In den USA haben die Vorwahlen begonnen, bei denen die Demokraten und Republikaner jeweils ihren Präsidentschaftskandidaten bestimmen lassen (eine gute Vorstellung der Antretenden findet sich hier und hier in einem zweiteiligen Artikel von Jens Berger auf den NachDenkSeiten). Nach dem ersten Wahlgang, der traditionell in Iowa stattfindet, sind nun bei den Demokraten Hillary Clinton und Bernie Sanders mit 49,9 % zu 49,6 % nahezu gleichauf (der minimale Vorsprung von Clinton resultiert daraus, dass es in einigen Caucuses ein Unentschieden gab, sodass eine Münze geworfen werden musste, und alle Münzwürfe sind zugunsten von Clinton ausgegangen), sodass der dritte Kandidat Martin O’Malley seine Kandidatur zurückzog und es nun auf einen reinen Zweikampf hinausläuft. Doch dieses Ergebnis hatte noch eine weitere Folge: Bernie Sanders wird nun auch endlich im deutschen Medienmainstream wahrgenommen, und wie dies geschieht, wirft (mal wieder) ein bezeichnendes Licht auf unsere Medienlandschaft.
Zuvor war über Sanders so gut wie nicht berichtet worden, und ich merkte selbst im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis, dass eigentlich kaum jemand wusste, wer Bernie Sanders überhaupt ist. Hillary Clinton war omnipräsent, galt als „alternativlos“ mit Blick auf den durchgeknallten Donald Trump, der vor den Iowa-Vorwahlen als Favorit der Republikaner galt. Klar, die Frau des ehemaligen Präsidenten Bill Clinton steht ja auch für eine Verflechtung von Wirtschaft und Politik, die hier bei uns ebenfalls sehr gern gesehen und ebenfalls als „alternativlos“ gepriesen wird.
Und nun stellt sich auf einmal heraus, dass da doch jemand durchaus reale Chancen entwickelt, Clinton Paroli zu bieten, und das auch noch mit Vorstellungen und Ideen, die hier in Deutschland eben nicht so gern gesehen werden. Was geschieht also in unseren Medien?
Nun, zunächst einmal wird Sanders despektierlich und herabwürdigend als „Opa Underdog“ (Spiegel online), „linker Träumer“ (Klaus Kleber im ZDF) und „Populist“ (Die Welt) bezeichnet. So weit, so unschön (und vor allem so unprofessionell, wenn man den Maßstab anlegt, dass Journalismus zumindest ansatzweise um Neutralität bei der Berichterstattung bemüht sein sollte), doch auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit Sanders findet auf einem ähnlichen verleumderischen und ideologisch verklärten Niveau statt.
Sanders bezeichnet sich zwar selbst als „Sozialist“, aber dies ist natürlich vor dem Hintergrund zu sehen, dass es in den USA keine Sozialdemokratie gibt und selbst schon eine allgemeine Krankenversicherung von nicht wenigen als kommunistisches Teufelszeug gebrandmarkt wird. Das sollten deutsche Journalisten eigentlich auch wissen, doch trotzdem bezeichnen sie Sanders andauernd als Sozialisten – der er nun inhaltlich de facto nicht ist. Klar, das klingt dann für viele auch erst mal abschreckend, denn mit Sozialismus à la DDR möchte hier im Land ja eigentlich kaum jemand was zu tun haben. Zutreffender wäre es hingegen, Sanders einen Sozialdemokraten zu nennen, und zwar in dem Sinne, wie die SPD in Zeiten vor Schröder noch agierte. Willy Brandt wird ja im Allgemeinen auch nicht als Sozialist bezeichnet, und weiter links steht Sanders in jedem Fall eben auch nicht.
Und auch bei konkreten Inhalten, die Sanders propagiert, wird gewettert, was das Zeug hält. Klar, von den springerschen Schmierfinken ist man ja in deren Paradedisziplin „Niveaulimbo“ schon einiges gewohnt, aber dieser Abschnitt aus dem oben verlinkten Welt-Artikel ist schon reichlich absurd – aber eben auch bezeichnend:
Dabei vertritt der selbst ernannte Sozialist ein Programm, wie es altbacken-linker nicht sein könnte. Ganz so, als seien die alten utopisch-sozialistischen Sozialstaatsmodelle nicht längst von den Realitäten überholt worden. Seit den 90er-Jahren hatte sich die demokratische Partei unter Bill Clinton arrangiert mit Wirtschaft und Wall Street. Sanders kündigt dieses Arrangement nun auf. Er möchte die Reichen melken, den Staat kräftig ausdehnen, Banken zerschlagen und Wohltaten übers Land verteilen. Aber wie Margaret Thatcher sagte: „Das Problem mit dem Sozialismus ist, dass ihm irgendwann das Geld anderer Leute ausgeht.“ Sanders peilt einen Wohlfahrtsstaat europäischer Prägung an in einer Zeit, in der immer deutlicher wird, dass dieser kaum noch bezahlbar und mitverantwortlich ist für das geringe Wachstum des Kontinents.
Neoliberale PR-Schreibe in Reinkultur. Da wird die Nähe der Demokraten zur Wirtschaft und Wall Street unter Clinton lobend hervorgehoben und dann noch behauptet, dass nicht diese Verflechtungen, sondern der Wohlfahrtsstaat, dessen Errungenschaften ja nun seit 35 Jahren zunehmend demontiert, beschnitten oder gleich komplett abgeschafft wurden, für die derzeitigen wirtschaftlichen Verwerfungen verantwortlich sei. Auweia – und so was lesen und glauben ja auch noch viele Menschen! Ob der Schreiberling tatsächlich annimmt, seine Leser wäre so dumm, dass sie die Finanzkrise von 2008 schon komplett vergessen hätten? Na ja, aber immerhin wird ja auch noch mal Maggie Thatcher zitiert mit einer rein populistischen Aussage – übrigens im gleichen Artikel, in dem Sanders Populismus vorgeworfen wird.
Die Süddeutsche Zeitung geht da auf ihrer Facebook-Seite schon etwas diskreter vor, indem es dort heißt:
Zwei demokratische Kandidaten, zwei Philosophien: Während Hillary Clinton sich selbst in den Mittelpunkt stellt, appelliert Bernie Sanders an Nostalgie und Gemeinschaft.
Auch hier der Vorwurf, das Sanders‘ Ideen rückschrittlich seien. Diese Sichtweise funktioniert so natürlich nur, wenn man selbst der Maxime folgt: Progressiv ist, was der Wirtschaft dient, was den Menschen zugutekommt, ist gefühlsduselige Nostalgie für Ewiggestrige. Dass eine allgemeine Krankenversicherung beispielsweise für die USA eine ausgesprochen fortschrittliche Sache wären, auf die Idee kommt man dann nicht, wenn man so sehr in seinem ideologischen Käfig sitzt und bei allem, was mit Sozialstaat etwas zu tun hat, sofort einen abwehrenden Beißreflex entwickelt. Oder sind solche Journalisten etwa schon intellektuell damit überfordert, europäische Verhältnisse nicht 1 : 1 auf die USA übertragen zu können?
Auf mich wirkt diese Art der Berichterstattung nun wie folgt: Irgendwie schien es der Journaille klar zu sein, dass Hillary Clinton das Rennen um die Präsidentschaftskandidatur locker machen würde, also muss man sich auch nicht viel damit beschäftigen, denn Clinton ist ja super und steht für genau das, was die meisten unserer Medien auch immer gern transportieren: Neoliberalismus, Marktradikalismus, Umverteilung von unten nach oben, Schonung von Vermögen und Zusammenstreichen von Sozialleistungen sind alles alternativlose Konzepte, damit es uns allen gut geht (was ja nun erwiesenermaßen schon länger nicht mehr der Fall ist und sich somit als komplett falsch herausgestellt hat – aber das interessiert die meisten Journalisten anscheinend ja nicht so wirklich). Also musste man sich mit Sanders auch gar nicht beschäftigen.
Das geht nun nach dem Ergebnis der ersten Vorwahlen nicht mehr so ohne Weiteres, also muss Sanders nun aus der Ecke der stiefmütterlichen Behandlung herausgeholt und vielmehr als reale Bedrohung der eigenen Ideologie wahrgenommen werden. Und schon schreibt man ohne Sinn, Verstand und Anstand gegen ihn an, damit bloß keiner in Deutschland auf die Idee käme: „Hey, das klingt ja ganz vernünftig, was Bernie Sanders da so sagt. Wenn das in den USA so viele Leute anspricht – warum soll das dann hier nicht auch funktionieren?“ Das Mantra der Alternativlosigkeit verlangt ja schließlich, dass es auch keine Alternativen gibt (oder diese zumindest nicht aufgezeigt werden).
Insofern wird an diesem Beispiel nun sehr anschaulich ersichtlich, dass unsere Mainstreammedien vor allem Handlanger des „großen Geldes“ sind (zu dem ja auch die Familien gehören, die im Besitz dieser Medien sind – also nicht so verwunderlich). Und dies sollte man immer im Hinterkopf haben, wenn man diese Medien nutzt, denn sonst wird aus vermeintlicher Information schnell Indoktrination.
Nachdem Bernie Sanders nun im New Hampshire, dem zweiten US-Bundesstaat, in dem die Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl stattfinden, Hillary Clinton mit 60,4 zu 38 % weit hinter sich ließ, sah sich nun Roland Nelles, immerhin Politikchef von Spiegel online, genötigt, genötigt, im E-Mail-Newsletter des Magazins Folgendes vom Stapel zu lassen:
Trump und Sanders auf eine Stufe zu stellen und ihnen beiden billigen Populismus vorzuwerfen ist schon ein Armutszeugnis für politische Berichterstattung, die zumindest den Schein waren sollte, ein wenig neutral zu sein. Welches elitäre Verständnis von Demokratie bei Nelles zugrunde liegt, wird zudem deutlich, wenn man berücksichtigt, dass er Clinton II. und Bush III. als einzige moderate (und damit in seinem Sinn wohl auch wählbare) Kandidaten aufführt …
Auch die Tagesschau lässt sich nicht lumpen und bezieht in einem Bericht über die Ergebnisse der Vorwahlen in New Hampshire eindeutig Position pro Hillary Clinton, wie Daniel Grau in einem Artikel für die NachDenkSeiten analysiert. Klar, journalistische Neutralität ist ein Ideal, dass kaum zu erreichen ist, weil Menschen ja immer Meinungen haben, aber man könnte doch zumindest mal versuchen, sich dem wenigstens ein bisschen anzunähern, oder?
Ein Artikel von Ingar Solty in der jungen Welt beschäftigt sich ausführlich mit den Vorwahlen in den USA und bezieht dabei Stellung für Sanders. Dabei werden vor allem auch die Positionen, die Hillary Clinton vertritt, kritisch beleuchtet, was ja im medialen Mainstream in Deutschland so gut wie nicht vorkommt. Sehr lesenswert!
Ein Gastartikel des Community-Mitglieds „Ernstchen“ auf der Freitag beschäftigt sich sowohl mit der deutschen Rezeption von Sanders nach dem Super Tuesday als auch mit seinen tatsächlich noch vorhandenen Chancen. Lesenswert!
Es wird immer dreister, wie unsere sogenannten Qualitätsmedien uns hinters Licht führen, da man eben Clinton unbedingt als alternativlos in den Köpfen festsetzen will. Nachdem Sanders gestern die Vorwahlen in Idaho und Utah klar gewonnen hat, die in Arizona allerdings wohl an Clinton gehen (zurzeit etwa drei Viertel der Stimmen ausgezählt, wobei es Beschwerden über grobe Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe gibt), holt Sanders somit sechs Delegiertenstimmen auf Clinton auf. Was macht tagesschau.de daraus für eine Überschrift: „Clinton und Trump bauen Vorsprung aus“.
Erbärmlich, wie offensichtlich hier die Mediennutzer belogen werden …
In den USA sieht es, wenig überraschend, anscheinend nicht viel anders aus mit der medialen Parteinahme für die Präsidentschaftskandidaten, wie aus einem Artikel auf der Freitag von Community Mitglied „Ernstchen“ hervorgeht. Absurderweise wird Sanders dort trotz zuletzt sieben deutlichen Siegen bei den Vorwahlen schon abgeschrieben, während Ted Cruz, der deutlich weiter hinter Donald Trump zurückliegt, tatsächlich noch Chancen eingeräumt werden, der Präsidentschaftskandidat der Republikaner zu werden.
Ab und an finden sich im Spiegel oder auf Spiegel online ja tatsächlich noch lesenswerte Beiträge, aber wenn man sich vor Augen führt, was Roland Nelles als führendes Mitglied der Redaktion da für einen Blödsinn ablässt, dann weiß man, warum diese ehemalige Flaggschiff des deutschen Journalismus mittlerweile das Papier nicht mehr wert ist, auf dem es gedruckt wird.
In einem Kommentar fordert Nelles Bernie Sanders auf, seine Ambitionen auf die Kandidatur für das Präsidentenamt doch endlich offiziell zu begraben, denn „jetzt nervt er“. Eine derartige plumpe Einseitigkeit und Parteinahme fürs Establishment ist schon reichlich peinlich, wie ich finde, und wird zudem noch mit vollkommen blödsinnigen Aussagen garniert:
Na so was, im parteiinternen Vorwahlkampf setzt sich Sanders mit seiner Gegenkandidatin auseinander und nicht mit dem Kandidaten der gegnerischen Partei.
Es ist echt nur noch unglaublich, so etwas in einem Blatt zu lesen, dass sich selbst als Leitmedium mit qualitätsjournalistischem Anspruch sieht.
Selbst der Spiegel merkt mittlerweile, dass deren Darling Hillary Clinton immer schlechtere Chancen hätte, sich gegen Donald Trump bei einer Präsidentenwahl durchzusetzen, wie man in diesem Artikel sehen kann. Führt das nun zur Einsicht in die bisherige Einseitigkeit bei dem Thema und zu einer besseren Berichterstattung? Nein, leider nicht. Auf den verlinkten Artikel bezogen, schreibt Robert Zion auf seinem Facebook-Profil sehr treffend Folgendes:
Und die Einseitigkeit deutscher sogenannter Qualitätsmedien nimmt immer groteskere Züge an. Der in der letzten Ergänzung bereits zitierte Robert Zion postete Folgendes unter einen Tagesschau-Posting auf deren Facebook-Präsenz, in dem Hillary Clinton nach der Vorwahl in Puerto Rico schon als quasi feststehende Präsidentschaftskandidatin gefeiert wurde:
Die seine Aussagen belegenden Links habe ich hier nun mal weggelassen, aber in jedem Fall scheint mir dies ja ein durchaus sachlicher Beitrag zu sein, oder?
Die Admins von der Tagesschau sehen das anscheinend anders, denn sie haben Zions Posting zwei Mal gelöscht (nach der ersten Löschung stellte er es noch mal ein). Wie soll man so was anders, wenn nicht als Zensur bezeichnen? Und was sagt es über einen Sender aus, auf dem eine derartige inhaltliche Debatte anscheinend nicht gewünscht ist, allerdings regelmäßig AfD-Politiker zum Hetzen in Talkshows eine Plattform geboten wird? Ach ja: Und wie passt das mit § 11 Abs. 2 des Rundfunkstaatsvertrages zusammen: