Dass die Sitten beim Diskutieren in der digitalen Öffentlichkeit mehr und mehr verrohen, ist ja schon seit einigen Jahren zu beobachten und wurde vor allem von AfD-Jüngern und anderen Rechtsaußen vorangetrieben. Dass dieses Verhalten immer weiter um sich greift, habe ich Anfang des Jahres ja schon mal in einem Artikel beschrieben. Jetzt konnte ich gerade beobachten, wie es immer selbstverständlicher zu werden scheint, dass Menschen mit anderen Ansichten einfach abgekanzelt und diffamiert werden, und das nicht von Rechten, sondern immer öfter von (olivgrünen) Kriegsbefürwortern.
So geschehen neulich mal wieder bei Facebook: Da wurde auf der Seite „Mensch und Politik heute“ ein Interview mit Ranga Yogeshwar verlinkt, in dem dieser sich zu einem offenen Brief erklärt, den er mitunterzeichnet hat. Darin wurde gefordert, dass statt Waffenlieferungen an die Ukraine lieber Diplomatie und Verhandlungen vorangetrieben werden sollten, um den Krieg dort zu beenden. Und darauf setzte es dann beispielsweise folgende Reaktionen von Usern:
Hier wird also nicht ansatzweise inhaltlich argumentiert, sondern die Person von Ranga Yogeshwar in den Mittelpunkt gerückt. Mit seinen geäußerten Ansichten und Argumenten wird sich überhaupt nicht auseinandergesetzt.
Natürlich gibt es immer auch Meinungen, die nicht diskussionswürdig sind, beispielsweise wenn jemand sich offen rassistisch, sexistisch, homosexuellefeindlich, antisemitisch oder anderweitig plump diskriminierend äußert. Und dass man mit Rechtsextremen nicht diskutieren kann, habe ich selbst ja auch schon häufig genug erlebt und in Artikeln dokumentiert (s. beispielsweise hier und hier). Aber nun ist Yogeshwar weder rechtsextrem noch ein Vertreter von menschenverachtenden Positionen.
Allerdings scheint es mittlerweile in der aufgeheizten Stimmung schon auszureichen, sich für Verhandlungen statt Waffenlieferungen und damit gegen die offizielle Regierungsposition auszusprechen, damit die Grundlagen jedes demokratischen Diskurses einfach missachtet werden.
Es ist nämlich ausgesprochen wichtig für eine Demokratie, dass unterschiedliche Ansichten auch in der Öffentlichkeit geäußert und nachfolgend dann auch gern kontrovers diskutiert werden. Das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen Demokratien und Autokratien. Auf einem selbst nicht genehme Äußerungen nun mit Gesprächsverweigerung und Diskreditierung zu reagieren, zeugt eher von autokratischem Denken als von demokratischer Diskussionsfähigkeit.
Und das findet sich dann zurzeit vor allem bei Leuten, die Russlands Präsidenten Wladimir Putin durchaus zu Recht als Diktator und Kriegsverbrecher bezeichnen. Schon ein bisschen widersprüchlich, wenn ich dann das eigene Diskussionsverhalten so gestalte, dass es nicht mehr den Gepflogenheiten einer demokratischen, offenen Gesellschaft entspricht, oder?
Auch bei Attac konnte man so was gerade beobachten, denn in dem E-Mail-Newsletter, den ich heute von denen bekam, stand u. a. Folgendes:
Phänomen schwindender diskursiver Räume ist nicht neu und wird durch die Art, wie Auseinandersetzungen auch in den sozialen Netzwerken (nicht) geführt werden, befeuert. So erleben wir das zum Beispiel bei Diskussionen zum Krieg in der Ukraine. In der letzten Ausgabe unserer Mitgliederzeitung ließen wir zur Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine zwei Attacies mit unterschiedlichen Ansichten dazu zu Wort kommen, die sich aber darin einig waren, dass es sich um einen verurteilenswerten völkerrechtswidrigen Angriff der russischen Armee handelt. Doch allein die Tatsache, dass in Attac Menschen verschiedene Haltungen zu diesen Waffenlieferungen einnehmen können, führte dazu, dass uns Menschen wahlweise „einseitige Putinfreundlichkeit“ oder eben „-feindlichkeit“ vorwarfen und manche uns deshalb sogar ihre Unterstützung aufkündigten.
Festgefahrene Positionen, mangelnde Diskussionsbereitschaft, Rechthaberei, persönliche Angriffe, Undifferenziertheit – es ist schon klar, dass Krisen und schlimme Zeiten, wie wir sie gerade erleben, bei vielen Menschen nicht eben die besten Seiten zum Vorschein bringen. Dennoch finde ich es bedenklich, dass gerade in Zeiten, in denen Gespräche und Dialog so extrem wichtig sind, um große, existenzielle Probleme bewältigen zu können, die Bereitschaft dazu immer mehr schwindet.
Und das eben nicht nur von Rechtslastigen, die ja ohnehin eine Tendenz zu Meinungskonformität und Diskreditierung Andersdenkender haben, sondern eben auch von Menschen, die sich eher im bürgerlichen, liberalen und eventuell sogar linken politischen Spektrum verorten würden. Gerade bei Anhängern von den Grünen kann ich dieses Verhalten in letzter Zeit zunehmend beobachten.
Hieran sieht man m. E., wie weit die von vielen Medien praktizierte Manipulation der öffentlichen Meinung mittlerweile fortgeschritten ist und wie tiefgreifend die neoliberale Indoktrination bereits Wirkung entfaltet hat. Wer sich selbst auf der richtigen Seite wähnt und nicht bereit ist, die eigene Position immer wieder zu reflektieren, für den sind Menschen, die andere Ansichten äußern, eben nur Störfaktoren, Gegner, Konkurrenten, die irgendwie verbal besiegt werden müssen. Und da es mühsam ist, dies mit Argumenten hinzubekommen, wird dann eben mit persönlichen Angriffen und einer Verweigerung des Diskurses reagiert.
Die Verbreitung dieses Verhaltens legt dabei, wie schon gesagt, die Axt an eine elementare Voraussetzung für funktionierende Demokratien. Und das aktuell gerade von denjenigen, die sich als Teil der „westlichen Wertegemeinschaft“ verstehen und als Demokratieverteidiger gegen despotische Ansinnen.
Einfach nur noch absurd, oder? Oder vielleicht auch entlarvend, dass es mit unserer Wertegemeinschaft eventuell doch nicht so weit her ist, wie immer gern behauptet wird …