Kriminalitätsstatistik

Letzte Woche wurde die Kriminalitätsstatistik vom vergangenen Jahr veröffentlicht, und das sorgte für reichlich Aufregung – und vor allem auch für reichlich plumpe Stimmungsmache von Rechtsaußen und anderen Bauernfängern.

Nachdem die Anzahl der in dieser Statistik aufgeführten Straftaten seit 2016 kontinuierlich sank, ist nun nämlich erstmals wieder ein Anstieg der Zahlen zu verzeichnen, und ein Aspekt dabei ist, dass verhältnismäßig viele Nichtdeutsche dort auftauchen. Das war natürlich ein gefundenes Fressen für AfD und Co., aber leider auch für jemanden wie Sahra Wagenknecht (s. hier), ein härteres Vorgehen gegen Ausländer und Asylbewerber zu fordern, da man sich damit ja nun offenbar Kriminalität importiert hätte.

Diese vollkommen unterkomplexe Lesart der Daten wird der Statistik natürlich in keiner Weise gerecht, sondern dient nur der Aufwiegelung von Menschen und der Bedienung rassistischer Stereotypen. So wird nämlich zum Beispiel von solchen Krakeelern nie berücksichtigt, dass es ja nicht nur Delikte von Nichtdeutschen gibt, die hier gemeldet sind, sondern auch von vielen anderen: Touristen, Saisonarbeiter, Transitreisende usw. Wenn also eine solche Person eine Straftat begeht, dann wird diese als Ausländerkriminalität registriert, was natürlich dann deren Verhältnis von Delikten pro gemeldeten Nichtdeutschen in die Höhe treibt, da diese Menschen ja gerade keinen Wohnsitz hier haben.

Ein weiterer Aspekt: Diejenigen, die hierher geflüchtet sind, sind überproportional häufig junge Männer. Klar, der Weg ist oftmals lebensgefährlich und sehr beschwerlich, da schickt niemand die klapperige Oma los, sondern erst mal einen kräftigen jungen Mann, der dann bei erfolgreicher Ankunft in Deutschland seine Familie nachzuholen versucht. Und die meisten Straftaten insgesamt gesehen werden nun mal von jungen Männern, die in prekären sozialen Umständen leben, begangen.

Dazu hat ein Faktenfinder-Artikel der Tagesschau dann auch was Interessantes zu sagen:

Vergleicht man dagegen zum Beispiel nur junge Männer aus prekären sozialen Verhältnissen mit Gewalterfahrung, so gleicht sich auch die Kriminalitätsbelastung zwischen Deutschen und Nichtdeutschen stark an.

Könnte es also ganz andere Ursachen haben als die Herkunft von jemandem, wenn dieser kriminell wird? Sieht ja so aus, aber das wäre natürlich viel komplizierter und mit den Sozialstaatskürzungsfantasien von Rechtspopulisten nicht in Übereinstimmung zu bringen.

Auch sonst gibt es in diesem Artikel noch Wissenswertes zu lesen:

Insgesamt werden nur ungefähr 30 Prozent aller Tatverdächtigen auch verurteilt.

In der Kriminalitätsstatistik werden nämlich nur die Tatverdächtigen aufgeführt, nicht die dann auch tatsächlich verurteilten (s. hier). Und ein Tatverdächtiger ist nun mal noch lange kein Täter, wie man sieht. Weiter in dem Faktenfinder-Artikel:

Dazu gehören zum Beispiel das Anzeigeverhalten der Bevölkerung. Dieses kann je nach gesellschaftlichen Entwicklungen stark variieren. Gehörte eine „ordentliche Keilerei“ unter Männern auf manchem Volksfest früher noch zum gesellschaftlich akzeptierten „guten Ton“, wird heute auch bei einfachen Körperverletzungen oftmals die Polizei eingeschaltet. Auch Versicherungsaspekte können Auswirkungen auf das Anzeigeverhalten haben.

Ich stelle mal eine These auf: Während der Corona-Pandemie wurde ja mitunter die Denunziationsbereitschaft von Bürgern sehr direkt eingefordert und dann auch entsprechend praktiziert. Solche Verhaltensweisen lassen sich nur in der Regel nicht einfach an- und abstellen, sondern haben eine gewisse Beharrlichkeit. Insofern halte ich es beispielsweise nicht für abwegig, dass einfach mehr Menschen ihre Mitbürger anzeigen, wenn sie meinen, dass dort eine Straftat begangen worden sein könnte – was dann wieder die Zahlen der Kriminalitätsstatistik nach oben treiben würde.

Aber natürlich ist es nach den Pandemiejahren auch durchaus plausibel, dass mehr Straftaten begangen werden, da zuvor ja einfach aufgrund der Corona-Maßnahmen viele Anlässe weggefallen sind, an denen regelmäßig Delikte begangen werden. Und was noch dazukommt: Viele Menschen haben seit der Pandemie existenzielle Sorgen (verstärkt nun noch durch die Inflation), haben ihre Arbeit verloren und psychische Probleme – alles Dinge, die Kriminalität begünstigen. Das geht so auch aus einem Artikel auf tagesschau.de hervor, der auch sonst noch einige sinnvolle Hintergrundinfos zur Kriminalitätsstatistik liefert:

Dass die sozialen Umstände relevant sind, spiegelt sich in der Statistik für 2023 wider: In wirtschaftlich schwachen Regionen ist die Kriminalitätsrate besonders hoch. Im ersten Halbjahr 2023 war sie zudem höher als im zweiten Halbjahr, als die Inflation zurückgegangen war und sich die wirtschaftliche Not vieler Menschen etwas entschärft haben dürfte.

Dass zudem bei zunehmend mehr Menschen, die als Geflüchtete hier bei uns eintreffen, weil eben wegen Kriegen und Klimakrise auch immer mehr Menschen einen Fluchtgrund haben, dann auch die reine Anzahl der Straftaten aus dieser Gruppe von Menschen steigt, ist nun keine höhere Mathematik, sondern schlichtweg logisch. Was dann allerdings irgendwelche CDU-Tölpel oder auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD – kaum zu glauben, aber wahr) nicht davon abhält, Migrationsbeschränkungen, schnelle Abschiebungen und eine harte Law-and-Order-Vorgehensweise zu fordern (s. hier).

So hat man nun also einen schönen Sündenbock und vermeidet auf diese Weise zwar zielführende, aber deutlich komplexere (und vielen Politikern eher unangenehme) Diskussionen: Dreiviertel aller Tatverdächtigen sind Männer – was läuft denn da verkehrt bei uns in der Gesellschaft? Könnte das vielleicht an den nach wie vor vorhandenen patriarchalen Strukturen liegen, dass Männern sich offenbar häufiger als über dem Gesetz stehend ansehen? Und dann sind eben auch viele jungen Menschen unter den Tatverdächtigen. Könnte das nicht vielleicht was damit zu tun haben, dass die Angebote für Jugendliche – angefangen von Jugendzentren über öffentliche Büchereien bis hin zu Schwimmbädern – immer weniger werden? Oder damit, dass immer mehr Jugendliche psychische Auffälligkeiten aufweisen, oftmals aufgrund von Stress (zum Beispiel durch die Schule oder Mobbing von Mitschülern bedingt)? Mal davon abgesehen, dass Corona bei viele Jugendlichen zu psychischen Problemen geführt hat – was ja damals angemahnt, aber eben gar nicht als wahrscheinliche Folge berücksichtigt wurde bei Maßnahmen wie Schulschließungen. Oder dass viele jungen Menschen mittlerweile recht wenig Sozialkompetenzen haben, weil sie eben vor allem vor Bildschirmen sitzen und selten Kontakt mit richtigen Menschen haben (s. hier), was dann ja auch eher begünstigend dafür sein könnte, Straftaten zu begehen.

Es gäbe also viele Ansätze, um hier mal eine Analyse zu betreiben, wieso sich die Zahlen dieser Kriminalitätsstatistik nun genau so entwickelt haben im letzten Jahr, doch davon ist leider wenig zu sehen – natürlich schon mal erst recht nicht bei rechten Aufwieglern von CDU/CSU über FDP bis hin zu AfD, aber eben auch in Teilen der SPD oder beim BSW von Sahra Wagenknecht. Was ich da erlebt habe, als ich unter dem oben bereits verlinkten Social-Media-Videostatement von Wagenknecht genau so eine differenzierte Sichtweise ansprach, geht schon sehr in Richtung von AfD-Gepolter. Das BSW dürfte insofern schon ein paar Wähler von der AfD abziehen, allerdings trägt man auf diese Weise eben auch dazu bei, rechte Standpunkte weiter hoffähig zu machen, und das braucht unsere Gesellschaft nun gerade wirklich nicht, finde ich.

Was ich dann noch sehr interessant finde: Immer wenn seit Jahren die Kriminalitätsstatistik vorgelegt wurde und es hieß, dass die Zahlen da nach unten gegangen sind, wurde dem von genau den Leuten massiv widersprochen und aufgrund von subjektivem Empfinden (s. hier) angezweifelt, dass es bei dieser Statistik mit rechten Dingen zugegangen sein könnte, die nun sofort diese Zahlen unreflektiert für komplett bare Münze nehmen. Klar, jetzt passt das ja auch ins eigene Weltbild, und dann stimmen Sachen ja grundsätzlich. Das ist natürlich hochgradig armselig, aber eben auch leider sehr weit verbreitet: Es geht nur noch darum, die eigene Sichtweise bestätigt zu bekommen, recht zu haben, und nicht darum, im argumentativen Austausch seine eigenen Ansichten zu überprüfen und eventuell auch zu revidieren.

Dass Sahra Wagenknecht, die mit Sicherheit nicht dumm ist, nun solchen Leuten Futter liefert, ist schlichte Berechnung, um die eigene Popularität zu erhöhen. Das finde ich nicht nur sehr unsympathisch, sondern zeigt mir dann auch, dass das BSW mit Sicherheit nichts ist, was ich wählen würde, da man sich dort ja offenbar um Einfaltspinsel mit rassistischer Schlagseite bemüht.

So kriegen wir anhand dieser Statistik mal wieder vor Augen geführt, wie der öffentliche Diskurs von Karrieristen immer mehr in eine undifferenzierte, wenig analytische und herumpolternde Richtung geführt wird. Und bei der nächstbesten Gelegenheit wird sich dann wieder über die Verrohung der Gesellschaft beklagt. Na so was – wo die wohl herkommt …?

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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