Nebelkerze „Migrationskrise“

Migration, Migration, Migration – wenn man sich den öffentlichen Diskurs in vielen Medien so anschaut, könnte man den Eindruck bekommen, dass dies das größte Problem unsrer Zeit ist. Ist es aber nicht, es wird nur so aufgeplustert. Und das meines Erachtens auch mit voller Absicht.

Das ganze Thema Migration hat nach meine Dafürhalten nämlich vor allem die Funktion einer Nebelkerze, um so von anderen, viel gravierenderen Problemen und Krise abzulenken, die man lieber nicht angehen möchte, weil das nämlich im Rahmen unseres neoliberalen Wirtschaftssystem auch gar nicht richtig funktionieren würde.

Dieses Wirtschaftssystem crasht gerade, und die Verwerfungen können wir überall beobachten. Das zeigt sich nicht nur in der durch die forcierte Klimakatastrophe bedingten Zerstörung unserer Biosphäre, sondern auch darin, dass immer weniger Menschen immer reicher werden, während zeitgleich immer mehr Menschen in Armut leben müssen – sowohl global gesehen als auch innerhalb von Volkswirtschaften. Und es zeigt sich hierzulande auch in verrottender Infrastruktur, in immer häufiger auftretenden Lieferengpässen bei Medikamenten, im fortschreitenden Artensterben, in zunehmender Alters- und Kinderarmut, in für viele nicht mehr bezahlbare Mieten, im kränkelnden Gesundheitswesen – diese Liste könnte noch um einiges ergänzt werden.

Und letztlich zeigt sich dieser Crash auch in den zahlreichen Kriegen (die sind nämlich notwendig, um das Wachstumsdogma aufrechterhalten zu können) und im Schwinden der Demokratie durch das Erstarken von rechtspopulistischen bis -extremen Parteien und Bewegungen. Demokratie ist nämlich für den Neoliberalismus eher hinderlich, da sie der Bildung von oligarchischen Strukturen, die diesem Wirtschaftssystem immanent ist, entgegensteht.

Nun merken aber viele, dass etwas nicht stimmt, denn die oben aufgezählten Probleme sind ja schon recht auffällig und betreffen das Leben fast aller Menschen. Was also macht man vonseiten neoliberaler Politiker und Medienschaffender, wenn man davon ablenken möchte, dass die eigene Ideologie nicht mehr funktioniert? Genau, man sucht Sündenböcke, auf die man den Diskurs konzentriert.

Et voilà: die Migranten!

Passenderweise haben die nämlich, mal von ein paar NGOs abgesehen, keine Lobby. Und natürlich kann man hierbei auch schön auf ohnehin schon seit Jahren gewachsenen Ressentiments aufsitzen, die hinreichend von Springer bis AfD verbreitet wurden.

Das Problem dabei: Es sind nicht nur rechte Schreihälse von CDU und AfD oder rechte Schmierblätter und Hetzportale, die dabei mitmachen, sondern dieser Popanz wird von einer wesentlich breiteren „Koalition“ aus Politik und Medien immer weiter aufgebaut. Man denke nur an den „Abschiebekanzler“ Olaf Scholz (SPD) (s. hier). Und auch der Rest der Ampel-Bundesregierung hat sich nicht gerade sehr gesträubt, als nun kürzlich das Asylrecht massiv beschnitten wurde. In den Medien findet man dann beispielsweise bei einem Format wie Spiegel TV seit Jahren eine überproportionale und einseitige Berichterstattung zur Clankriminalität (s. hier), die dazu geeignet ist, Ressentiments und Rassismus zu schüren, und von der Zeit bekam ich neulich eine E-Mail mit folgender Umfrage:

Das mag nun erst mal ergebnisoffen wirken, bedient jedoch ein eindeutiges Framing, indem diese Frage nämlich überhaupt so gestellt wird. Zudem wird auch einfach so hingenommen und wiedergegeben, dass Zuwanderung immer mehr in den „Fokus des politischen Diskurses“ rückt – nur um das Thema auf diese Weise dann selbst noch mal zu pushen.

Hierzu hat Marina Weisband ein sehenswertes Video auf ihrem YouTube-Kanal veröffentlicht, in dem sie auf genau diese Verantwortung der Medien an solchem Themen-Setting zu sprechen kommt. Zudem zeigt sie auf, wie das Resultat dann eine Schwächung der Demokratie ist, da letztlich auf diese Weise vor allem die Antidemokraten von der AfD gestärkt werden.

Auch Maurice Höfgen hat in einem Video seines Blogs Geld für die Welt dieses Phänomen kritisch hinterfragt, indem er eine Passage aus der ZDF-Sendung Maybrit Illner präsentiert und kommentiert. Dabei wird nicht nur deutlich, wie sehr es der Moderatorin (oder besser: der Moderationskarikatur) darum geht, vor allem die Positionen von Hendrik Wüst (CDU) zur Finanzpolitik zu präsentieren, da sie allen anderen Diskussionsteilnehmern, wenn sie den Falschaussagen Wüsts widersprechen oder diese relativieren wollen, einfach hemmungslos dazwischenredet, sondern es wird dann auch, bevor das Thema Schuldenbremse ausführlich abgearbeitet, ein Cut von Illner gesetzt (wobei sie wieder Diskutanten das Wort abschneidet): „Jetzt reden wir endlich über Migration.“ Woraufhin dann auch nur das übliche Grenzen-dicht-Gewäsch erfolgt, das natürlich komplett an wirklichen Lösungen für Probleme mit einigen wenigen Migranten vorbeigeht.

Also auch hier mal wieder beste Stimmungsmache für die AfD – zur prominenten Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Es ist natürlich lobenswert, dass es Beiträge wie von Weisband und Höfgen gibt, die so was deutlich kritisieren, nur haben die eben leider auch nicht ansatzweise die Reichweite wie bekannte Fernsehsendungen oder große überregionale Zeitungen. Und so wird eben bei viel zu vielen Menschen immer mehr verfestigt, dass Migration wohl irgendwie das größte Problem unserer Zeit wäre – sehr zur Freude der AfD, die so mit Sicherheit nicht bekämpft, sondern nur noch weiter gestärkt wird.

Passend zusammengefasst hat das Andre Wolf in einem Post auf seiner Facebook-Wall:

So sieht’s wohl aus – aber leider gelingt den Neoliberalen die Themenverschiebung auf Kosten der Schwächsten unserer Gesellschaft und die entsprechende politische Umsetzung hervorragend, da sie eben über reichlich Medienmacht verfügen. Und man muss auch immer darauf hinweisen: Der neoliberale Faschist ist anderen Neoliberalen lieber als der nicht neoliberale Demokrat.

Wer dabei mitmacht, sollte nur bitte dann die Fresse halten, wenn die Blaubraunen weiteren Zulauf bekommen und unsere Demokratie zusehends den Bach runtergeht.

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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