Die Wannseekonferenz

Am 20. Januar jährte sich das Datum der Wannseekonferenz, bei der die sogenannte Endlösung der Judenfrage beschlossen wurde, zum 80. Mal. Anlässlich dessen zeigte das ZDF den Film „Die Wannseekonferenz“, der noch bis zum 17. Januar 2024 in der Mediathek des Sender angeschaut werden kann.

Das Besondere daran: Der Film basiert auf dem einzigen noch existierenden Protokoll dieses Zusammentreffens, das wortwörtlich umgesetzt wurde und somit die Grundlage der meisten Dialoge bildet. Einige wenige Szenen sind um die eigentliche Konferenz herumgruppiert, in denen Unterhaltungen von einzelnen Personen stattfinden, die so nicht aus dem Protokoll stammen.

Das klingt erst mal ein bisschen trocken, ist aber genau das Gegenteil. Die bürokratisierte und teilweise verschleiernde Sprache, mit der dort 15 Personen die Einzelheiten für die Ermordung von elf Millionen Menschen planen, ist in ihrer Nüchternheit erschreckend. Passend dazu wird auch auf Musik zur Unterlegung der Szenen verzichtet, und die 104 Minuten der Handlung dürften auch ziemlich genau der real vergangenen Zeit entsprechen.

So ergibt sich ein Einblick in einer vollkommen amoralische Denkweise der Protagonisten, von denen keiner auch nur mal Zweifel daran äußert, dass so ein genau geplanter millionenfacher Massenmord ja vielleicht eine üble Sache sein könnte. Ganz im Gegenteil: Einige Male klingt an, dass sich die Teilnehmer ausmalen, später vonseiten der Geschichtsschreibung gewürdigt zu werden – was für eine komplette Fehleinschätzung, die allerdings zeigt, in welchem psychopathischen Kollektivwahn sich diese Leute befanden!

Von den Teilnehmern dürften den meisten nur Adolf Eichmann und Reinhard Heydrich bekannt sein: Heydrich leitete die Veranstaltung und war auch bestrebt, die sogenannte Endlösung unter seine Federführung zu bekommen, Eichmann war der Kopf hinter vielen Überlegungen und verantwortlich für das Protokoll, das von seiner Sekretärin Ingeburg Werlemann angefertigt wurde.

Die restlichen Anwesenden waren entweder solche mit bereits praktischen Morderfahrungen (SS) oder Vertreter von NSDAP, Verwaltung und Ministerien. Untereinander war man sich überwiegend bekannt, allerdings werden diese Leute historisch nicht wirklich als Nazigrößen wahrgenommen.

Die trockene und nüchterne Darstellung der Konferenz hat mich sprachlos zurückgelassen, da die so zur Schau gestellte Rationalität einen schauderhaften Kontrast zu dem geplanten Massenmord steht. Diskussionswürdig sind eher Details im Ablauf, also wie man die ganzen Juden aus allen Teilen Europas dorthin transportiert, wo die Vernichtung (die meistens verharmlosend mit dem Begriff „Behandlung“ bezeichnet wird) stattfinden soll, und wo man damit anfangen wird. Die einzigen Menschen, um deren Befindlichkeit sich Gedanken gemacht werden, sind diejenigen, die dann diese Morde ausführen würden. Hier klingt doch das eine oder andere Mal Besorgnis an, dass so etwas schließlich zu psychischen Beeinträchtigungen führen könnte, was auch schon bei den Massenerschießungen von Juden vor allem in Osteuropa beobachtet wurde.

Mitgefühl mit den Opfern hingegen klingt nicht ein einziges Mal auch nur ansatzweise durch. Das Ganze ist so eine Darstellung von menschlicher Kälte, gepaart mit psychopathischer Geradlinigkeit bei der möglichst perfekten Umsetzung einer im höchsten Maße amoralischen Sache.

Ein Freund von mir, der mich auf Facebook auf den Film aufmerksam machte, bezeichnete die Teilnehmer als Monster. Doch das trifft es m. E. nicht so ganz, wenngleich die empathielose Planung natürlich etwas ausgesprochen Monströses hat. Allerdings waren das alles Menschen und keine Monster. Monster kann man als eine Bedrohung von außerhalb wahrnehmen, diese Menschen sind aus der Mitte der Gesellschaft gekommen, viele von ihnen studiert und mit Doktortitel, aus bürgerlichen Verhältnissen kommend. Menschen, die in ihrer Nachbarschaft als ganz normale Personen wahrgenommen wurden. Und die dann zum Beschluss des monströsesten Verbrechens der Menschengeschichte in der Lage waren.

Interessant ist als Ergänzung zum Film auch noch eine 44-minütige Dokumentation, die einiges an Hintergrundinfos bietet und neben der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer auch einige Historiker zu Wort kommen lässt. Diese ist sogar bis zum 20. Januar 2027 in der ZDF-Mediathek verfügbar.

Was ich mir in der Doku noch gewünscht hätte, wäre eine Schilderung, was aus den Teilnehmern geworden ist. Na gut, dafür gibt es ja Wikipedia, und im dortigen Eintrag zur Wannseekonferenz finden sich dann auch alle Teilnehmer, die zudem jeweils auch eigene Einträge haben.

Eigentlich sollte man ja meinen, dass diejenigen, die den Krieg überlebt haben, dann allesamt vor Gericht gestellt und harte Strafen bekommen hätten, aber das ist nicht ganz so der Fall. Einige, darunter auch Heydrich, der 1942 bei einem Attentat des tschechischen Widerstands schwer verletzt wurde und einige Tage später dann starb, sind noch vor Kriegsende gestorben, teilweise auch durch Suizid, um sich einer möglichen Gefangennahme so zu entziehen. Einige wenige wurden tatsächlich vor Gericht gestellt und sogar hingerichtet (der Prozess von Adolf Eichmann sorgte 1961 für viel Aufsehen), aber für fünf der 15 Anwesenden hatte ihre Teilnahme an der Wannseekonferenz und damit an der direkten Planung des Holocausts kaum nennenswerte Konsequenzen.

Ich zitiere mal aus deren Wikipedia-Einträgen:

Wilhelm Stuckart

Vom Entnazifizierungshauptausschuss im Regierungsbezirk Hannover wurde Stuckart 1950 ohne Beschränkungen als „Mitläufer“ eingestuft. Die Verfahrenskosten von 500 DM wurden ihm auferlegt.[27] Stuckart hatte im Vorfeld versucht, Vorbereitung und Gang des Verfahrens über einen früheren Mitarbeiter zu beeinflussen und anscheinend auch Entlastungserklärungen vorformuliert, die er von früheren Mitarbeitern unterzeichnen ließ.[28] Das Verfahren sah er an als „Unrechtsverfahren, wie es im Buche steht“.[29]

Stuckart betrieb über den Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), dessen 3. Landesvorsitzender in Niedersachsen er 1951 geworden war,[30] Initiativen, um die Entnazifizierung allgemein zu beenden und u. a. Personen wie ihn selbst, deren Beamtenverhältnisse 1945 erloschen waren, besser zu stellen.[31]

Um ein weiteres Entnazifizierungsverfahren in West-Berlin zu verhindern, das an seinen Hauserwerb 1938 in der Villenkolonie Wannsee anknüpfte, veranlasste er u. a. den niedersächsischen BHE-Landesvorsitzenden und Landwirtschaftsminister von Kessel zu einem entsprechenden Schreiben an den parteilosen Berliner Innensenator Werner Müller,[32] das erfolglos blieb. Die Berliner Spruchkammer konnte Akten berücksichtigen, die in Hannover nicht in das Verfahren eingegangen waren, und entschied am 4. August 1952, Stuckart für drei Jahre Wahlrecht und Wählbarkeit zu entziehen sowie ihn von öffentlichen Ämtern und Berufen mit besonderen Zulassungsvoraussetzungen und von Versorgungsleistungen aus öffentlichen Mitteln auszuschließen. Als Sühnemaßnahme wurde eine Geldstrafe von 50.000 DM verhängt.[33] Auf Stuckarts Berufung wurde die Sache jedoch zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen und, nach dessen zwischenzeitlichem Tod, im Mai 1954 eingestellt. Ein gleichzeitiger Eröffnungsbeschluss, nunmehr gegen Stuckarts Ehefrau, wurde im Juni 1959 aufgehoben.[34]

Im März 1953 verklagte Stuckart das Land Niedersachsen nach dem Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personenund erreichte im Oktober 1953 die Festsetzung ruhegehaltfähiger Dienstbezüge nach Besoldungsgruppe B 5 der Reichsbesoldungsordnung,[35] in die Ministerialdirektoreneingestuft waren.

Nach seiner Freilassung 1949 soll er Stadtkämmerer von Helmstedt gewesen sein[36] und wurde 1950 Geschäftsführer des „Instituts zur Förderung der niedersächsischenWirtschaft“[37].

Stuckart war Mitglied der 1952 verbotenen neonazistischen Sozialistischen Reichspartei.[38]

Er kam im November 1953 auf der Fahrt von Hannover zu seinem Wohnsitz in Lemmie bei einem Autounfall ums Leben

Georg Leibbrandt (gestorben 1982)

Von 1945 bis 1949 war Leibbrandt in Automatischem Arrest.[1] Während dieser Zeit wurde er im Wilhelmstraßen-Prozess als Zeuge vernommen. Bezüglich des Holocaust gab er unter anderem an: „Ich habe dem Minister [Rosenberg] bei der ersten möglichen Gelegenheit gesagt, dass ich diesen Wahnsinn nicht teile.“[28]

Im Januar 1950 eröffnete das Landgericht Nürnberg-Fürth wegen des Verdachts des mehrfachen Mordes ein Ermittlungsverfahren gegen Leibbrandt.[29] Die Untersuchung wurde am 10. August 1950 eingestellt.[1] Ein Gerichtsverfahren wurde nicht eröffnet.

1955 fungierte Leibbrandt als Berater Konrad Adenauers bei der Rückführung deutscher Kriegsgefangener aus der Sowjetunion. Später leitete er das Bonner Büro der Salzgitter AG.[30]

Leibbrandts Bruder Gottlieb (1908–1989) war ebenfalls früh als Nationalsozialist in Wien tätig. Er emigrierte 1952 nach Kanada, um nicht verurteilt zu werden.[31]

In der Nachkriegszeit wohnte Leibbrandt in Unterweissach in Baden-Württemberg.[1]

Gerhard Klopfer

Kurz vor Kriegsende verließ Klopfer München und begab sich zum Führersperrgebiet Obersalzberg, um sich dem Stab Kesselrings anzuschließen. Später tauchte er bei seiner Familie in Zell am See unter, wohin sie im Frühjahr 1945 aus der Siedlung Sonnenwinkel gezogen war.[6] Am 1. März 1946 wurde er in München durch den CIC mit falschen Papieren, lautend auf den Namen Otto Kunz, festgenommen und interniert. Klopfer wurde von Robert Kempner mehrfach verhört und im Wilhelmstraßen-Prozess als Zeuge befragt. Klopfer behauptete, sich an den genauen Inhalt der Besprechung bei der Wannseekonferenz nicht erinnern zu können. Er sei immer davon ausgegangen, dass die Juden nur „umgesiedelt“ werden sollten. Er sei 1935 gegen seinen Willen zur Parteikanzlei abkommandiert worden.

Nach der Entlassung aus dem Internierungslager wurde Klopfer im März 1949 durch eine Nürnberger Hauptspruchkammer als „minderbelastet“ entnazifiziert.[6] Er erhielt eine Geldstrafe und eine dreijährige Bewährungsfrist, während der er keine verantwortungsvolle berufliche Tätigkeit aufnehmen durfte. Ab 1952 war er Helfer in Steuersachen, und ab 1956 als Rechtsanwalt in Ulm tätig.

Ein auf Betreiben von Kempner und Franz Neumann eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen Klopfers Teilnahme an der Wannseekonferenz durch die Staatsanwaltschaft Ulm wurde 1962 eingestellt. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit beschäftigte er sich auf einem ihm gehörenden Bauernhof im Landkreis Schwäbisch Hall mit dem Anbau und der Lagerung von Dinkel für den seiner Ansicht nach kommenden „Kampf gegen den Bolschewismus“.[6] Er lebte bis zu seinem Tod unauffällig in Ulm. Nachdem er 1987 als letzter Teilnehmer der Wannseekonferenz gestorben war, erregte seine Todesanzeige mit dem Text „nach einem erfüllten Leben zum Wohle aller, die in seinem Einflußbereich waren“öffentliche Empörung.[7]

Otto Hofmann (gestorben 1982)

Zum Ende des Zweiten Weltkriegs geriet Hofmann in alliierte Gefangenschaft. Nach längerer Internierung wurde er als einer der Hauptangeklagten im Prozess gegen das Rasse- und Siedlungshauptamt angeklagt und im März 1948 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu 25 Jahren Haft verurteilt.

Zu den kriminellen Aktivitäten im Rahmen der Germanisierungspolitik, für die ihm die Verantwortlichkeit nachgewiesen wurde, zählen das Entführen ausländischer Kinder, Zwangsabtreibungen an Ostarbeiterinnen, die Wegnahme der Kinder von Ostarbeitern, illegale und ungerechte Bestrafung von Ausländern für Geschlechtsverkehr mit Deutschen, Behinderung der Fortpflanzung von Angehörigen von Feindstaaten, zwangsweise Evakuierung und Umsiedlung von ausländischen Bevölkerungsgruppen, zwangsweise Germanisierung von Angehörigen von Feindstaaten, Verwendung von Angehörigen von Feindstaaten zur Sklavenarbeit. Lediglich die Schuld an der Plünderung von privaten und öffentlichem Eigentum konnte ihm nicht nachgewiesen werden.[4]

Am 7. April 1954 wurde er begnadigt und aus dem Zuchthaus Landsberg entlassen. Danach war er kaufmännischer Angestellter in Württemberg.

Erich Neumann (gestorben 1951)

Nach Kriegsende erfolgte seine Internierung, aus der er Anfang 1948 wegen Krankheit entlassen wurde.

Diese Typen lebten also dann nach dem Krieg überwiegend als ganz normale Bürger weiter. Den Hammer finde ich ja Georg Leibbrandt, der es sogar bis zum Berater von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) gebracht hat – was zeigt, dass die CDU schon von Anfang an keine Berührungsängste mit übelsten Nationalsozialisten hatte. Und dass die angebliche Entnazifizierung so nie wirklich stattgefunden hat, wenn selbst Leute, die den Holocaust inszeniert und auf den Weg gebracht hatten, dann in der Bundesrepublik relativ unbehelligt weiterleben konnten – und wie Wilhelm Stuckart ja offensichtlich nicht mal einen Hehl aus ihrer Gesinnung gemacht haben.

Da sollte es kein Wunder sein, dass die Haltung, die in der Wannseekonferenz zur Schau gestellt wurde, auch immer noch weiterlebt, wenn auch nicht mehr ganz so unverblümt und extrem. Der Umgang mit Geflüchteten beispielsweise, wo auch kalte Bürokratie über empathische Ethik triumphiert, sodass jedes Jahr Tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken oder gerade aktuell an der polnisch-belarusischen Grenze unter übelsten Umständen festsitzen, zeigt für mich in jedem Fall auch deutliche Spuren dieser Geisteshaltung.

Und das macht den Film „Die Wannseekonferenz“ dann nicht nur zu einer hervorragenden historischen Lehrstunde, sondern weist auch eine ziemliche Aktualität zur neoliberalen Gegenwart auf, in der Menschen allzu oft auch weniger zählen als ideologische Prinzipien.

 

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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