Antiquierte Anti-Queere

Der FC St. Pauli steht schon seit vielen Jahren für Vielfalt, Diversität sowie eine emanzipatorische, antirassistische und antifaschistische Haltung. Zudem findet sich immer wieder die Regenbogenfahne dort, beispielsweise als Kapitänsbinde oder auch als Farben auf den Trikots. Das schmeckt natürlich einigen ewiggestrigen Holzköpfen gar nicht – und von denen gibt es im Fußball leider immer noch viel zu viele. Und sie sind durchaus lautstark.

Aktueller Anlass war, dass vor Kurzem der Wolfsburger Spieler Kevin Behrens sich bei einer Autogrammstunde seines Vereins weigerte, ein Regebogentrikot zu unterschreiben und dabei gesagt haben soll: „So eine schwule Scheiße unterschreibe ich nicht“ (s. hier). Natürlich blubberte man von Vereinsseite etwas wie, dass das nicht zu den Werten des Clubs passen würde, und auch von Behrens selbst kamen dann irgendwann entschuldigende Worte. Als nun der VfL Wolfsburg bei St. Pauli spielte, gab es von den Rängen her einige deutliche Missfallenskundgebungen in Form von Bannern, Gesängen und Pfiffen – was ich auch sehr nachvollziehbar finde, denn so eine Aussage geht von einem Fußballprofi, der ja gerade für junge Menschen auch Vorbildfunktion hat, schon mal gar nicht und müsste m. E. sehr streng geahndet werden.

Allerdings war damals schon in sozialen Medien zu lesen gewesen, dass sich viele Fußballfans (und das nicht nur vom VfL Wolfsburg) doch für Behrens starkmachten nach seiner verbalen Entgleisung: Endlich würde mal jemand seine Meinung sagen – und dann wird er auch gleich dafür angepflaumt. Ich war da schon überrascht, dass sich unter ihren Klarnamen da etliche Leute so offen zu ihrer Homosexuellenfeindlichkeit bekannt haben, und das eben nicht auf irgendwelchen rechten Hetzportalen, sondern auf Facebook-Seiten zum Thema Fußball.

Nun äußerte sich St.-Pauli-Präsident Oke Göttlich dann auch noch entsprechend kritisch zu Behrens in einer Fernsehsendung (s. hier) und forderte weiterreichende Konsequenzen, beispielsweise auch vom DFB.

Als nun der FC St. Pauli gerade sein DFB-Pokal-Spiel in Leipzig verloren hatte, wurden die Kommentarspalten in den sozialen Medien vor allem von hämischen Aussagen dominiert, dass das auch gut so und der Verein ja sowieso das Letzte sei wegen seines Bekenntnisses zur Vielfalt und zur Regenbogenfahne. Und auch das wieder nicht auf rechten Hetzseiten, sondern beispielsweise beim NDR Hamburg oder NDR Sport.

Wenn man sich diese Kommentare (und dann auch noch in der Menge) anschaut, dann kann einem wahrlich schlecht werden. Das ist übelste Menschenverachtung, die da aus denjenigen spricht, die (auch wieder meistens mit Klarnamen in der virtuellen Öffentlichkeit) nun meinen, ihre Häme absondern zu müssen.

Dabei ist es eigentlich so, dass der Großteil der Deutschen überhaupt nichts gegen Homosexuelle hat und sich die gesamtgesellschaftliche Sichtweise diesbezüglich sehr liberalisiert hat, wie Steffen Mau et al. in ihrem Buch „Triggerpunkte“ festgestellt haben. Aber offenbar hindert das einige Ewiggestrige nicht, sich entsprechend lauthals zu äußern. Das findet in vielen Fußballfankurven nach wie vor statt, wo Beschimpfungen gegnerischer Spieler wie „Du Schwuchtel“ leider nach wie vor an der Tagesordnung sind, aber ist ansonsten eben kaum darüber hinaus wahrnehmbar gewesen.

Nun sind Fußballfans ja mittlerweile schon nicht mehr ganz so eine eng gefasste Gruppe wie noch in den 1980er-Jahren, sodass beispielsweise wesentlich mehr Frauen Spiele besuchen und auch mehr Familien mit Kindern im Stadion anzutreffen sind. Dass das Fußballpublikum vom klischeehaften Kuttenträger-Proll dominiert wird, ist schon länger Geschichte. Aber dennoch scheint dort nach wie vor ein eher konservativ-spießiger Geist weit verbreitet zu sein, gepaart mit nicht gerade sonderlich viel Grips in der Birne. Was dann eben die oben beschriebenen Reaktionen zahlreicher Fußballfans erklärt.

Wundert sich da noch jemand, dass es kaum Fußballer gibt, die sich als homosexuell outen? Und ist das nicht eigentlich ein gruseliger Zustand für Deutschland im 21. Jahrhundert?

Vor allem auch interessant: Die Schnittmenge von denjenigen, die da nun St. Pauli alles Schlechte wünschen wegen des Bekenntnisses zu Vielfalt und Diversität, mit denen, die immer meinen, Fußball und Politik hätten nichts miteinander zu tun, ist mit Sicherheit nicht ganz klein. Da wird also schäbige Rosinenpickerei betrieben und Politisches nur dann herangezogen, wenn es einem ins kleinkarierte Weltbild passt – und nicht, wenn beispielsweise auf Missstände bei großen Fußballturnieren (wie in Brasilien und Katar) hingewiesen wird, was diese Pappnasen dann ja eventuell beim WM-Schauen stören könnte (oder vielmehr: sollte, denn besonders empathisch scheinen diese Spießgesellen ja nicht zu sein).

Bleibt die Frage, wer oder was nun schuld ist an dieser Entwicklung: die sozialen Medien, in denen jeder hemmungslos und meistens auch folgenlos Hass und Häme rausrotzen kann? Der seit einigen Jahren gesamtgesellschaftliche Rechtsrutsch, befördert durch Politik und Medien? Die Verunsicherung und Ängste in krisenhaften Zeiten, die Menschen zu ressentimentbelasteterem Denken neigen lassen? Vermutlich alles zusammen …

Vor allem auch wieder unschön, aber auch bezeichnend: Anstatt das man nun vonseiten des NDR solche Kommentare, die nicht sachlich und sportlich, sondern ausschließlich diffamierend und entwürdigend sind, löscht und die User am besten gleich der Seite verweist, bleibt das alles dort schön stehen. Und so entsteht dann mal wieder der Eindruck, dass solche abartigen Ansichten tatsächlich eine legitime und sogar mehrheitsfähige Meinung sein könnten – und kein dumpfes menschenverachtendes Gepöbel aus der Mottenkiste von Rechtsaußen. Das Problem hab ich ja vor ein paar Monaten schon mal in einem Artikel beschrieben, und so tragen öffentlich-rechtliche Medien wie der NDR auch hier mal wieder dazu bei, dass sich queerfeindliches rechtes Gedankengut weiter verbreitet und normalisiert wird. Könnte man ja mal merken, oder? Na ja, vielleicht will man das aber auch genau so – mal wieder Stichwort „Divide et Impera“.

Und so geht es immer schön weiter mit der Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen: Migranten, Muslime, Bürgergeld-Empfänger, Homosexuelle – alles, was Rechtsextremen suspekt ist und diese als Gegenentwurf brauchen, um sich eine eigene kümmerliche Identität zusammenzuzimmern, die vor allem aus piefigem Patriotismus und reaktionären Familienbildern besteht.

Und wenn auch nicht alle, aber doch viel zu viele machen immer weiter munter mit …

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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