Falsch bleibt falsch (Täter-Opfer-Umkehr)

Unsere Meinung ist ein hohes Gut, und es ist wichtig, dass man seine Meinung verteidigt und reflektiert. Sie ist ein Teil unserer Persönlichkeit, und entsprechend fühlen wir uns persönlich angegriffen, wenn jemand unsere Meinung diskreditiert. Allerdings ist unsere Meinung in vielen Fällen nicht unumstößlich und kann sich den Gegebenheiten anpassen, wenn sich die Umstände oder unsere Einstellung ändern, und auch das ist gut so! In einer Zeit, in der Menschen so ziemlich alles ihren persönlich Vorlieben anpassen können (vom Namen über die Frisur bis zum Geschlecht), sollte auch die Meinung so reflektiert werden, wie man in den Spiegel schaut und noch einmal den Kamm schwingt oder den Eyeliner zückt. Aber an dieser Stelle scheinen sich viele Menschen schwer damit zu tun.

So eine Meinung ist im Prinzip nichts besonders Schützenswertes: So ziemlich jede Person hat sie, sie ist absolut subjektiv, ändert sich im Laufe des Lebens (meistens langsam, bei traumatischen Erfahrungen auch mal radikal), und ihre Qualität hängt von der Summe an Erfahrungen und Informationen ab, auf denen diese Meinung basiert. Letzteres ist auch der Grund, warum Personen eine besonders einseitige Meinung haben, wenn sie besonders einseitig informiert sind! Aber wer möchte das schon von sich hören? Trifft es doch wieder genau den Punkt, der im ersten Absatz beschrieben wird: Eine Kritik an der Meinung fühlt sich für die meisten Personen an wie Kritik an der Person selbst.

Ich behaupte daher Folgendes: Je radikaler eine Meinung ist, desto weniger berücksichtigt sie alle verfügbaren Faktoren.

Ich selbst tue mich schwer, die Angriffe von abgelehnten Asylbewerbern mit Messern oder Autos differenziert zu betrachten. Allerdings tue ich mich damit diametral entgegengesetzt schwer, als es die Wahlergebnisse, die Wahlparolen und die Presse derzeit vermuten lassen. Das Gefühl, dass das Thema verhältnismäßig viel Aufmerksamkeit erhält, obgleich es eine unlängst kleinere Zahl betroffener Personen gibt, ist für mich schwer zu ertragen. Ich fange an, die Anzahl der Femizide, Verkehrstoten oder Opfer von klimatisch bedingten Unwettern gegenzurechnen. Aus meiner Sicht erhält das Thema zu Unrecht eine solche Aufmerksamkeit, da doch sehr viel mehr Menschen an Dingen sterben, die sich leichter ändern lassen als das Grundgesetz (Art. 16 a, politisch Verfolgte genießen Asylrecht).

Aber das ändert alles nichts daran, dass es keinerlei „Entschuldigung“ für ein solches Verhalten gibt! Die „Schuld“ bleibt, unabhängig von meiner Bewertung und Meinung. Jeder Angriff auf andere Personen ist und bleibt ein für mich unethischer und unmoralischer Angriff auf die gesamte Gesellschaft und die gesellschaftliche Ordnung. Und das Gleiche gilt für alle anderen Taten des Unrechts, für die es zwar viele Erklärungen gibt, aber keine dieser Erklärungen macht aus Unrecht „Recht“! Oder wie mir die Suchmaschine gerade anvertraute: „Ex iniuria ius non oritur.“

Russland hat völkerrechtswidrig die Ukraine angegriffen und zuvor unrechtmäßig die Krim annektiert, egal ob dort die gesamte Regierung aus Nazi bestanden oder die NATO dort die Mitgliedschaft angeboten hätte. Das ist so wenig strittig wie die Täter-Opfer-Umkehr beim Missbrauch, nur weil das Opfer einen Minirock getragen hat oder sich auf einen Drink hat einladen lassen. Beim Klimawandel ist es schwieriger, weil man nicht explizit sagen kann, wie ein Unwetter verlaufen wäre, wenn die weltweite Temperatur (und damit die Extremereignisse) nicht ansteigen würden. Aber das macht die messbare und zunehmend auftretende Zunahme an Extremwetterlagen nicht wett! Da kann man nun nach Lust und Laune über den Schweregrad diskutieren und die Schuld anderen zuweisen, so wie es „menschlich“ normal zu sein scheint …

 

Dirk

Jahrgang 1974, in erster Linie Teil dieser Welt und bewusst nicht fragmentiert und kategorisiert in Hamburger, Deutscher, Mann oder gar Mensch. Als selbstständiger IT-Dienstleister (Rechen-Leistung) immer an dem Inhalt und der Struktur von Informationen interessiert und leidenschaftlich gerne Spiegel für sich selbst und andere (als Vater von drei Kindern kommt dies auch familiär häufig zum Einsatz). Seit vielen Jahren überzeugter Vegetarier und trotzdem der Meinung: „Alles hat zwei Seiten, auch die Wurst hat zwei!“

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