Studie zur rechtsextremen Einstellung: Rechtsextremismus in Deutschland angeblich auf dem Rückzug

Da habe ich heute nicht schlecht gestaunt, als ich von Occupy Hamburg einen Bericht über eine Studie der Uni Leipzig las, in dem von einem signifikanten Rückgang rechtsextremer Einstellungen in Deutschland die Rede ist, denn irgendwie habe ich in letzter Zeit eher das Gefühl, dass das Gegenteil der Fall ist. Auch die Frankfurter Presse präsentiert einen ausführlichen Artikel (leider nicht mehr online aufrufbar) dazu. Wie so oft lohnt sich hierbei allerdings auch ein etwas genauerer Blick auf die Studienresultate, bei dem man dann auch zu einer anderen Interpretation kommen kann.

Ein „geschlossenes rechtes Weltbild“, von dem in der Studie die Rede ist, mag ja durchaus seltener vorkommen als noch vor einigen Jahren, aber das ist ja heutzutage auch kaum noch nötig, da eben viele rechtsextreme Positionen mittlerweile auch ohne ein solches vertreten werden. Das ist dann die „Das wird man ja noch sagen dürfen“- und „Ich bin ja kein Nazi, aber“-Fraktion, die eben Sarrazin, Pirincci, Broder und Co. liest und deren Hetze auch gern weiter verbreitet. Solche Menschen wünschen sich nicht zwangsläufig eine Diktatur und können auch durchaus anderen rechten Positionen kritisch gegenüber eingestellt sein, sind aber trotzdem als rechtsoffen zu bezeichnen, da sich in ihren Aussagen ein sehr hierarchisches Menschenbild offenbart: Ich/wir sind gut, die anderen sind schlecht – ein typisches Merkmal rechten Denkens.

Zudem würde ich den Begriff des Sozialdarwinismus weiter fassen, als dies in der Studie der Fall war, also nicht nur in der Art, dass andere Menschen als „unwertes Leben“ bezeichnet werden, sondern eben auch manifestiert in einem Herabschauen auf Hartz-IV-Empfänger und andere, die es in der Leistungsgesellschaft gerade mal nicht so richtig schaffen und daher eine schlechteren sozialen Status haben als man selbst. Und da finden sich nun Etliche aus der Mittelschicht, die allzu gern in den Tenor der „faulen Hartzer“ und der „Sozialschmarotzer“ einstimmen. Natürlich umso lauter, wenn es sich dann dabei auch noch um Nichtdeutsche handelt, die Transferleistungen beziehen. Über dieses Phänomen habe ich ja vor einigen Wochen schon mal auf unterströmt den Artikel Das verrohte Bürgertum geschrieben.

Dem scheint nun entgegenzustehen, dass laut der Studie gerade Arbeitslose häufiger rechtem Gedankengut zustimmen und anhängen. Dem liegt m. E. aber ein anderes Phänomen als die Angst vor dem eigenen möglichen sozialen Abstieg zugrunde: Wer nämlich mit sich selbst und seinem Leben nicht zufrieden ist (und das dürfte bei den meisten Arbeitslosen der Fall sein), sucht sich gern mal andere zum Draufhauen, um sich so dann wenigstens noch über diesen Menschen stehend zu fühlen. Bildung wird ja in der Studie als Faktor geschildert, der rechtem Denken entgegenwirkt. M. E. sollte man hierbei allerdings nicht unberücksichtigt lassen, dass Bildung eben auch oft zu besserem Einkommen und somit einer Möglichkeit, sein Leben besser zu gestalten, führt. Dies versetzt viele dann überhaupt erst in die Lage, sich auch um Schwächere zu kümmern und mit ihnen mitzufühlen, anstatt auf sie herabschauen zu wollen.

Zum Ende hin findet sich dann in dem oben verlinkten Artikel der Frankfurter Presse folgender Absatz:

Die Abneigung gegen Muslime ist im Zeitverlauf rasant gestiegen. Mehr als ein Drittel der Befragten ist aktuell der Meinung, Muslimen sollte die Einreise nach Deutschland untersagt werden. 2009 war es noch jeder fünfte. Fast jeder zweite gab in der aktuellen Studie an, sich durch die vielen Muslime manchmal wie ein Fremder im eigenen Land zu fühlen. Ähnlich stark stieg die Abneigung der Befragten gegenüber Sinti und Roma: Mehr als die Hälfte hätten ein Problem damit, wenn diese Personengruppe in ihrer Umgebung leben würde. Mehr als die Hälfte ist der Meinung, Sinti und Roma neigen zur Kriminalität. Den stärksten Anstieg verzeichnet die Haltung der Befragten mit Blick auf die Flüchtlingspolitik. War 2011 noch jeder Vierte der Ansicht, der Staat sollte bei der Prüfung von Asylanträgen weniger großzügig sein, sind es aktuell drei von vier Befragten, die dieser Meinung sind.

Es gibt also haufenweise (und immer mehr) Menschen, die sich derartige rechte Positionen zu eigen machen, sich selbst aber eher nicht am rechten Rand sehen (und auch von anderen nicht dort eingeordnet werden). Das entspricht auch meiner Erfahrung in den letzten Jahren, und da muss man sich ja auch nur die Kommentarspalten von Zeitungen anschauen oder Äußerungen zu politischen Beiträgen in sozialen Medien lesen, um dies zu erkennen. Ein besonders unappetitliches Beispiel hat Rayk Anders gerade heute auf seiner Facebook-Seite gepostet (mittlerweile entfernt aufgrund des Wunsches der Eltern des Mädchens), nämlich die unterschiedlichen Reaktionen auf die Berichte über ein dreijähriges deutsches Mädchen, das an einer Knochenmarkserkrankung gestorben ist in der WAZ, und über einen zweijährigen türkischen Jungen, der kein Spenderherz bekommen hat und deswegen sterben musste (Facebook-Seite von N24): auf der einen Seite Beileidsbekundungen für das deutsche Kind, auf der anderen Seite übelste Äußerungen wie „wieder einer weniger der uns später Probleme machen kann“ und „Zum Glück noch mehr von dem Pack brauchen wir nicht“ (Rechtschreibung von den Zitaten übernommen) bei dem türkischen Kind.

Insofern zeigt die Studie für mich vor allem eins: Rechtes Gedankengut ist nicht mehr allein auf irgendwelche gesellschaftlichen Außenseiter beschränkt (manifestiert im Bomberjacke-Springerstiefel-Glatze-Klischee), sondern findet sich mittlerweile in großer Akzeptanz in der sogenannten gesellschaftlichen Mitte, also im normalen Bürgertum, wieder. Eine Entwarnung, wie sie die vordergründige Interpretation der Studienergebnisse nahelegen könnte, kann also demzufolge meiner Ansicht nach nicht gegeben werden.

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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