Das akkumulierte Leben

Wenn wir jung sind, dann beginnt es oft mit der Ansammlung von Klebeheften voller Fußball- oder Pferdestickern, mit immer mehr Playmobil oder Lego, mit dem Sammeln von Yu-Hi-Ho oder Magic the gathering oder auch Barbie und Autos von Hotwheels. Jede neue Anschaffung ist das aktuelle Schmuckstück, und je mehr ich habe, desto größer und vollständiger fühlen sich die kleinen Sammler:innen. Heute hat sich diese Akkumulation von Dingen längst auch auf die virtuelle Welt ausgedehnt, und es sind Skins, Pokale, Gems, Coins und Levels, die gesammelt und ungebremst angehäuft werden. Nicht selten investieren Kinder jahrelang ihr gesamtes Taschengeld in virtuelle Güter.

Als Jugendliche sind es dann Markenklamotten und Schmuck, Fanartikel und Musik, Fahrrad- und Mopedzubehör, Make-up und Parfüms. Als junge Erwachsene ist es bei vielen das Auto, was gerade bei der männlichen Bevölkerung den Großteil des Geldes verschluckt oder sogar die ersten Schulden bedeutet. Gesellschaftsbedingt läuft es bei Frauen dann eher auf Mode, Styling und sogar erste kosmetische Eingriffe hinaus. Es findet sich immer etwas, das optimiert und angehäuft werden kann, unermüdlich und Hauptsache nicht „still stehen“.

Und wenn wir dann, mehr oder weniger, erwachsen sind … dann geht es eben mit anderen Dingen weiter: Orte, an die wir unbedingt noch reisen wollen (eine Liste, die nie ein Ende findet), Renovierungsarbeiten, die wir bei anderen Leuten oder im TV gesehen haben (die wir vorher nicht brauchten und eigentlich auch jetzt nicht brauchen), ein größeres/teureres Auto (weil wir mehr hermachen wollen mit unsinnigen Ausreden wie „mehr Übersicht“ oder „einfacher aussteigen können“), Männerspielzeuge wie Drohnen oder sonstiges Technikspielzeug wie Smartphones, Smartwatches, intelligente Kühlschränke und Fitnessuhren.

Da fällt mir das Zitat von Theodor W. Adorno (1903-1969) ein:

Es gibt kein richtiges Leben im falschen.

 

Die nachhaltigste Art des Konsums ist kein Konsum. Was nutzt es, einen Deckel beim Erhitzen von Speisen (Kochen) zu nutzen, wenn der Nachbar einen SUV fährt, die Nachbarin jeden Tag 17 kosmetische Chemiecocktails in den Abfluss duscht und das nette Rentnerpaar aus dem Obergeschoss viermal im Jahr in die Karibik in den Urlaub fliegt? Was nutzt es, unverpackten Hafer im Unverpacktladen zu kaufen, wenn die Regierung den Bau und die Nutzung von Wind- und Solaranlagen ausbremst, Ackergifte und exzessive Antibiotikanutzung in der Massentierhaltung begünstigt und Autofahrer subventioniert? Wenn wir also in einem „falschen“ System leben und alles in unserer Macht Stehende versuchen, um das System unseren Bedürfnissen entsprechend zu nutzen, dann ist es das richtige Leben im falschen System.

Aber jetzt geht es an den Geldbeutel, und schon wird der Konsum zurückgefahren, und auch warmes Wasser, Heizung und Gas werden nicht mehr verschwendet, weil es ans Geld geht … nun muss nur noch das System, welches wir mit unserem gestörten Selbstbild durch Konsum aufgebaut haben, an die neuen Verhältnisse angepasst werden.

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Dirk

Jahrgang 1974, in erster Linie Teil dieser Welt und bewusst nicht fragmentiert und kategorisiert in Hamburger, Deutscher, Mann oder gar Mensch. Als selbstständiger IT-Dienstleister (Rechen-Leistung) immer an dem Inhalt und der Struktur von Informationen interessiert und leidenschaftlich gerne Spiegel für sich selbst und andere (als Vater von drei Kindern kommt dies auch familiär häufig zum Einsatz). Seit vielen Jahren überzeugter Vegetarier und trotzdem der Meinung: „Alles hat zwei Seiten, auch die Wurst hat zwei!“

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