Schreibtischtäter

Seit 16 Jahren bin ich freiberuflich tätig, seit 2005 lebe ich in meiner jetzigen Wohnung, in der ich auch ein Arbeitszimmer habe. Bisher habe ich nie Probleme mit dem Finanzamt gehabt, habe stets meine Steuern bezahlt, mal nachgezahlt, mal etwas zurückerhalten (die Umsätze variieren ja von Jahr zu Jahr). Soweit also alles gut. Doch nun durfte ich gerade die Erfahrung machen, wie es sich anfühlt, wenn man beim Finanzamt an jemanden gerät, der ohne eigenes Nachdenken seine Anordnungen ausführt und dabei anscheinend noch etwas Freude an der Schikane hat. Ein ausgesprochen unangenehmer, wenn nicht gar gefährlicher Typ Mensch, wie ich finde.

Ich habe meine Einkommensteuererklärung in den ersten Jahren meiner Selbstständigkeit immer auch selbst angefertigt. Das war kein großes Vergnügen, aber da die einzutragenden Zahlen in den Formularen ja irgendwie immer die gleichen waren, ging das schon so halbwegs. Wenn ich ab und an mal etwas beim Finanzamt nachgefragt habe, dann haben die in der Regel auch bereitwillig Auskunft gegeben. Als dann die Formulare jedes Jahr anders gestaltet waren und die Steuererklärung so immer mühseliger wurde, habe ich eine Steuerberaterin damit beauftragt. Damit hatte ich nicht nur die Arbeit von der Backe, sondern wurde von ihr auch darauf hingewiesen, dass ich in den vergangenen Jahren aus Unwissenheit stets zu viel Steuern bezahlt habe, da ich einige abzugsfähige und anrechenbare Posten nicht berücksichtigt hatte. Ein bisschen ärgerlich, aber letztlich auch kein Drama, denn generell finde ich es ja schon sinnvoll, Steuern zu bezahlen.

So lief es nun auch einige Jahre ausgesprochen problemlos, und als ich dann im Juli von meiner Steuerberaterin die abzusegnenden Unterlagen erhielt, die sie ans Finanzamt übermitteln wollte, war ich recht guter Dinge, da mir eine Rückzahlung im niedrigen vierstelligen Bereich ins Haus stand.

Als ich Anfang September noch keinen Steuerbescheid erhalten habe, wurde ich ein wenig unruhig, da ich ja am 10. September meine vierteljährliche Einkommensteuervorauszahlung tätigen musste und somit eine weitere Überzahlung geleistet hätte. Also fragte ich bei meiner Steuerberaterin nach, wie ich da nun vorgehen sollte.

Sie informierte mich darüber, dass das Finanzamt zu Recht eine kleine Unaufmerksamkeit von ihr moniert hatte (ich erspare Euch hier nun die Details, das ist nicht wirklich spannend), die sie daraufhin allerdings auch schnell korrigiert und an die Behörde übermittelt hatte. Zudem meinte sie, dass mein Arbeitszimmer nun zu weiteren Nachfragen geführt hätte, die wir dann telefonisch durchsprachen. Zudem wollte das Finanzamt einen Grundriss unserer Wohnung (habe ich dann von Hand anfertigen müssen) und Fotos vom Arbeitszimmer haben. Das fand ich nun schon etwas befremdlich, nachdem ich dieses Zimmer ja seit 2005 schon in meinen Steuererklärungen angebe. Irgendwo muss ich ja schließlich arbeiten als Freiberufler, denn ich hab ja kein Büro, in das ich jeden Tag pendle.

Und dann ging es erst richtig los: Da zwischenzeitlich drei Sachbearbeiter (die anscheinend untereinander nicht kommunizierten) an meinem „Fall“ dran waren, wurden nun teilweise Unterlagen angefordert, die beim Finanzamt bereits vorlagen, mir wurde vorgeworfen, dass ich ja meinen Lebensunterhalt gar nicht mit meiner freiberuflichen Tätigkeit bestreiten könnte, sodass ich eine genau Aufschlüsselung meiner jährlichen Ausgaben übermitteln musste, der Bitte, die am 10. September zu leistende Vorauszahlung doch mit dem zu erwartenden Guthaben zu verrechnen, wurde nicht entsprochen, vielmehr wurde das sogar komplett ignoriert. Immerhin wurde ein Steuerbescheid erstellt, der den zu zahlenden Betrag schon mal anglich, sodass er deutlich niedriger ausfiel. Zahlen musste ich den aber dennoch erst mal, denn es ging bereits eine Mahnung raus, als ich noch auf eine Antwort des Finanzamtes wegen der Verrechnung wartete.

Was meine Steuerberaterin mir in einer Mail dazu schrieb, trifft es nun eigentlich schon ganz gut, zumindest fühlte ich mich in der Tat genau so:

Es tut mir leid, dass das Finanzamt seine Arbeitsweise auf Ihrem Rücken austrägt und dortige Sachbearbeiter unter Umständen ihren Behördenfrust auf Sie übertragen.

Für mich erschreckend ist, dass 3 Personen 1 Angelegenheit bearbeiten und aus dem Schriftwechsel nur jeweils den Part herausnehmen (dürfen), den sie selber gerade erledigen (sollen). Das bin ich so in meiner 30-jährigen Tätigkeit noch nicht gewohnt.

Erschreckend ist auch, wie das Finanzamt sich verhält, wenn es aufgefordert wird, zu akzeptieren, dass der Steuerpflichtige Korrespondenzstelle ist … Es gibt da den Begriff „Mobbing“ in der freien Wirtschaft …

Daraufhin fuhr ich dann erst mal in den Urlaub, denn der war schon gebucht, wenngleich die Reisekasse nun deutlich schmaler gefüllt war als erhofft.

Als ich zehn Tage später wieder nach Hause kam, erwartet mich gleich wieder Post vom Finanzamt. Eine Sachbearbeiterin teilte mir mit, dass sie nun allein für meinen Steuerbescheid zuständig sei und dass ich Folgendes noch zu erbringen habe: Die Fotos meines Arbeitszimmers wollte sie im Original haben, da die Qualität, die sie aus dem Fax erhielt, ihr nicht gut genug war (na ja, wenn man auch Steinzeittechnologien nutzt …), zudem sollte ich eine Zahlungsbestätigung für die Anschaffung eines neuen Rechners vorlegen (eine Rechnung des nicht ganz kleinen Händlers Gravis reichte ihr nicht aus – meine Steuerberaterin meinte nur, dass ihr so was noch nie untergekommen wäre bisher), mein Mietvertrag musste auch noch mal eingereicht werden (liegt dem Finanzamt seit 2005 vor – aber sei’s drum …), und dann forderte sie mich auch noch auf, lückenlos meine Mietzahlungen aus dem Jahr 2017 nachzuweisen. Klar, ich wohne seit über 13 Jahren in einer Wohnung und zahle dort keine Miete – oder wie stellt sich diese Frau das sonst etwa vor?

Nun liegen auch diese Unterlagen beim Finanzamt, auf meine Rückzahlung warte ich immer noch – und ich hoffe nur, dass sich die Sachbearbeiterin nicht noch weitere Schikanen einfallen lässt …

Wohlgemerkt: Es geht hier um ein seit 2005 genutztes Arbeitszimmer, in dem ich immerhin so viel gearbeitet habe, dass bestimmt ein sechststelliger Betrag an Umsatz- und Einkommensteuern in dieser Zeit angefallen ist, die auch alles stets brav an das Finanzamt entrichtet habe. Dieses Arbeitszimmer schlägt mit gut 200 Euro im Monat zu Buche – ein externes Büro würde ich für dieses Geld hier in Hamburg niemals mieten können (und dann kämen ja auch noch bei der Steuer abzugsfähige zu verrichtende Arbeitswege hinzu). Es ist also nicht so, dass ich in irgendeiner Form einen in der Höhe nicht plausiblen Posten bei mir als Kosten anführe.

Und da komme ich dann von meinem Einzelfall aufs Allgemeine, was ich hieran über den persönlichen Frust hinaus ärgerlich, wenn nicht sogar gefährlich finde: Laut meiner Steuerberaterin findet bei den Finanzämtern eine Umstellung auf EDV-Auswertung statt, und im Zuge dessen wird dann den Sachbearbeitern vorgegeben, beim Bereich Arbeitszimmer ein Häkchen zu setzen, dass es damit alles seine Ordnung hat. Dieses Häkchen war bei mir anscheinend noch nicht gesetzt, sodass sich nun diese ganze bürokratische Groteskerie zu entwickeln begann.

Es wird also, ohne die tatsächlichen realistischen Gegebenheiten zu berücksichtigen oder den gesunden Menschenverstand zu bemühen, aus allen zur Verfügung stehenden Rohren gefeuert – das ist in diesem Fall nämlich Ermessenssache (sagte mir meine Steuerberaterin) und somit auch alles rechtens. Dass ich nun schon bald ein Vierteljahr auf einen nicht unerheblichen Betrag warte, den ich zu viel an Steuern entrichtet habe – geschenkt. Dass das Ganze ja nicht nur meine Nerven, sondern auch öffentlich Gelder (die Sachbearbeiterin muss ja schließlich bezahlt werden, Porto fällt auch immer wieder) kostet – egal.

Und ich werde bestimmt nicht der Einzige sein, dem so etwas widerfährt, sodass da in der Summe schon einiges zusammenkommen dürfte. Zumal sich so ein Verhalten ja auch nicht nur auf das Finanzamt beschränkt, gerade Hartz-IV-Empfänger können da ja allzu oft ein unschönes Lied singen, wie sie von den bürokratischen Mühlen der Jobcenter durch deren Angestellte drangsaliert werden.

Hier liegt also ein typisches Beispiel für einen Befehlsempfänger vor, der ausführt, was ihm gesagt wird, ohne dabei groß über Sinn und Unsinn nachzudenken. (Und das ist noch die positive Auslegung, denn wenn solchen Leuten die Unsinnigkeit ihrer Tätigkeit voll bewusst wäre, dann würde das ja nicht eben besser sein.) Ich schieß jetzt mal ein bisschen mit Kanonen auf Spatzen: Hannah Arendt nannte dieses Verhaltensmuster im Zuge des Eichmann-Prozesses die „Banalität des Bösen“. Das ist also kein neues Phänomen, Franz Kaffka hat dies ja auch schon in seiner Literatur auf sehr kunstvolle und verstörende Weise beschrieben.

Was nun allerdings m. E. heutzutage besonders bedenklich ist: Die Anweisungen werden mitunter nicht mal mehr von Menschen gegeben, sondern (so wie in meinem Fall) vom Computer. Auch wenn sich die Komödianten von „Little Britain“ darüber schon vor einiger Zeit auf amüsante Weise lustig gemacht haben (s. hier), so ist es doch im Grunde kein Spaß, wenn man sich vorstellt, dass derartige gedankenlos agierende Schreibtischtäter ihre Order nicht mehr von einer vielleicht reflektierteren Person bekommen, sondern direkt aus dem Rechner, der keine menschliche Abwägung von komplexen und stets unterschiedlichen Gesamtzusammenhängen mehr vornimmt – was selbst dann erschreckend ist, wenn so ein IT-System wirklich komplett fehlerfrei laufen sollte.

Und was noch neben dieser Digitalisierungskomponente hinzukommt: Wie meine Steuerberaterin ja weiter oben schon andeutete, herrscht in solchen Behörden (so wie ja eigentlich an den meisten Arbeitsplätzen) auch eine große Arbeitsverdichtung vor, was zu einem gesteigerten Frustpotenzial der dort Arbeitenden führt. Wenn man dann noch das zunehmend verrohte allgemeingesellschaftliche Klima hinzunimmt, ergibt sich da ein gruseliges Gebräu, wie ich finde.

Hier werden die Bürokraten herangezüchtet, die ein totalitäres System braucht, um die Bevölkerung knechten zu können, denn solche Schergen sind nicht nur im unmittelbaren Sicherheitsapparat zu finden, sondern stets auch an den Schreibtischen der Amtsstuben. Etwas weit hergeholt oder gar zu krass als Vergleich? Zumindest hat ein Polizist, dessen lesenswerter Brief zum Polizeieinsatz im Hambacher Forst gerade durch die (sozialen) Medien geht, ähnliche Gedanken:

Es ist noch nicht lange her, da haben ausführende Organe Menschen in Güterzüge gesperrt, nur weil jemand gesagt hat, dass es richtig ist. Hat sich damals, und auch jetzt, dabei auch diese „Naja, ist ja nunmal unser Job“-Einstellung durchgesetzt? Genau so entstehen Diktaturen. Genau so kann eine Regierung gegen ihr Volk handeln.

Aus eigener oben geschilderter Erfahrung kann ich nun nur sagen: Wenn man an derartige Schreibtischtäter gerät, ist das alles andere als spaßig, denn man ist solchen Leuten weitgehend ausgeliefert, was diese eben auch ganz genau wissen. Und ob bei so einem Menschen nun Motive wie Frust, Bösartigkeit oder Gehässigkeit überwiegen mögen oder eher stumpfes Desinteresse, Denkfaulheit oder Kadavergehorsam, ist in dem Moment auch eher zweitrangig, denn die Resultate dieses Verhaltens sind zumindest ausgesprochen negativ und können sich im entsprechenden Rahmen zu menschenverachtender Gefährlichkeit auswachsen.

Zudem schürt so etwas bei den Betroffenen auch noch eine Ablehnung des Staates und seiner Institutionen, und das ist nun auch nicht gerade eine besonders tolle Sache. Davon profitieren dann höchstens die Vermögenden, die ihre stumpfen Parolen, dass der Staat die Bürger bestiehlt mittels Steuern, besser an den Mann/die Frau bekommen, sowie rechte Rattenfänger, die sich derartigen Verdruss ja nun auch leider allzu gut zunutze zu machen verstehen.

Um abschließend noch einmal auf meinen konkreten geschilderten Fall zurückzukommen: Wenn ich mir nun noch überlege, dass ich von einer Behörde dermaßen drangsaliert werde, ohne auch nur eine einzige unrechtmäßige Sache bei meiner Steuererklärung angegeben zu haben, auf der anderen Seite aber genau diese Institutionen dafür sorgen, dass Konzerne und Vermögende im ganz großen Stil Steuern hinterziehen können, oder auch so etwas wie die Cum-Ex-Deals jahrelang stillschweigend geduldet haben, dann erreicht das Ganze noch mal eine andere Ebene, nämlich die von „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“ – was auch wieder extrem frustrierend ist. Aber das soll hier nun nicht noch weiter ausgeführt werden …

 

 

 

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Ein Gedanke zu „Schreibtischtäter“

  1. Heinrich Schmitz beschreibt in seiner Kolumne auf Tagesspiegel Causa einen von Schreibtischtätern inszenierten Behördenwahnsinn mit noch deutlich schlimmeren Folgen, als ich sie erlebt habe (und übrigens immer noch erlebe, das Thema ist bei mir nach wie vor nicht durch): ein Asylsuchender, der zwischen die Mühlen von Jobcenter, Familiengericht und Ausländeramt gerät.

    Auch hier handeln alle Sachbearbeiter nach Vorschrift, nur ergibt sich dann in der Gesamtschau eine reichlich groteske Situation mit zahlreichen Widersprüchen, wie sie sich Franz Kafka nicht besser hätte ausdenken können. Ein Paradebeispiel dafür, dass es die oben von mir beschriebenen geistlos-apathisch handelnden Schergen nicht nur im Finanzamt gibt …

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