Bürokratieabbau – das klingt ja immer erst mal recht gut und findet viel Zustimmung. Klar, wer ärgert sich schon gern mit umständlich formulierten Anträgen rum oder sucht in Behörden nach passenden Ansprechpartnern? Allerdings sind diejenigen, die gern Bürokratieabbau proklamieren, auch immer wieder vorn mit dabei, wenn es darum geht, zusätzliche bürokratische Hürden zu errichten. Wie passt das zusammen?
Ganz einfach: Bürokratie wird nicht als ein administratives Mittel gesehen, dass eine möglichst effiziente Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten für alle Bürger gewährleisten soll, sondern als Instrument, um die eigene neoliberale Agenda voranzubringen. Und die lautet nun mal: immer mehr Geld und Macht für Vermögende und Konzerne, immer weniger Geld und Macht für Privatpersonen und Kleinbetriebe.
Das klingt jetzt plakativ? Nun, genauso wird es aber gehandhabt in der politischen Praxis, hierzulande vor allem vorangebracht von den rechten Parteien CDU/CSU, FDP und AfD (diese allerdings bisher immer nur als Treiber aus der Opposition).
Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey haben das in einem Artikel in den Blättern für deutsche und internationale Politik folgendermaßen beschrieben:
Der Liberalismus, der sich eigentlich als Gegenspieler des Faschismus versteht, hat dessen Aufstieg nicht nur nicht verhindert, sondern sogar noch befördert. Er leidet unter dem angesprochenen Mangel an Problemlösungskapazität. Insbesondere in seiner neoliberalen Ausprägung hat er paradoxerweise zu einer Ausweitung staatlicher Kontrolle geführt. Die Funktionsweise dieses hypertrophen Staats ist nicht durch weniger, sondern durch mehr Bürokratie, Vorschriften und Gesetze gekennzeichnet, mit denen die Komplexität moderner Gesellschaften bewältigt (und Märkte vor demokratischen Ansprüchen geschützt) werden sollen.
Wie das dann aussehen kann, sieht man gerade bei der Neugestaltung des EU-Saatgutrechts. Dazu heißt es in einem Newsletter von der NGO Arche Noah:
Administrative Hürden: Kleinst- und Klein-Unternehmen werden durch zusätzliche Bürokratie besonders stark belastet. Vielfaltsbetriebe, die dutzende oder gar hunderte Sorten erhalten und verkaufen, müssten dieselben Auflagen wie Konzerne erfüllen. Endlose schriftliche Berichte oder ein Zwang zu externen und teuren Labortests (anstatt der derzeitigen In-House-Tests) könnten viele Betriebe zwingen, ihr Angebot deutlich zu reduzieren oder ganz aufzugeben.
Weitere Infos zu dem Thema finden sich auf der Arche Noah-Website im Rahmen der Petition „Hoch die Gabeln“.
Hieran sieht man deutlich, dass von Bürokratieabbau keine Rede sein kann, sondern ganz im Gegenteil kleine landwirtschaftliche Betriebe mit zusätzlichen bürokratischen Anforderungen konfrontiert werden. Darüber freuen sich natürlich die großen Agrarkonzerne, da auf diese Weise ihrer Konkurrenz das Leben schwergemacht wird. Bayer und Co. können so ihre Monopolstellungen weiter ausbauen, das Nachsehen haben – neben den Kleinbauern – die Verbraucher, die weniger Vielfalt vorfinden, sowie natürlich Umwelt und Klima.
Wenn es nun andererseits darum geht, Natur, Klima und Menschenrechte mithilfe des Lieferkettengesetzes zu schützen, dann wird gern vorgeschoben, dass man ja niemandem zu viel Bürokratie zumuten könne. Damit sind dann vor allem große Unternehmen gemeint, da kleine und mittlere Betriebe davon gar nicht betroffen sind, denn das Gesetz sollte ja nur für Firmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mindestens 450 Mio. Euro gelten. Und diesen Großunternehmen ist es also angeblich nicht zuzumuten, dass sie mal überprüfen, wie denn ihre Zulieferer so arbeiten, also ob da beispielsweise Kinder- oder Sklavenarbeit an der Tagesordnung ist oder ob in großem Maße die Umwelt verschmutzt wird (s. dazu ausführlicher hier). Das sei dann zu viel Bürokratie – wobei man ja davon ausgehen kann, dass solche Konzerne schon eigene Abteilungen haben, die sich um solche administrativen Aufgaben kümmern, und das dann nicht wie der kleine Landwirt abends nach Feierabend machen müssen.
Man kann das also so zusammenfassen: Regulierungen für Konzerne, damit sie nicht umwelt- und klimaschädigend produzieren sowie nicht gegen Menschenrechte verstoßen, sind zu viel Bürokratie und daher nicht zumutbar. Regulierungen für kleine Betriebe, die schon umwelt- und klimafreundlich produzieren und zudem in der Regel Menschenrechte achten, sind dringend notwendig.
Aha …
Wer dahinter eine vermeintliche Logik sucht, wird nicht fündig – es sei denn, dass man Bürokratieabbau als Kampfbegriff enttarnt, um die neoliberale Agenda weiter umzusetzen.
Denn Bürokratie ist ja erst mal per se nichts Schlechtes. Eine geordnete Verwaltung schützt diejenigen in einem Gemeinwesen, die nicht allein für ihren Schutz sorgen können. Diejenigen, die allerdings große materielle Ressourcen haben, sodass sie weniger gemeinschaftliche Schutzmaßnahmen benötigen, krähen dann gern etwas von „Freiheit“, die sie durch zu viel Bürokratie beschnitten sehen. Dabei meinen sie hingegen in der Regel in einer Pervertierung des Freiheitsbegriffs nicht anderes, als dass sie lieber das Recht des (finanziell) Stärkeren bevorzugen würden.
Dass Bürokratie hingegen zunehmend genutzt wird, um Menschen zu gängeln, die nicht sehr reich sind, kann jeder bestätigen, der schon mal in die Hartz-IV-Tretmühle (auch wenn das jetzt seit Kurzem Bürgergeld heißt und bald wohl Grundsicherung heißen soll) geraten ist.
Insofern ist es mit dem Bürokratieabbau recht ähnlich wie mit Steuersenkungen: Generell sind Steuern etwas sehr Sinnvolles, sodass die populistische Forderung nach pauschalen Steuersenkungen zwar immer noch viel Beifall erhält, aber letztlich den meisten Menschen nicht gerecht wird. Eine Senkung auf die Mehrwertsteuer, vielleicht sogar selektiv auf gesunde und pflanzliche Lebensmittel, käme vielen zugute, eine Abschaffung der Erbschaftssteuer (die ja schon reichlich demontiert wurde) oder die bereits abgeschaffte Vermögenssteuer sind hingegen schädlich fürs Gemeinwesen, weil so diejenigen, die mehr als genug haben, darum herumkommen, ihren angemessenen Teil beizutragen.
Wenn also von Bürokratieabbau die Rede ist, dann sollte man erst mal genauer hinschauen, worum es sich da denn im Einzelnen handelt. Meistens dürfte es nämlich vor allem darum gehen, Vermögenden und Konzernen noch weniger demokratische Kontrolle aufzuerlegen und deren Profite so noch weiter zu steigern. Und das ist in unserer zunehmend ungleichen Weltgesellschaft (s. dazu hier) alles andere als wünschenswert.

