Eskalation in Israel

Die palästinensische Hamas hat Ende letzter Woche einen Großangriff auf Israel gestartet und dabei vor allem unter Zivilisten brutal gewütet. Die Reaktion von Israel ließ vorhersehbar nicht lange auf sich warten – und auch darunter leidet am meisten die Zivilbevölkerung in Gaza.

Während viele Medienberichte und Diskussionen nun darauf fokussieren, mit welcher Brutalität die Hamas vorgegangen ist, und sich die Pro-Israel- und Pro-Palästina-Fraktionen immer unversöhnlicher gegenüber stehen, frage ich mich vor allem, was sich die Hamas denn bitte bei diesem Angriff gedacht hat. Dass man nun Israel auf diese Weise nicht in die Knie zwingen kann, sollte ja eigentlich jedem von vornherein klar gewesen sein, oder?

Auch sollte klar gewesen sein, dass man sich nicht gerade internationale Sympathien verschafft, wenn man auf abstoßende Weise auf Zivilisten losgeht und diese massakriert. Mal davon abgesehen, dass künftige Verhandlungen mit Israel bezüglich der Situation in den besetzten Gebieten auch nicht gerade erleichtert werden dürften.

Was also hat sich die Hamas bloß dabei gedacht?

Ihnen selbst und erst recht nicht den Menschen in Gaza bringt so eine bestialische Attacke irgendwelche Vorteile, sondern das Gegenteil ist der Fall.

Wer hingegen davon profitiert, ist der rechtsextreme israelische Regierung von Benjamin Netanjahu. Mal abgesehen davon, dass Krieg und die damit verbundene Fixierung auf einen außen stehenden Feind eigentlich immer eine Regierung stabilisiert, so stand die Regierung in Israel gerade schon unter reichlich Druck vonseiten der Öffentlichkeit, auch der internationalen. Man ist nämlich gerade dabei, dort die Rechtsstaatlichkeit abzuschaffen, wie Mordechai Kremnitzer in einem Artikel in den Blättern für deutsche und internationale Politik erläutert, indem der Oberste Gerichtshof dazu genötigt werden soll, sich quasi selbst zu entmachten.

So was tritt dann natürlich in den Hintergrund, wenn man sich mit solch einem brutalen Angriff konfrontiert sieht und daraufhin den Kriegszustand ausruft …

Auf Wikipedia gibt es bereits einen Artikel zu diesem Angriff der Hamas auf Israel, und darin finden sich nicht nur viele Informationen bezüglich der Geschehnisse, sondern auch einige Einschätzungen und Pressestimmen dazu.

Und da finden sich dann auch einige sehr interessante Passagen.

So wird dort ein Spiegel-Journalist mit folgender Aussage zitiert:

„Dass der Hamas ein solcher Angriff gelingen konnte, der vermutlich Monate der Vorbereitung erforderte, ist ein enormes Versagen der israelischen Geheimdienste und Sicherheitskräfte unter der Regierung von Benjamin Netanyahu. Die Folge wird zweifellos ein umfassender Krieg Israels gegen die Hamas in Gaza sein.“

Und weiter dazu:

Der britische Journalist Peter Beaumont meinte im The Guardian, dass der Angriff als ein Versagen des israelischen Geheimdienstes für die Ewigkeit in Erinnerung bleiben werde, da die israelische Regierung die Vorbereitungen nicht vorher entdeckt habe.

Oder:

US-Beamte äußerten sich schockiert darüber, dass der israelische Geheimdienst nichts von den Vorbereitungen der Hamas wusste.

Nun ist der israelische Geheimdienst Mossad normalerweise nicht eben bekannt für seinen Dilettantismus und ein großes Maß an Ineffektivität. Klar, die haben ja aufgrund der eigentlich permanenten Bedrohungslage immer reichlich zu tun. Insofern finde ich es nun reichlich verwunderlich, dass man beim Mossad da einfach gar nichts mitbekommen haben will.

Als ein möglicher Anlass für den Angriff wird dann bei Wikipedia Folgendes genannt:

Seit Jahren hatten sich Gruppen nationalreligiöser und ultraorthodoxer Juden immer häufiger über die Entscheidung des Oberrabbinats hinweggesetzt, den Tempelberg nicht zu betreten. So besuchte der rechtsextreme Politiker und zu diesem Zeitpunkt Minister für öffentliche Sicherheit Itamar Ben-Gvir im Mai 2023 den Tempelberg. Die Esplanade, die von Juden als Tempelberg verehrt wird, gilt Muslimen als Al-Aqsa-Moschee; beiden Religionen ist dieses Areal heilig, jedoch wird Muslimen im Rahmen des geltenden Status quo das alleinige Recht zugestanden, dort zu beten.

Der Minister für öffentliche Sicherheit also – ohne jetzt die Verantwortlichkeiten in Israel genau zu kennen, so könnte ich mir doch zumindest vorstellen, dass der ab und zu mal was mit dem Mossad zu tun haben könnte.

Damit will ich jetzt nicht andeuten, dass der Geheimdienst da eine False-Flag-Operation gestartet haben könnte. Allerdings könnte es doch so gewesen sein, dass man beim Mossad schon von den Hamas-Plänen wusste, sich dann aber entschlossen hat, nichts dagegen zu unternehmen, weil das eben der Regierung Netanjahus sehr gelegen kommen würde.

Nun höre ich schon das Geraune von wegen „Verschwörungstheorie“. Allerdings finde ich es eher in Richtung eines Verschwörungsmythos gehend, dass einer der am besten organisierten Geheimdienste der Welt von einem umfassenden Terrorangriff, der direkt vor seiner Haustür geplant wird, und das auch noch von Leuten, die man ohnehin ständig als Feinde auf dem Schirm hat, einfach so gar nichts mitbekommen hat.

Zumal es ja auch durchaus schon vorgekommen ist, dass Geheimdienste nicht im Sinne der Sicherheit arbeiten, sondern ihrer eigenen Agenda folgen. Das hatten wir hier in Deutschland ja beispielsweise beim NSU (s. hier) oder auch im Fall von Anis Amri, der von einem Verfassungsschutzmitarbeiter quer durch Deutschland nach Berlin gefahren wurde, um dort dann mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt am Breidscheidplatz zu fahren und zwölf Menschen zu töten (s. dazu hier – bitte vor allem auch die nachträglichen Anmerkungen beachten).

Bei solchen Organisationen scheinen also durchaus Menschen zu arbeiten, denen das Leben anderer nicht so wirklich wichtig ist, wenn es denn um für sie übergeordnete Ziele geht.

Und so finden sich auch noch diese beiden Aussagen im oben verlinkten Wikipedia-Artikel:

Wegen der umstrittenen Justizreform in Israel in Streik getretene Reservisten meldeten sich bei ihren Einheiten.

[…]

Der Chefredakteur der königshausnahen saudischen Arab News, Faisal Abbas, schrieb, der Angriff und die Gefangennahme von Geiseln verschaffe der Hamas neue Verhandlungsmasse. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass sich die Realität am Boden verändern werde. Der Krieg stärke die Rechtsregierung von Benjamin Netanyahu, die gewöhnlichen Palästinenser würden den Preis zahlen müssen.

Was da seit Jahren in den von Israel besetzten Gebieten abgeht, ist eine ziemliche Sauerei, und das wird nun natürlich durch eine extrem siedlerfreundliche und gleichzeitig rassistisch-araberhassende Rechtsaußenregierung noch mal verschärft. Solche Perspektive vor Augen zu haben in einer ohnehin schon von Verelendung und Verzweiflung geprägten Situation ist natürlich der beste Nährboden für radikalen und gewaltbereiten Fundamentalismus, der dann zu solchen barbarischen Gewaltexzessen wie dem von der Hamas führt. Da scheint dann jede Rationalität ausgeschaltet zu sein, denn, wie bereits oben geschrieben, ein Nutzen für die eigenen Leute oder ein strategischer Vorteil gegenüber Israel wird sich daraus mit Sicherheit nicht ergeben.

Auch wenn man die berühmte „Cui bono?“-Frage eher nicht als alleinigen Erklärungsgrund heranziehen sollte, so ist es in diesem Fall jedoch schon sinnvoll, mal zu überlegen, wer nun seine Vorteile aus dem Angriff zieht und wer dadurch vor allem Nachteile hat. Und wenn dann eben auch noch eine reichlich fadenscheinige Erklärung dafür herhalten muss, dass nämlich der Mossad schlichtweg komplett versagt hat, dann sollte man bei einer rechtsextremen (und damit alles andere als menschenfreundlichen) Regierung unter einem Ministerpräsidenten, der ja nur deswegen nicht vor Gericht steht, weil er wieder ein hohes politisches Amt bekleidet und daher Immunität genießt, schon mal ins Grübeln kommen.

Denn zurzeit ist es ja nun so, dass Israel (verständlicherweise) große Solidarität erfährt, was der ramponierten internationalen Reputation schon sehr gelegen kommt. Und die israelischen Rechtsaußen haben nun erst mal eine Art Freibrief, um die besetzten Gebiete mit Gewalt zu überziehen und zahlreiche Palästinenser umzubringen.

Und das ist nämlich mal wieder die traurige Erkenntnis hieraus: Zu leiden hat auf beiden Seiten vor allem die Zivilgesellschaft. Deswegen möchte ich diesen Artikel auch mit einer, wie ich finde, sehr zutreffenden Aussage beenden, die ich auf der Facebook-Wall von NoGörgida gefunden habe:

Nur wird dieses gute Ansinnen in der derzeit aufgeheizten Atmosphäre leider wohl eher auf wenig Gegenliebe stoßen …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

2 Gedanken zu „Eskalation in Israel“

  1. Laut der The Times of Israel haben offizielle Quellen aus Ägypten gesagt, dass sie die israelische Regierung vor Kurzem gewarnt hätten, dass die Hamas eine größere Operation aus Gaza planen würde. Man war dann etwas befremdet, weil von israelischer Seite mit kompletter Ignoranz auf diese Information reagiert wurde. Was dann ja auch für die im Artikel von mir aufgestellte These sprechen würde …

  2. Robert Zion, ehemals bei den Grünen, schreibt auf seiner Facebook-Wall immer wieder sehr interessante Beiträge zu diesem Thema, so zum Beispiel auch am 1. Januar:

    „Israels rechtsextremer Finanzminister Bezalel Smotrich sprach sich derweil für eine israelische Wiederbesiedlung des Gazastreifens aus. Im Armeeradio sagte er: Wenn Israel richtig vorgehe, werde es eine Abwanderung von Palästinensern geben und Israelis würden im Gazastreifen leben“ (tagesschau.de, 01. Januar).
    Smotrich sagte im Armeeradio außerdem: „Wenn es 100.000 bis 200.000 Araber im Streifen gäbe und nicht zwei Millionen, wäre die ganze Diskussion über den Tag danach völlig anders. Sie wollen weg. Sie haben 75 Jahre lang in einem Ghetto gelebt und sind in Not.“ (Times of Israel, 31. Dezember).
    Im Mai 2017 hatte Smotrich, aktuell einer der Vorsitzenden der Parteienliste „Religiöser Zionismus“, in der Knesset seinen „Unterwerfungsplan“ für die Palästinenser vorgestellt. Diesen bleibe entweder das Auswandern, Ausländer in Israel zu werden oder Widerstand zu leisten. Im Oktober 2023 schrieb die liberale israelische Hareetz, dass dieser Krieg sich von vorherigen deutlich unterscheide und Smotrichs Plan zu folgen scheine.

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