus Weselsky Superstar von Alexander Wallsch auf The European.

Der Artikel Die Neidgesellschaft von Sebastian Müller auf dem Blog Le Bohemian ordnet das unsolidarische Verhalten vieler Deutscher in Bezug auf den GDL-Streik als unserem derzeitigen Wirtschaftssystem immanent ein und beschreibt, wie diejenigen, die sehr wenig haben, neidisch gemacht werden auf diejenigen, die auch wenig, aber eben etwas mehr haben. Die Resultate dessen habe ich ja kürzlich schon mal hier auf unterströmt in dem Artikel Die Verrohung des Bürgertums geschildert.

Viel zu lesen also, was eine etwas andere Sichtweise des Bahnstreiks ermöglicht. Der Versuch eines kurzen Fazits dieser ganzen interessanten Artikel: Nach der Privatisierung der Bahn sind die Lokführer nicht mehr verbeamtet (was mit einigen Nachteilen für sie verbunden ist) und haben somit aber auch das Recht zu streiken. Hiervon machen sie nun Gebrauch, und das das dann zwangsweise mit Einschränkungen im Bahnverkehr verbunden ist, reicht ordentlich Stimmungsmache gegen die GDL aus, um einen Großteil der eh schon entsolidarisierten Bevölkerung gegen dieses vollkommen legitime Mittel des Arbeitskampfes aufzubringen. Auch vonseiten der Politik ist da (bis auf die Linkspartei oder vereinzelter Stimmen, wie zum Beispiel Hans-Christian Ströbele von den Grünen) keine Unterstützung zu erwarten, ganz im Gegenteil: Arbeitsministerin Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, prescht mit einem Gesetzentwurf vor, der unter dem Deckmäntelchen der Tarifeinheit kleinere Gewerkschaften wie die GDL quasi zur Handlungsunfähigkeit verdammen will.

Insgesamt stellt dies einen bezeichnenden Vorgang für den Zustand unserer Gesellschaft da: Die sogenannten Leitmedien betrieben Kampagnenjournalismus in großem Stil und hetzen dabei ohne jeden Anstand gegen unliebsame Personen, der Großteil der Bürger glaubt den Kram auch, ohne mal darüber nachzudenken, ob es nicht für ihn selbst auch von großem Nachteil sein könnte, wenn nun (wie in diesem Fall) dann als Resultat das Streikrecht beschnitten wird, die SPD hat mit sozialdemokratischen Ideen oder gar Arbeitnehmervertretung nichts mehr am Hut – und die eigene Bequemlichkeit geht vielen deutlich über einen solidarischen Zusammenhalt mit eigentlich Gleichgesinnten. So sieht ein Volk von bequem zu ihrem eigenen Nachteil zu regierenden Untertanen aus, nicht ein Volk von mündigen Bürgern! Gute Nacht, Deutschland!

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

2 Gedanken zu „Hetzjagd auf die GDL“

  1. Da das Thema ja zurzeit brandaktuell ist, gleich noch eine Anmerkung hinterher: Wieder einmal Jens Berger (im Zusammenspiel mit einem Leserbrief von Erik Jochem) erklärt auf den Nachdenkseiten in dem Artikel Worum geht es im GDL-Streik eigentlich? die tarifrechtlichen Hintergründe. Interessant vor allem, wenn man bedenkt, wie diese an und für sich gewerkschaftlich vollkommen selbstverständlichen Dinge nun in den Medien aufgebauscht werden in dem Sinne, das Weselsky nur machtgeil sei und es ihm gar nicht um die Interessen seiner Mitglieder geht.

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