Die Ernennung von Bundesverfassungsrichtern ist normalerweise eine reichlich unspektakuläre, formale Angelegenheit. Allerdings schafft es die schlechteste Bundesregierung aller Zeiten, auch daraus ein Fiasko zu machen. Und je mehr man sich mit den Hintergründen befasst, desto übler wird es.
Um mir einen Überblick über das Geschehen zu verschaffen, habe ich erst mal einige Artikel gelesen und unterschiedliche Aussagen in sozialen Medien zusammenzutragen. Daher gibt es diesen Artikel auch erst jetzt – denn weiteres hektisches Echauffieren kann gerade die Causa Brosius-Gersdorf m. E. nicht gebrauchen.
Und so stellte sich heraus, dass die Diskussion, die da öffentlich geführt wurde, auf sehr vielen Falschinformationen beruhte, die wohl sehr gezielt von rechten Kanälen gestreut wurden.
Doch zuerst mal zu den tatsächlichen Positionen von Frauke Brosius-Gersdorf, die beispielsweise in einem Artikel der taz, aber auch in einer Stellungnahme von ihr selbst (zu lesen auf der Website der Legal Tribune Online) dargestellt wurden: Dass sie beispielsweise einem Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt befürworten würde, wie es beispielsweise AfD-Dreckschleuder Beatrice von Storch behauptet hat, stimmt schlichtweg nicht. Vielmehr hat Brosius-Gersdorf bei diesem Thema eine sehr differenzierte Sichtweise, die nicht nur von vielen andren Juristen geteilt wird, sondern auch mehrheitsfähig in unserer Gesellschaft sein dürfte.
Aber immerhin haben diese Fake News dann auch dazu geführt, dass sich einige mehr oder weniger prominente Kirchenleute berufen fühlten, gegen Brosius-Gersdorf Stellung zu beziehen. Am dreistesten ging dabei Ekkehart Reimer, der Vorsitzende der bischöflichen Studienstiftung Cusanuswerk, vor. Er fügte einfach mal in den Wikipedia-Eintrag von Frauke Brosius-Gersdorf ein, dass sie für eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bis zum zwölften Monat (!!!) wäre. Klar, da hat er sich vermutlich vertan und Monate mit Wochen verwechselt, aber sollte man nicht meinen, dass so eine Eintragsänderung schon mit etwas mehr Sorgfalt vorgenommen wird? In jedem Fall war damit erst mal, auch wenn der Eintrag später wieder von Reimer geändert wurde, eine Unwahrheit in der Welt, und die wurde dann natürlich von rechten Dumpfbacken, die alles glauben und hemmungslos weitertratschen, was ihnen in den Kram passt, reichlich verbreitet.
Interessant dabei ist vor allem auch, dass diese eindeutig politischen Äußerungen aus Richtung der Kirche für die CDU nun auf einmal ganz o. k. waren, obwohl Bundestagspräsidentin Julia Klöckner kürzlich noch getönt hatte, die Kirchen seien keine NGOs und sollten sich aus politischen Diskussionen raushalten. Andersrum war es dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Matthias Miersch, der zuvor Klöckners Äußerung kritisiert hat und der Kirche sehr wohl zugestanden hat, sich tagespolitisch zu positionieren, nun gar nicht mehr recht, dass da vonseiten vor allem der Katholiken solche sachlich falschen Vorwürfe gegen Frauke Brosius-Gersdorf vorgetragen wurden.
Diese ganze Posse wird von Friedrich Küppersbuch in einer Folge von Küppersbusch TV sehr pointiert geschildert.
Da war also gleich schon nicht nur ordentlich falscher Alarm, sondern auch eine reichliche Portion Heuchelei mit in der Diskussion vorhanden. Diese Heuchelei der CDU wird dann noch mal eine Spur ekelhafter, wenn man berücksichtigt, was Iris Meyer von der Süddeutschen Zeitung auf Bluesky angemerkt hat (gefunden auf der Facebook-Wall von Jörg Freisler):
Und nun muss man auch noch berücksichtigen, dass das ganze Gerede um Brosius-Gersdorfs Position zum Thema Schwangerschaftsabbruch im Grunde auch nur eine Nebelkerze ist, denn sie wäre ja beim Bundesverfassungsgericht für eine Position im zweiten Senat vorgesehen gewesen – und der befasst sich überhaupt nicht mit Themen, die irgendwas mit Schwangerschaften zu tun haben.
Dafür aber mit Parteiverboten. Ups …
Denn diesbezüglich hatte sich Frauke Brosius-Gersdorf zumindest schon mal so geäußert, dass sie da, wenn es genügend belastendes Material gäbe, einem AfD-Verbot offen gegenüberstünde. Das reicht natürlich schon mal aus, damit bei den Blauzis die Alarmglocken schrillen und die angesehene Juristin zu einer „linken Aktivistin“ wird – gern von den entsprechenden rechten Hetzmedien auch so weitergetragen. Wie diese von Rechtsaußen organisierte Kampagne dann aussah, wird in einem Artikel vom Volksverpetzer recht detailliert geschildert, vor allem ist da auch eine Grafik sehr aufschlussreich:
Auch Philipp Sälhoff, Geschäftsführer des politischen Beratungsnetzwerks polisphere hat dazu auf seinem LinkedIn-Profil einiges Interessantes gepostet:
Dafür, diese Kampagne einfach so mitgetragen zu haben, gab es dann in Richtung CDU natürlich Kritik vonseiten der Opposition, aber auch vereinzelt von SPD-Politikern, wie hier zum Beispiel von Orkan Özdemir aus Berlin (gefunden auf der Facebook-Wall von Fakten gegen Rechts):
Allerdings habe ich so meine Zweifel, ob die CDU da wirklich nur einer Kampagne aufgesessen ist oder nicht doch ganz aktiv daran mitgewirkt hat. Zumindest das Gebaren der CDU-Rechtsaußen-Bundestagsabgeordneten Saskia Ludwig lässt so etwas vermuten. Die hat beispielsweise Anfang des Jahres schon mal ganz offensiv dafür geworben, vonseiten der CDU doch auch eine Koalition mit der AfD in Betracht zu ziehen (s. hier) – wobei sie mit dieser Ansicht mit Sicherheit nicht ganz allein in ihrer Partei ist. Aber Ludwig ist nun mal durch folgende Äußerung aufgefallen, die der Journalist Matthias Meisner auf Bluesky dokumentiert hat:
Das sieht nun so gar nicht nach passiver „Verführung“ durch eine Kampagne rechter Politiker und Medien aus, sondern nach klarer und bewusster Mittäterschaft.
Als wenn das alles noch nicht genug wäre, kommt dann plötzlich auch noch die Anschuldigung hinzu, dass Frauke Brosius-Gersdorf in ihrer Dissertation plagiiert haben soll. Diese Vorwürfe standen auf einmal im Raum vonseiten einiger CDU-Politiker, die sich dabei auf den (durchaus fragwürdigen) „Plagiatsjäger“ Stefan Weber beriefen. Allerdings ist da in jeder Hinsicht absolut nichts dran, diese Vorwürfe wurden allein deshalb konstruiert, um Frauke Brosius-Gersdorf zu diskreditieren. Zumindest stellte ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten fest, „dass die Vorwürfe unbegründet sind und keine Substanz haben“. Zudem soll sie angeblich von ihrem Mann Hubertus Gersdorf abgeschrieben haben – allerdings erschien dessen Dissertation, aus der die Plagiate stammen sollen, erst einige Zeit nach der von Frauke Brosius-Gersdorf. Und was noch hinzukommt: Weber distanziert sich selbst von der Aussage der CDU, dass er Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Geersdort erhoben hätte, und bezeichnet diese als falsch. Und weiter, wie in einem Artikel auf tagesschau.de zu diesem Vorgang steht:
Auch die „teilweise ähnlichen Ausführungen in den Texten“ deuteten – so stelle es auch der „Plagiatsjäger“ Weber dar – allenfalls „auf einen gedanklichen Austausch hin, nicht aber darauf, dass einer der Beteiligten von der oder dem anderen, ohne dies kenntlich zu machen, Inhalte übernommen hätte“. Ein Plagiatsvorwurf steht deshalb schon „per Definition nicht im Raum“.
Kommen wir doch noch mal zu Saskia Ludwig: Die hat sich nämlich durch besonders laute Gekrähe wegen der erfundenen Plagiatsvorwürfe hervorgetan und auch harte Konsequenzen gefordert:
Wie das Leben so spielt, kamen dann kurz danach Vorwürfe in der FAZ auf, dass Ludwig selbst bei ihrer Dissertation nicht sauber gearbeitet haben soll, und zwar in weitaus größerem Maße, als dies Frauke Brosius-Gersdorf überhaupt jemals (und dann aj auch noch fälschlicherweise) vorgeworfen wurde. Diese vollkommen abscheuliche Doppelmoral wurde auf der Facebook-Seite von Gegen die Alternative für Deutschland sehr treffend kommentiert, sodass dem eigentlich nichts mehr hinzuzufügen ist:
Passend dazu ein anderer Beitrag von Saskia Ludwig auf X, den sich Wemeze 2.0 auf ihrer Facebook-Seite mal vorgenommen haben:
Wer da noch Zweifel hat, dass in der CDU offensichtlich antidemokratische, antirechtsstaatliche, wenn nicht sogar faschistische Denkweisen gepflegt werden, dem ist wahrlich auch nicht mehr zu helfen. Und Saskia Ludwig katapultiert sich ziemlich weit nach vorn im Ranking, wenn es darum geht, die abscheulichste Person in der CDU zu benennen – echte Konkurrenz für Jens Spahn und Julia Klöckner.
Ein weiterer Vorwurf gegen Frauke Brosius-Gersdorf war, dass sie nicht neutral wäre. Das ist ein typisches Vorgehen von Rechten, für die Neutralität immer nur bedeutet, dass man dem zustimmt, was sie selbst sagen. Ist man hingegen anderer Ansicht, dann ist man nicht neutral. Das ist nicht nur wenig originell, sondern im Falle von Verfassungsrichtern auch völlig an den Haaren herbeigezogen, denn komischerweise wurde so eine Forderung nach Neutralität bei der Ernennung von Richtern fürs Bundesverfassungsgesetz, die sogar Mitglieder der CDU sind (und damit natürlich nicht neutral), nicht vorgebracht. Gitta Süß-Slanias hat dazu auf ihrer Facebook-Wall einen passenden Beitrag gemacht:
Man sieht also, dass sich die ganzen „Argumente“ gegen Frauke Brosius-Gersdorf als reine Luftnummern entpuppten, die nur dazu dienten, eine kompetente Frau mit verfassungstreuer Haltung von einem Amt, das sie aller Voraussicht nach gut ausfüllen würde, fernzuhalten – was vor allem im Interesse der AfD ist. Dass die CDU/CSU dabei so hemmungslos mit Lügen und Doppelmoral mittut, zeigt, dass eine Nähe zu den Blaubraunen nicht mehr nur eine reine Vorstellung ist, sondern sogar schon politische Umsetzung auf höchster Ebene erfährt. Und natürlich ist sich dann Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) auch nicht zu schäbig, doch tatsächlich Brosius-Gersdorf aufzufordern, auf ihre Kandidatur zu verzichten (s. hier). So schwätzt er doch tatsächlich davon, dass ein Aufrechterhalten ihrer Bewerbung die Polarisierung der Gesellschaft weiter befördern würde. Wie bitte? Aber damit ist er auf Linie mit seinem Parteichef, dem Ekel-Foodblogger Markus Söder, der eine „Befangenheit“ bei dieser Personalie sieht, und diese könnte dem Bundesverfassungsgericht schaden. Und noch mal: wie bitte?
Was nämlich tatsächlich die Spaltung der Gesellschaft voranbringt und das Ansehen des höchsten deutschen Gerichts untergräbt, ist ja vor allem das unwürdige Verhalten der CDU, die sich rechten Hetzern anbiedert, deren Narrative übernimmt und selbst noch welche dazudichtet. So bringt es auch die stellvertretende Spiegel-Chefredakteurin Melanie Amann in der ZDF-Talkshow Markus Lanz (ab ca. Minute 29) sehr gut auf den Punkt: Sie meint, dass künftig keine „normale“ Wahl von Bundesverfassungsrichtern mehr möglich sein wird, da nun jeder Kandidat, der sich zuvor zu bestimmten politischen Themen geäußert hat, „auf den Grill gelegt würde von Social Media“. Und zudem noch Gefahr läuft, Morddrohungen zu bekommen, so wie es bei Frauke Brosius-Gersdorf der Fall ist.
Und das scheint mir dann doch ein reichlich großer Schaden zu sein, denn auf diese Weise dürften dann Bundesverfassungsrichter nicht mehr nach ihrer tatsächlichen Kompetenz ernannt werden, sondern weil sie sich eben nicht zu Themen geäußert haben, die von Rechten dann entsprechend diffamierend ausgeschlachtet werden können.
Nur eine Hypothese? Nein, denn das Ganze geht schon in die nächste Runde. Schließlich stand ja noch eine weitere von der SPD vorgeschlagene Frau zur Wahl ans Bundesverfassungsgericht: Ann Katrin Kaufhold. Dazu fand ich folgenden Beitrag auf der Facebook-Wall von Frank Schwerin, dem eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen ist:
Und so droht nun genau das, was diejenigen, die Frauke Brosius-Gersdorf attackiert, diffamiert, herabgewürdigt und letztlich sogar bedroht haben, vorgegeben haben, verhindern zu wollen: eine Politisierung der Besetzung des Bundesverfassungsgericht. Und damit dann auch US-amerikanische Verhältnisse.
Doch das ist wiederum kein Wunder, denn dass Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) dem Faschisten Donald Trump deutlich näher steht als aufrechten Demokraten, darauf hab ich ja bereits im November letzten Jahren in einem Artikel hingewiesen. Wir erleben nun leider gerade, wie genau das Realität wird.