Ich bin ja mittlerweile auch schon 55 Jahre alt, also zumindest physisch ein alter weißer Mann (wenngleich nicht mit der so bezeichneten Geisteshaltung), und da sei mir auch mal ein bisschen Nostalgie gestattet. Bitte nicht alles allzu bierernst nehmen. ;o)
Und bitte auch nicht falsch verstehen: Ich gehöre mit Sicherheit nicht zur „Früher war alles besser“-Fraktion. Meinen iPod liebe ich zum Beispiel, um unterwegs Musik zu hören, da vermisse ich den ollen Walkman nicht wirklich. Auch mein schönes Heimkino, auf dem ich DVDs und BluRays schaue, finde ich deutlich besser als das frühere Pantoffelkino mit wackeligen Videobildern auf kleinen Fernsehern. Dass erneuerbare Energien auf dem Vormarsch waren in den letzten Jahren (wobei die ja jetzt leider gerade wieder ausgebremst werden von der als Bundeswirtschaftsministerin getarnten Lobbyistin der Gasindustrie), gefällt mir ebenfalls, genauso wie die Tatsache, dass mein Auto heute, obwohl es größer ist, nur etwa die Hälfte von dem Sprit schluckt, den mein erstes Auto verbraucht hat. Zudem entdecke ich ständig neue Musik, die ich bestimmt auch nicht missen möchte. Und: Unsere Gesellschaft ist wesentlich emanzipatorischer und inklusiver geworden. Ach ja: Trotz aller negativen Begleiterscheinungen ist das Internet im Grunde auch eine sehr gute Sache. Nur um mal einige Beispiele zu nennen.
Dennoch gibt es so ein paar Sachen, die sind früher einfach besser gelaufen, finde ich. Und vielleicht könnt Ihr ja einiges davon nachvollziehen. Ein paar Sachen davon sind noch gar nicht so lange her, einiges schon deutlich länger.
Erinnert Ihr Euch noch an die gute alte Zeit, als …
… die Post noch fünf- oder sogar sechsmal in der Woche zugestellt wurde und nicht nur maximal zwei- bis dreimal?
… man nicht monatelang auf einen Facharzttermin warten musste?
… als (Pseudo-)Geländewagen vor allem im Gelände rumgefahren sind?
… als man interessante neue Musik regelmäßig einfach so im Radio und Fernsehen entdecken konnte?
… als es noch als unhöflich galt, sich in Gesellschaft mit seinem Handy zu beschäftigen?
… Innenstädte in der Regel belebte Orte waren, in denen es kaum Leerstand gab?
… ein Gehalt oftmals ausgereicht hat, um einen Familie gut zu versorgen?
… bezahlbarerer Wohnraum eine Selbstverständlichkeit und Wohnungsmiete nicht allzu häufig ein Armutsrisiko war?
… die Bahn generell zuverlässig und pünktlich war?
… Krankenhäuser noch eine medizinische Vollversorgung boten und „blutige Entlassungen“ eigentlich nicht vorkamen?
… Franz Josef Strauß noch die rechteste Type in der prominenten politischen Landschaft war?
… Mobbing nur ein vereinzeltes Phänomen war, sodass es noch nicht mal einen eigenen Namen dafür gab?
… in jeder Schulklasse ein bis zwei verhaltensauffällige Schüler waren – und nicht ein bis zwei nicht verhaltensauffällige?
… Medikamente keine Zuzahlung kosteten?
… es nachfolgenden Generationen generell materiell besser ging als den vorangegangenen?
… das noch nicht demontierte Umlageverfahren für eine auskömmliche Rente für die meisten alten Menschen gesorgt hat?
… es zwar Millionäre gab, aber eigentlich keine Milliardäre?
… Politiker nach Verfehlungen zurückgetreten sind?
… Burn-out noch keine Volkskrankheit war?
… nur ein- bis zweimal in der Woche Fleisch zu essen, ganz normal war, sodass Massentierhaltung erst vereinzelt aufkam?
… es noch eine Vermögenssteuer gab, Kapitalerträge wie Einkommen versteuert wurden und der Spitzensteuersatz bei 53 % lag?
… eine Million Arbeitslose als alarmierende Massenarbeitslosigkeit galten?
… es Fast Fashion und x Modetrends pro Jahr noch nicht gab, sondern man seine Klamotten vor allem aufgrund von Qualitätskriterien kaufte?
… „bio“ und „unverpackt“ oftmals Standard waren beim Lebensmittelkauf, ohne extra ausgezeichnet zu werden?
… Wohneigentum zu erwerben noch eine ganz normal zu finanzierende Sache für viele junge Familien war?
… 40-Grad-Sommerhitze in Deutschland nur in BILD-Schlagzeilen existierte?
Vielleicht fallen Euch ja auch noch ein paar Dinge ein, an die Ihr gern zurückdenkt, weil sie irgendwie früher mal besser funktioniert haben, stressfreier oder einfach nur angenehmer waren.
Wie gesagt: „Früher war alles besser“ gilt für mich nicht. Dennoch muss ich feststellen, das vor allem das neoliberale Profitstreben dafür gesorgt hat, dass vieles nicht besser wurde. Absurderweise sind es gerade diejenigen mit den reaktionärsten gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen, die dieses Wirtschaftsprinzip mit seinem Wachstumsdogma überhaupt nicht infrage stellen. O. k., die wollen dann eben die Sachen wiederbeleben, die nicht so richtig cool waren, beispielsweise was die Geschlechtergerechtigkeit angeht.
Denen sollte man also bei aller durchaus angebrachten kritischen Nostalgie nicht auf den Leim gehen.