Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei

Da hat gestern eine Meldung für reichlich Aufregung in der Öffentlichkeit gesorgt: Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat eine Mitteilung herausgegeben, in der steht, dass der häufige Genuss von verarbeitetem Fleisch das Darmkrebsrisiko erhöhen kann (s. dazu exemplarisch diesen Artikel in der WirtschaftsWoche). Panik ist nun zwar wohl nicht angebracht, aber zumindest schwingt in der Aussage mit, dass es sinnvoll sein kann, seinen Fleischkonsum ein wenig zu reduzieren, auch wenn die Überschrift des WiWo-Artikels durchaus alarmistisch gestaltet ist: „Krebserregendes Fleisch – WHO warnt vor Würstchen und Schinken“. Und da viele (gerade im Internet) ja nur die Überschrift lesen und nicht den dazugehörigen Artikel, ist da nun schon ein Imageschaden für die Fleischindustrie zu befürchten.

Also muss reagiert werden: Sogleich waren die Dementi der Fleischindustrie in den Medien (wie beispielsweise hier in der Frankfurter Rundschau), mit denen man sich gegen die Anschuldigungen verwehrt und der WHO wissenschaftlich ungenaues Vorgehen vorwirft. So weit, so gut, könnte man jetzt sagen, denn was soll man von Industrieverbänden auch anderes erwarten, als dass Anschuldigungen widersprochen wird? Bemerkenswert fand ich dann allerdings einen Artikel auf der Webseite nordbayern.de mit dem Titel „Menschen-DNA in vegetarischen Würsten entdeckt“. Wow, das klingt nach Soylent Green, nach Horrorvorstellungen – und vor allem beruhigend für die verunsicherten Fleischesser. Dann doch lieber ein etwas erhöhtes Krebsrisiko, als zum Kannibalen zu werden!

Und in der Tat wirkt der Artikel in seiner unsauberen Darstellung und wohl bewussten Ausblendung von Fakten doch reichlich so, als würde hier die Fleischindustrie die Feder geführt haben. Zunächst einmal wird auf die WHO-Untersuchung verwiesen, und dann geht’s weiter mit einer US-amerikanischen Studie – allerdings ohne den Hinweis, dass sich diese nur auf den US-amerikanischen Markt bezieht und auf dortige Hersteller. Nun wäre es interessant zu erfahren, wie es denn in den USA im Vergleich zur EU oder zu Deutschland mit den Lebensmittelsicherheitsrichtlinien aussieht, doch darüber erfährt man natürlich nichts, sodass ein Bezug von dieser Studie auf mögliche Parallelen bei uns in Deutschland nicht schließen lassen, obwohl diese m. E. schon bewusst durch den Artikel nahegelegt werden sollen. Oder wie sind sonst solche Passagen zu erklären?

Vegetarier tangierte das herzlich wenig, ernähren sie sich doch fleischlos. Doch seit Dienstag ist es vorbei mit der Gelassenheit: Eines von zehn vegetarischen Würstchen enthält laut einer US-Studie Fleisch.

Auf die Häufung bei vegetarischen Produkten wird im Ergebnis der Untersuchung ausdrücklich hingewiesen.

Die WHO-Studie beschäftigte indes am Dienstag die Politik. Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) versuchte die Wogen etwas zu glätten und mahnte zur Gelassenheit. „Niemand muss Angst haben, wenn er mal eine Bratwurst isst. Die Menschen werden zu Unrecht verunsichert, wenn man Fleisch mit Asbest oder Tabak auf eine Stufe stellt“, sagte Schmidt.

Zudem werden auch mögliche Ursachen für das Auftauchen von menschlicher DNA in dem Artikel nicht hinreichend dargestellt. Zwar ist generell von hygienischen Mängeln die Rede, welche die US-Studie einem Teil der Firmen attestierte, dass diese allerdings wohl auch der Grund für menschliche DNA (beispielsweise durch Speicheltröpfchen, abgelöste Hautschuppen, verlorene Haare usw.) in den Würstchen sind, wird dann leider verschwiegen. Erwähnt wird hingegen, dass sich in einigen vegetarischen Produkten auch Spuren von Fleisch fanden. Und auch hier wäre es interessant zu überlegen, wie diese da reingekommen sein könnten. Ich tippe mal, dass dies einfach aufgrund von unzureichend gereinigten Maschinen zur Verarbeitung der vegetarischen Produkte der Fall sein dürfte, wenn mit denselben Maschinen zuvor Fleischprodukte verarbeitet wurden. Die Hinweise für Allergiker auf allen möglichen Lebensmitteln wie „Kann Spuren von Nüssen oder Sellerie enthalten“ kennt ja schließlich auch jeder, und die sind eben auch diesem Umstand geschuldet, dass viele Maschinen in der industriellen Nahrungsproduktion nicht nur für ein bestimmtes Lebensmittel genutzt werden.

Inhaltlich etwas differenzierter, aber in der Überschrift und den prominenten Textpassagen nicht weniger reißerisch behandelt ein Artikel der Münchener tz das Thema, denn es wird zumindest darauf hingewiesen, dass die menschliche DNA wohl in Form von Haaren und Fingernägeln in die Wurst kam. Aber auch hier gilt: Die meisten lesen dann doch wieder nur dir Überschrift und den Anrisstext, und da heißt es:

Labor findet Menschen-DNA in vegetarischen Würstchen

Nun schockt ein US-Labor mit einer Analyse, bei der auch vegetarische Würste untersucht wurden.

Und in der Bildunterschrift über dem Artikel:

Vegetarische Wurst auf der Messe „Veggie World“. In den USA wurden Fleischrückstände in einigen dieser Produkte gefunden.

Fazit bei diesen Formen des „deutschen Qualitätsjournalismus“: Hier scheint schnell auf eine für die Fleischindustrie schädliche Meldung reagiert zu werden, indem die Alternative zum Fleischkonsum erst mal auf recht unsachliche Art und Weise zu diskreditieren versucht wird. Inwieweit die Fleischindustrie hier nun die Finger mit im Spiel hat, z. B. in Form von Werbeanzeigen oder regionaler Verbundenheit zu den beiden zitierten Medien, lässt sich nun so ohne Weiteres auf die Schnelle nicht herausfinden, erscheint mir allerdings auch nicht komplett unwahrscheinlich. Aber das wäre nun ja auch nur Spekulation …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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