Brexit

Nun haben sich die Briten also entschieden – das Land wird die EU verlassen, die Brexit-Befürworter haben mit etwa 52 % die Mehrheit errungen. Was bedeutet das nun eigentlich genau? Bisher ist ja überwiegend zu hören, dass „die Börse“ und „die Märkte“ sehr beunruhigt reagieren. Neben einem eigenen kurzen Statement dazu habe ich auch noch einige gute Äußerungen dazu zusammengetragen, die vielleicht mal ein etwas differenzierteres Bild abgeben, als es von den meisten unserer „markthörigen“ Medien gezeichnet wird.

Zum einen sind die Briten ja meines Wissens erst mal noch bis 2018 in der EU, in der Zwischenzeit werden die Austrittsbedingungen verhandelt. Also erst mal abwarten, was dabei rauskommt. Und dann bestehen da ja richtig viele uni- und bilaterale Verträge von Großbritannien mit anderen Ländern, die sind auch nicht von heute auf morgen ungültig (darauf wies Jens Berger in einem Artikel auf den NachDenkSeiten, den wir neulich schon mal in den Wochenhinweisen verlinkt haben, hin). Nur weil die Zocker an der Börse jetzt durchdrehen, sollte man trotzdem auf dem Teppich bleiben, die Aktienkurse sind ja immerhin auch schon mal abgestürzt aufgrund einer Fake-Meldung, dass das Weiße Haus in die Luft gesprengt worden wäre, die haben also mit der Realität recht wenig zu tun.

In dem Zusammenhang: Auf die City of London verzichte ich als EU-Bürger übrigens durchaus ganz gern …

Sollte Schottland sich nun abspalten, da die halt gern in der EU bleiben würden, hätten wir ein progressives Land mehr in der Gemeinschaft – ist doch schon mal nicht schlecht. In Nordirland könnte das Gleiche passieren, dass beispielsweise eine Wiedervereinigung mit Irland stattfindet. Die Nordiren haben nämlich ebenfalls mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt.

Jetzt wird es interessant, was in Großbritannien passiert. Immerhin hat David Cameron, wie hier beim Independent zu sehen, ja schon mal seinen Rücktritt angekündigt …

Doch nun einige lesenswerte Zitate aus den sozialen Medien:

In gewisser Weise haben die Engänder – die Engländer, nicht die Briten (Bild) – das Dogma des Neoliberalismus („Jeder für sich und ich für mich!“) mit dieser Abstimmung auf die Spitze getrieben.

Möglich, dass nun Merkel und Schäuble ihren wichtigsten Verbündeten verloren haben und wir mit den Schotten, vielleicht sogar den Iren, neue wichtige Verbündete hinzugewinnen werden.

Verbündete für ein demokratischeres, sozialeres und friedlicheres Europa.

Und ab heute tut sich eine Möglichkeit auf, die schon lange überfällig ist: eine gemeinsame und unabhängige europäische Außen- und Sicherheitspolitik.

In jedem Bruch stecken auch Chancen.

Leid tut es mir für Labour sowie für die englischen und die waliser Grünen, die jetzt die von den Tories hinterlassenen Trümmer aufsammeln müssen. Sie haben nichts falsch gemacht und jetzt unsere Solidarität verdient.

Robert Zion (Grüne) auf seiner Facebook-Seite

 

BREXIT!
Welche Auswirkungen der Brexit auf Börsenkurse und Wirtschaft hat, können wir heute überall nachlesen. Offenbart dies nicht ein stückweit den wahren Charakter der EU? Wo lesen wir eigentlich etwas über die politischen Folgen des Brexit? Was ist mit dem Thema „Frieden in Europa“? Spielt alles eine untergeordnete Rolle. Als Linker hatte man es in Großbritannien sowieso nicht leicht: Auf der einen Seite das Brexit-Lager, dass mit rassistischen Sprüchen auftrumpft, auf der anderen Seite das Remain-Lager, dass weiter an der neoliberalen Politik der EU festhalten wollte. Nun haben sich die Nationalisten und Rassisten durchgesetzt. Das Ganze offenbart den Glaubwürdigkeitsverlust der EU. Auf ihre Fahnen schreibt sie sich, Europa zusammenwachsen zu lassen. Aber die soziale Kluft hat sie vertieft. Die EU ist militaristisch, neoliberal und undemokratisch. Sie ist ein Elitenprojekt, dass die Menschen außen vor lässt. Diese EU hat heute einen heftigen Schlag abgekommen. Aber aus der falschen politischen Ecke. Klar ist jetzt nochmal geworden: Entweder die EU muss sozial, demokratisch und friedlich werden oder sie wird nicht mehr lange sein!

Niema Movassat (Die Linke) auf seiner Facebook-Seite

 

Brexit und die Folgen

Kurz vor dem Referendum wollten uns die ‚Qualitäts- und Leitmeiden‘ weis machen, das die Brexit-Gegner nunmehr die Nase vorn hätten, Die ‚Finanzmärkte‘ nähmen das Ergebnis schon vorweg usw.usf. Verdummung pur. So wird hier in dieser Demokratie mittlerweile die öffentliche Meinung in eine bestimmte Richtung gelenkt.
Man muss freilich einräumen, dass der Brexit vom konservativen Lager in GB dominiert wurde, dennoch gab es auch ein llinkes Brexit-Lager. Es wird daher jetzt höchste Zeit für die Linke in Europa, auch für DIE LINKE in Deutschland, dass sie die Anti-EU Haltung nicht mehr der Rechten überlässt. Darin bestand seit langer Zeit einer der wichtigsten Gründe für die Schwäche der Linken. Damit muss jetzt allmählich Schluss sein. Diese EU ist nicht Europa. Ich bin überzeugter Anhänger der europäischen Idee, und die offizielle EU-Hymne „… alle Menschen werden Brüder…“ entspricht meiner tiefen politischen Überzeugung. Aber diese EU, dieser €, demütigen, drangsalieren und verarmen weite Teile der Bevölkerungen unter der Hegemonie Deutschlands mit brutalster neoliberaler Peitsche. Die GriechInnen sind die, die am schlimmsten leiden, auch andere Länder begehren auf. Es wird höchste Zeit für einen Neustart Europas mit einem sozialstaatlichen, ökologischen und demokratischen Verfassungsvertrag. Diese EU dürfte kaum reformierbar sein – auch wenn jetzt wieder vereinzelt Blütenträume einer ‚linken‘ Stärkung innerhalb der EU bei Austritten Schottlands u.a. entstehen mögen. Ob die EU-Eliten aus dieser Niederlage lernen und die EU demokratischer gestalten? Das halte ich für eine gefährliche Illusion. Ergeben dürfen wir uns dieser nicht. Dennoch schließe ich meine vorläufige Bewertung mit der Aufforderung an diese Eliten: Straft mich Lügen, führt die von Euch abgeschaffte Demokratie in der EU wieder ein!

Michael Aggelidis (Die Linke) auf seiner Facebook-Seite

Und auch auf den NachDenkSeiten findet sich ein lesenswerter Artikel von Jens Berger zu dem Thema, in dem zu Recht darauf hingewiesen wird, dass der Brexit vor allem von rechtskonservativen Kräften vorangetrieben wurde. Berger beschreibt darin gut, woran die EU krankt, dass ihre vorgeblichen Werte nichts als hohle Worthülsen sind und dass es nun wichtig ist, den Brexit als Chance zu sehen, die EU nicht den rechten Demagogen zu überlassen, sondern eine Wende weg von der neoliberalen Politik zu inszenieren – wie auch immer das genau geschehen soll.

In der Süddeutschen Zeitung stellt Esther Widmann einige Fragen zu den Folgen des Brexit, die auf recht nüchterne und verständliche Art und Weise beantwortet werden. Das liest sich dann gleich schon mal ein wenig weniger alarmistisch als das, was sonst so gerade durch den Blätterwald rauscht.

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

5 Gedanken zu „Brexit“

  1. Interessant! In den meisten Medien war ja übereinstimmend zu hören, dass sich vor allem die Älteren gegen und die Jüngeren für einen EU-Verbleib Großbritanniens ausgesprochen hätten bei der Wahl. Norbert Häring stellt nun in einem Artikel auf seiner Webseite fest, dass die Wahlbeteiligung bei den jüngeren Wählern deutlich niedriger gewesen zu sein scheint als bei den älteren, sodass sich darauf aufbauend dann doch ein etwas anderes Bild ergibt.

  2. Hier noch ein paar Links zu empfehlenswerten Artikeln, Kommentaren und Analysen zum Brexit:

    Heiner Flassbeck kritisiert in einem Kommentar auf Makorskop deutlich, wie unangemessen die Reaktionen von deutscher Politik und Medienlandschaft auf das Abstimmungsergebnis von letztem Donnerstag waren. Wie immer erklärt Flassbeck ökonomische Zusammenhänge mit gut verständlichen Worten – ausgesprochen lesenswert!

    Robert Misik beschreibt in einem Kommentar für die taz die drei Gründe, die zum Brexit-Votum geführt haben: eine schon seit Jahren bestehende britische Anti-EU-Haltung, die stetig größer werdende Kluft zwischen Bürgern und sogenannten Eliten sowie die ausschließlich neoliberale Ausrichtung der EU, die immer mehr Verlieren und damit EU-Skeptiker produziert und die zu einem zunehmenden Gegeneinander statt Miteinander führt.

    Zwar schon vom 21. Juni und damit zwei Tage vor der Abstimmung erschienen ist ein Telepolis-Artikel von Ernst Wolff, der die Brexit-Debatte als Nebelkerze bezeichnet, um von den Manipulationen und immer stärker auftretenden Verwerfungen auf den Finanzmärkten abzulenken. Interessante Sichtweise!

    Auch Nikolaus Lackner kommt in einem Kommentar für den österreichischen Blog mosaik zum Schluss, dass der Finanzmarkt mittlerweile abgekoppelt ist von der Realität der meisten EU-Bürger und beschreibt, wie am Tag nach dem Brexit-Votum deutlich wurde, dass es den sogenannten Eliten nicht um politische Stabilität, Frieden, eine Wertegemeinschaft oder gar Demokratie geht, sondern nur um eines: Geld.

  3. Auf amüsante, aber dennoch fundierte Art und Weise nimmt sich Jens Berger in einem Artikel auf den NachDenkSeiten der groteskesten Meldungen in der deutschen Journaille an, die nach dem Brexit in Artikelform gegossen wurden. Ob dem nun einfach nur gnadenlose Unwissenheit (um nicht zu sagen: Blödheit) der schreibenden Zunft oder die Absicht gezielter Stimmungsmache zugrunde liegt, mag nun jeder für sich selbst entscheiden.

  4. Ein treffender Kommentar von Georg Restle findet sich auf der Facebook-Seite der ARD-Sendung Monitor:

    Europa neu denken!
    Ach wie konnten sie nur? Das Seufzen der „überzeugten Europäer“ nimmt auch Tage nach der Volksabstimmung über den Brexit kein Ende. Dabei liegt dem Klagen ein großes Missverständnis zugrunde. Denn wie immer die Entscheidung der britischen Bevölkerung gedeutet werden mag, es war kein Votum gegen Europa. Es war auch kein Votum gegen die Idee der europäischen Einheit. Es war vielmehr ein Votum gegen die Verfasstheit dieser Europäischen Union – getragen von einem Gefühl, durch einen Apparat von Brüsseler Bürokraten bis ins Kleinste bevormundet und entrechtet zu werden.
    Es wäre daher ein großer Irrtum, die Entscheidung der Briten als puren nationalistischen Irrsinn abzutun – und daraus Bestrafungsszenarien zu entwickeln, wie es einige in Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten jetzt offenbar vorhaben. Nach der Devise: Bloß keinen Domino-Effekt, bloß keinen Frexit, Italix oder wer immer den Briten noch folgen mag. Dabei steckt hinter diesen Szenarien nichts anderes als der selbe paternalistische Reflex, der das große Vertrauensdefizit in die europäischen Institutionen erst verursacht hat.
    Wer dagegen ernsthaft verhindern will, dass die EU auseinander bricht, muss zeigen, dass er die Botschaft des Brexit richtig verstanden hat: Eine Botschaft, die im Kern mehr Mitbestimmung einfordert und mehr Respekt vor den Wählern in den Mitgliedstaaten dieser Union. Er muss deutlich machen, dass Europa mehr ist als ein durch Lobbyisten aufgeblähter Wasserkopf, der geheime Absprachen hinter verschlossenen Türen für Demokratie hält – und für Freiheit vor allem die Freiheit von Banken und Großkonzernen.
    Natürlich ist die EU nicht nur das: Die Freizügigkeit für Arbeitnehmer, die Rechte von Minderheiten oder die Stellung der Frauen in Europa – dies alles gehört zur Erfolgsbilanz dieser Union und ihrer Institutionen. Und selbst die schärfsten Kritiker von TTIP und CETA kämpfen zurecht dafür, dass europäische Umwelt- oder Sozialstandards nicht durch Geheimabkommen verwässert werden. Standards, die schließlich durch die EU und ihre Mitgliedstaaten gesetzt wurden.
    Wer die europäische Idee für die Bürger dieses Kontinents wieder attraktiv machen will, muss hier ansetzen. Er muss den Menschen deutlich machen, dass es um ihre Rechte als Arbeitnehmer und Verbraucher geht – und dass sie an den Entscheidungen darüber beteiligt werden. Nicht weniger Europa, sondern mehr Transparenz, mehr Mitbestimmung, mehr Demokratie! Dies wäre die richtige Botschaft nach dem Brexit. Nicht nur an die Briten.
    Georg Restle

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