Ein bezeichnendes Beispiel für einen alten weißen Mann

Am vergangenen Wochenende gingen wir bei herrlichstem Herbstwetter mit unserem Hund am Ostseestrand spazieren. Wir haben ein Ferienhaus an der Geltinger Bucht und zum Glück den Hundestrand quasi direkt vor der Tür. Ab 30. September darf man dann, so steht es auf dem Schild, das den Anfang und das Ende des Hundestrands markiert, auch den restlichen Strandbereich mit seinem Hund nutzen. Das machen nicht nur wir, sondern auch viele andere Hundebesitzer, denn am Strand kann man seinen Hund ja prima ohne Leine laufen lassen, da die Möglichkeiten zum Ausbüchsen, Jagen oder sonst was für Hundeunfug dort nicht gegeben sind.

Nun begegneten wir auch einem älteren Ehepaar, das sehr unfreundlich reagierte, als unser Hund in ihre Nähe lief.

„Sie müssen den Hund anleinen!“, rief uns der Mann barsch entgegen.

Da wir ohnehin kurz darauf den Strand verlassen wollten, waren wir ohnehin schon so gut wie dabei, unseren Hund an die Leine zu nehmen. Doch auch als wir das dann machten, legte der Mann gleich nach.

„Sie dürfen hier überhaupt nicht sein mit ihrem Hund!“

Nun machten wir ihn darauf aufmerksam, dass wir sehr wohl hier sein durften, denn schließlich war es ja schon Mitte Oktober, und auf dem offiziellen und mit „Der Bürgermeister“ gekennzeichneten Schild stand ja, dass Hunde ab dem 1. Oktober nicht nur am Hundestrand, sondern im gesamten Strandbereich der Gemeinde unterwegs sein durften.

Doch das beeindruckte den Mann nicht im Geringsten: „Das Schild ist falsch!“

Aha.

Wie er denn darauf komme, fragten wir ihn, worauf er dann entgegnete, dass das so im Gesetz stünde und dass er und seine Frau das genauestens gelesen hätten, da sie nämlich eine Hundephobie habe.

Daher wehte also der Wind. Hätte er gleich gesagt: „Könnten Sie bitte ihren Hund von uns fernhalten? Meine Frau hat Angst vor Hunden“, dann wäre ja alles in Ordnung gewesen. Aber er hatte sich ja dafür entschieden, den Pfad der besserwisserischen Unfreundlichkeit zu beschreiten. Na ja, eben typisch alter weißer Mann (damit meine ich die Geisteshaltung, nicht den Phenotyp, wenngleich sie sich meistens in Letzterem manifestiert), dachte ich bei mir …

Nun kann man nicht von jedem Strandspaziergänger erwarten, dass er die Rechtslage in- und auswendig kennt, wenn sie einem offiziell aufgestellten Schild entgegensteht, sondern es ist mit Sicherheit nicht fahrlässig, sich darauf zu verlassen, dass die Instruktionen des Schildes schon so ihre Gültigkeit haben würden.

„Und selbst wenn das hier ein Hundestrand wäre, dann dürften Sie Ihren Hund auch nicht ohne Leine laufen lassen!“, zeterte mittlerweile der alte weiße Mann weiter. Woher er auch immer diese Erkenntnis nun schon wieder haben wollte, denn meines Wissens sind Hundstrandabschnitte mit Leinenpflicht auch entsprechend gekennzeichnet.

Woraufhin meine Frau meinte: „Unser Hund tut niemandem was, die ist total harmlos.“ Und außerdem noch nicht mal besonders groß und furchteinflößend.

„Hunde sind grundsätzlich eine Bedrohung!“, legte der Mann nach. „Die gehören immer an die Leine! Es gibt Hunde, die haben die Kinder ihrer Halter totgebissen!“

„Und es gibt Eltern, die quälen, vergewaltigen und töten sogar ihre Kinder“, antwortete ich daraufhin, um ihm die Absurdität seiner Argumentation aufzuzeigen. „Wollen Sie denn jetzt auch alle Menschen deswegen an die Leine legen?“

Darauf ging der Hundehasser dann nicht weiter ein …

Also legte ich noch mal ein wenig nach: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass von Menschen ohnehin generell die größte Gefahr für andere Menschen ausgeht und wesentlich mehr Menschen von anderen Menschen getötet oder verletzt werden als von Hunden.“

Woraufhin meine Frau dann noch zu bedenken gab: „Warum suchen Sie denn überhaupt Orte auf, an denen sie vorhersehbar Hunden begegnen werden? Und meinen Sie nicht, dass es sinnvoll wäre, wenn Ihre Frau bei ihrer anscheinend so großen Hundephobie mal eine Psychotherapie dagegen machen könnte?“

Ich muss dazusagen, dass meine Frau selbst Psychiaterin ist und so eine Aussage daher nicht einfach nur so dahergeredet ist, sondern sie sich mit Phobien schon recht gut auskennt. Das gab sie auch dem alten weißen Mann zu verstehen.

Der redete sich nun aber immer mehr in Rage: „Hundebesitzer sollte lieber mal in Therapie gehen! Die haben ihr Tier doch nur als Kinderersatz. Ich kenne eine alte Frau, die hat sich einen Hund geholt, als ihre Kinder aus dem Haus waren …“

„Nun ist der Hund aber schon seit langer Zeit ein Begleiter des Menschen …“, warf meine Frau dann ein.

„Ach, das war vielleicht mal in der Steinzeit so! Aber wer braucht denn heute noch Hunde? Na ja, außer Schäfern vielleicht …“, polterte es zurück.

„… und Behindertenhunde, Rettungshunde, Drogenspürhunde, Polizeihunde, Therapiehunde …“, fielen mir dann noch ein paar sehr praktische Betätigungsfelder für Hunde ein.

Das schien den Hundehasser aber nicht zu interessieren, denn er setzte seine Tiraden gegen Hundebesitzer, die seiner Ansicht nach grundsätzlich gestört wären, fort.

Nun war auch für uns der Zeitpunkt gekommen, diese Diskussion endgültig als komplett unfruchtbar zu klassifizieren, und wir ließen den mosernden alten weißen Mann stehen, um unseren Spaziergang fortzusetzen. Als wir dann so 20 Minuten später nach einer Runde durch einen kleinen Wald wieder zum Strand kamen, stand der alte weiße Mann mit seiner Frau nur wenige Hundert Meter von der Stelle, an der wir ihm begegneten, und zeterte schon wieder auf andere Menschen ein. Das scheint ihm ja mehr Vergnügen zu bereiten als das eigentliche Spazierengehen, wenn man seine zurückgelegte Strecke mal mit der Zeit vergleicht, die er mit Echauffieren verbracht hat …

Wieder zu Hause, habe ich mich dann mal hingesetzt, um zu schauen, was an der Aussage, dass Strände in Schleswig-Holstein erst ab dem 1. November für Hunde freigeben sind, dran ist. Und da stieß ich im Internet auf Folgendes:

Gesetz zum Schutz der Natur
(Landesnaturschutzgesetz – LNatSchG)

§ 32
Gemeingebrauch am Meeresstrand

[…]

(2) Das Reiten und das Mitführen von Hunden ist auf Strandabschnitten mit regem Badebetrieb in der Zeit vom 1. April bis zum 31. Oktober verboten, wenn nicht die Gemeinde im Rahmen einer zugelassenen Sondernutzung etwas anderes bestimmt.

(Quelle: http://www.gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de/jportal; Hervorhebung durch mich)

Na so was. Das Schild an unserem Strand ist also nicht „falsch“, sondern es ist das Recht der Gemeinde, hier eine vom Landesnaturschutzgesetz abweichende Regelung festzulegen. Der alte weiße Mann hat also einfach diesen doch nicht unerheblichen zweiten Satzteil der Vorschrift einfach „übersehen“ – oder wohl eher bewusst ignoriert, da er ihm nicht in den Kram passt.

Um das Verhalten, welches dieser Mann an den Tag gelegt hat, nun mal ein bisschen von der konkreten Situation zu lösen und mit allgemeineren Worten zu beschreiben:

Es gibt einen missliebigen Zustand oder eine eigene Unbefindlichkeit, für den man u. U. noch nicht einmal etwas kann. Man ändert nun allerdings an seinen eigenen Anteilen daran, die man selbst beeinflussen kann, nichts, sondern erwartet, dass die Welt sich gefälligst so zu ändern hat, dass es einem selbst kommod ist. Wenn das nicht passiert, sucht man sich gezielt Situationen heraus, über die man sich aufregen kann (und die dann das eigene Weltbild bestätigen, dass man selbst ja nur ein armes Opfer sei und alle anderen böse sind). Um sein eigenes Echauffieren zu legitimieren, wird dann die Realität verbogen, und alle, die den Sachverhalt anders sehen, werden diffamiert und mit Unterstellungen bedacht. Gern werden auch Einzelfälle aus dem eigenen Erfahrungsschatz (oder auch mal nur vom Hörensagen) verallgemeinert, sodass ganze Gruppen von Menschen über einen Kamm geschert und herbagewürdigt werden. Vermeintliche Tatsachen werden zudem verdreht oder eben durch Auslassung von gewissen Aspekten, die den eigenen Aussagen nicht dienlich sind, verfremdet. Der Pfad einer sachlichen Argumentation wird dabei, wenn er denn überhaupt beschritten wurde, schnell verlassen, wenn die eigene Faktenlage sich als wenig stichhaltig erweist.

Kommt einem irgendwie aus dem öffentlichen politischen Diskurs bekannt vor, oder? Denn leider äußern sich alte weiße Männer nicht nur zu solchen eher trivialen Themen wie Hunden am Strand, sondern auch zu allem anderen. Und dabei gehen sie meistens genauso vor, was den Diskurs vergiftet und unsachlicher macht. Aber um sachlichen Austausch von Argumenten geht es alten weißen Männer auch nicht, die wollen vor allem recht haben und ihre eigene Weltsicht nicht infrage stellen. Klar, diese Weltsicht beschert ihnen ja auch reichlich Privilegien, die sie mitunter auch noch für gerechtfertigt halten, sodass sie keine Veränderungen vom Status quo herbeigeführt wissen möchten – zumindest nicht, solange diese Änderungen nicht zu ihrem eigenen Nutzen sind.

Der alte weiße Mann ist die Pest unserer Zeit. Und irgendwie hab ich das Gefühl, dass für jeden davon, der wegstirbt, leider mehr als einer nachkommt …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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