Smartphone vs. Politik

Auf mich selbst wirkt der Titel schon verwirrend, denn warum nicht beides? Als wären diese beiden Dinge unvereinbar. Nein, das sind die absolut nicht, aber wenn ich auf die Straße gehe und Menschen frage, was mit ihrer Lebensrealität mehr zu tun hat, dann ist es meistens das Smartphone, was als täglicher Begleiter ein Kernelement des Lebens angeführt wird. Die Politik ist häufig etwas Fernes und Abstraktes, hinter verschlossenen Türen und von anderen gemacht. Aber ist das wirklich so?

Das neue Smartphone ist da, endlich! Das letzte Modell hat nach wenigen Monaten seinen Dienst getan, es ist mit mir durch dick und dünn gegangen, hat so manchen Kratzer oder Sprung in seiner Schale und meinem Leben hinterlassen. Stolz kann ich dieses jetzt wieder makellose Objekt der Begierde aus der Tasche ziehen, noch schärfere Fotos von den unnatürlich gut aussehenden Konsumgütern machen (ob Cappuccino mit Milchschaumblüte oder neue Sneaker im 80er-Retrolook) und diese dank neuster Technik noch schneller in meine digitale Identität hochladen. Der neue Akku hält wieder so lange, wie der asiatische Hersteller es propagierte, und ich kann es noch individueller an mein Ego anpassen: Neue LED-Farben und Klingeltöne drücken noch mehr Individualität aus, und die animierte Oberfläche macht schon das Navigieren in den zahllosen Menüs zu einem Kinoerlebnis. Es versorgt mich mit ununterbrochener Unterhaltung während meiner Bahnfahrt, zeigt mir das aktuelle Wetter (auch in fernen Regionen dieser Welt), und ich kann alle aktuellen Trends und Nachrichten in knappen Happen durchblättern. Und ganz nebenher erledige ich meine Bankgeschäfte und Einkäufe, halte meine sozialen Kontakte aufrecht und verbinde mich täglich mit neuen Freunden, davon kann man ja nicht genügend haben! Ein Segen für mein Leben.

Was hat das nun aber mit Politik zu tun? Die Antwort ist kurz: so ziemlich alles. Alle Umstände, in denen ich mich befinde, sind dem politischen System und seiner Akteur*innen zuzuschreiben. Angefangen von meinen wirtschaftlichen Verhältnissen (Was kann ich mir finanziell erlauben?) über die Anbindung meines Smartphones (Wie ist die Netzabdeckung und wer hat Zugang dazu?) bis hin zu meinem Wohnort (Welche Miete kann ich mir noch leisten und – damit verbunden – welche Infrastruktur ist in meiner Wohngegend vorhanden?). Kann ich meine Meinung frei äußern (ohne Angst vor staatlichen Repressionen und Gefängnis haben zu müssen) und werden dabei meine Daten geschützt (weil Digitalisierung nicht nur schneller und mehr bedeutet)?

Wir haben uns an viele Annehmlichkeiten gewöhnt und in Großstädten gibt es Zugang zu WLAN und Mobilität, zu einer Vielfalt an Gastronomie sowie nahtlose und schnelle Anbindung an die Lieferstruktur der Paketdienste. Wir dürfen ausländische Dienste wie TikTok uneingeschränkt nutzen und ich kann auf regierende Politiker schimpfen und demokratiefeindliche Inhalte „liken“ und teilen, ohne dafür rechtlich belangt werden zu können. Fast schon verdächtig mundfertig wird uns der Umgang mit dem Smartphone an allen Stellen vereinfacht und forciert: kostenloses WLAN an jeder Ecke, Aufladestationen in Bussen und Bahnen und kaum noch ein mediales Angebot, dass sich nicht der Überschriftenrhetorik unserer Zeit anpasst. Als gäbe es nichts Natürlicheres, als seine Zeit mit dem oft unreflektierten (aber reflexartigen) Konsum zu vergeuden, anstatt auch einmal innezuhalten, um Dinge zu verarbeiten und in sich arbeiten zu lassen, um dann auch die Früchte seiner Gedanken zu ernten. Wenn ich nicht den Aufschrei vor der Furcht vor einer Diktatur vor meinem geistigen Ohr hören würde, wäre der Vorschlag nach einer internet- und smartphonefreien Stunde aus meiner Sicht nicht völlig abwegig. Da werden die Erinnerungen an den Veggieday wieder wach und schüren alte Ängst.

All die Freiheiten sind nicht selbstverständlich, auch wenn wir das gerne mal vergessen! Eine Regierung, die anders denkende Menschen nicht wegsperrt oder für immer verschwinden lässt, die muss man sich durch Positionierung und Beteiligung, durch Diskurs und persönliches Engagement erarbeiten. Wirkliche Macht bedeutet, seine Interessen ohne Gewalt durchsetzen zu können, denn wer auf Gewalt setzt, der hat keine Macht. Das zeigt auch, wie machtlos die aggressiven Demonstrationen von Klima- und Corona-Leugnern sind: Sie beschimpfen und beleidigen, schreien und spucken die freie Presse an und rufen teilweise sogar zur Gewalt auf. Das alles scheint mir Ausdruck der Angst, da die Stimmen nach sozialer Gerechtigkeit, Umweltschutz und einem Ende des maßlosen (und egoistischen) Kapitalismus immer lauter und zahlreicher werden.

In der Politik ist nur eines sehr viel einfacher als am Smartphone: Ich kann einfach meine „Stimme abgeben“. Damit gebe ich meinen Einfluss auf all die oben genannten Dinge aus der Hand, sehe das Thema als erledigt an, habe meine „Pflicht“ getan, so wird mir vermittelt. Kaum jemand würde auf die Idee kommen, seine digitale Identität aus der Hand zu geben, es sei denn man ist dermaßen prominent, dass man selbst nicht mehr alle Kanäle bedienen kann, die zur einer umfassenden, digitalen Präsenz und Vermarktung als nötig erachtet werden. Und ich bin mir sicher, dass sich ein Großteil der aktuellen Politik, dem System der repräsentativen Demokratie, genau diese Einfachheit wünscht: Stimme abgeben und Ruhe im Karton. Nicht mit mir. Und wie ist es bei Dir? Schön, dass Du den Beitrag bis zum Ende gelesen hast und danke für Deine Zeit, denn die ist kostbar.

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Dirk

Jahrgang 1974, in erster Linie Teil dieser Welt und bewusst nicht fragmentiert und kategorisiert in Hamburger, Deutscher, Mann oder gar Mensch. Als selbstständiger IT-Dienstleister (Rechen-Leistung) immer an dem Inhalt und der Struktur von Informationen interessiert und leidenschaftlich gerne Spiegel für sich selbst und andere (als Vater von drei Kindern kommt dies auch familiär häufig zum Einsatz). Seit vielen Jahren überzeugter Vegetarier und trotzdem der Meinung: „Alles hat zwei Seiten, auch die Wurst hat zwei!“

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