Die „Mutter aller Probleme“

2018 fabulierte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), dass die Migration die Mutter aller Probleme sei. Heute ist diese menschenverachtende und rechtsextreme Aussage politischer Mainstream geworden – und dennoch katastrophal falsch. Denn die Mutter aller Probleme hierzulande ist etwas ganz anderes, nämlich die Schuldenbremse.

Zu wenig bezahlbarer Wohnraum? Die Migranten sind schuld! Außerdem nehmen die „uns“ wahlweise die Jobs weg oder legen sich in die „soziale Hängematte“ (was zwar nicht wirklich zusammenpasst, aber das interessiert viele nicht). Und überhaupt sind die ja sowieso alle kriminell. Egal, wo gerade der Schuh drückt, es werden immer wieder Geflüchtete und andere Migranten dafür verantwortlich gemacht. Dabei sind das nur Scheinkausalitäten, die da konstruiert werden, um so auf billige Weise Sündenböcke zu generieren. Und mittlerweile machen viele Medien und Politiker aus nahezu allen Parteien da mit (s. hier).

Das verschleiert vor allem die wahre Ursache für viele Probleme hierzulande, denn das ist die Schuldebremse. Für diesen ökonomischen Unfug mit Verfassungsrang wird Deutschland in der internationalen wirtschaftswissenschaftlichen Fachwelt ziemlich verlacht, und das aus gutem Grund, ist damit nämlich antizyklische Wirtschaftspolitik nicht mehr möglich – was einer ziemlichen Entmachtung der Politik gleichkommt. Und nun hat das betonköpfige Beharren auf dieser dämlichen Schuldenbremse auch noch gerade dazu geführt, dass die Bundesregierungskoalition geplatzt ist.

Insofern möchte ich nun mal für ein paar Missstände im Land aufzeigen, wieso diese vor allem auf die Schuldenbremse zurückzuführen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Schuldenbremse ja nicht nur direkt viele Ausgaben der öffentlichen Hand verunmöglicht, sondern eben auch zu immer weitergehenden Privatisierungen führt, da der Staat seinen Aufgaben immer schwerer nachkommen kann.

Wohnungsnot

Die Zahl der Sozialwohnungen ist in diesem Jahrtausend extrem gesunken, da neue Sozialwohnungen viel zu wenig gebaut werden, um auszugleichen, dass Bestandswohnungen aus der Sozialbindung rausfallen. Insofern sind Mieter gezwungen, immer mehr Geld fürs Wohnen auszugeben, was wiederum dazu führt, dass eine größere Konkurrenz um kleinere und günstige Wohnungen auf dem Wohnungsmarkt besteht – mit der Folge, dass solche Wohnungen wegen gestiegener Nachfrage dann teurer werden. So finden immer mehr Menschen keine Wohnung, die sie bezahlen können, oder aber sie müssen sich anderweitig einschränken, um die teure Miete stemmen zu können: schlechtere Lebensmittel einkaufen, nicht mehr in den Urlaub fahren, weniger Freizeitaktivitäten (Sportverein, Musikunterricht …) für die Kinder usw. Und die Obdachlosigkeit steigt auch immer mehr. Das ist für viele Betroffene eine Katastrophe, aber Hauptsache, es wird nicht Geld aufgenommen von der öffentlichen Hand, um genug bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen.

Wirtschaftskrise

Aus der Wohnungsnot folgt dann auch dieser Punkt: Weil Menschen immer mehr Geld für Miete aufwenden müssen, haben sie weniger davon zur Verfügung für andere Sachen. Und gerade Menschen mit geringerem Einkommen geben nahezu all ihr Geld auch in der heimischen Wirtschaft aus. Wenn diese Menschen dann überall sparen müssen, dann ist das schlecht für die Binnennachfrage. Und wenn dann noch Probleme beim Export hinzukommen, dann kriselt eben die Wirtschaft.

Auch das ständige Rufen nach Einsparungen im Sozialbereich ist ausgesprochen wirtschaftsschädlich, denn auch die davon betroffenen Menschen haben dann weniger Geld zur Verfügung, um sich Lebensmittel, Kleidung und andere Dinge des alltäglichen Gebrauchs zu kaufen. Wieder mal nicht so richtig gut für die einheimische Wirtschaft.

Dann fällt natürlich aufgrund der Schuldenbremse auch immer öfter die öffentliche Hand als direkter Auftraggeber aus, was auch eine Schwächung der Wirtschaft bedeutet, da dann weniger Unternehmen mit öffentlichen Aufträgen bedacht werden, beispielsweise um Infrastruktur neu zu errichten oder instand zu halten.

Marode Infrastruktur

Womit wir schon beim nächsten Punkt wären: Brücken tragen nicht mehr richtig oder stürzen sogar ein (wie kürzlich in Dresden), Straßen haben Schlaglöcher, Schulgebäude haben schimmlige Wände und nicht funktionierende Toiletten – die Infrastruktur in Deutschland ist in einem nicht gerade guten Zustand. Auch hier ist der Grund wieder die Schuldenbremse, da sie eben entsprechende Ausgaben verhindert, um all das in Schuss zu halten, was die Bürger jeden Tag so brauchen. Absurderweise wird dann ja von den Apologeten der Schuldenbremse immer noch „argumentiert“, dass man ja kommenden Generationen keine Schuldenlast hinterlassen dürfe – aber eine total runtergewirtschaftete Infrastruktur ist dann wohl in Ordnung, um unsere Kinder das dann ausbaden zu lassen.

Kleiner Tipp für diese ökonomischen Blindflieger: Sachen regelmäßig zu warten, ist in der Regel günstiger, als wenn man irgendwann, wenn es gar nicht mehr anders geht, dann aktionistisch all das komplett erneuern muss. Das erleben wir ja gerade schon im Verkehrswesen, wenn nicht aufeinander abgestimmt überall dort geflickt wird, wo sonst wirklich Gefahr im Verzug wäre. Resultat: zunehmend mehr Chaos beim Autoverkehr und bei der Bahn aufgrund von Baustellen, Baustellen und noch mehr Baustellen. Und auch dieses Chaos bzw. die daraus resultierenden Wartezeiten vieler Menschen sind nicht gerade positiv für unsere Volkswirtschaft, da sie zum einen meistens mit höheren Umweltbelastungen einhergehen und zum anderen diese verdaddelten Zeiten sonst beispielsweise mit produktiven, regenerativen oder ehrenamtlichen Tätigkeiten verbracht werden könnten.

Krise im Gesundheitswesen

Pflegekräfte werden schlecht bezahlt und leiden an Überlastung durch ihre Arbeit. Tja, woran das wohl liegt? Genau, auch wieder an der Schuldenbremse, denn dank dieser werden Pflegekräfte in öffentlichen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen nicht ihrer Leistung entsprechend bezahlt, weil hier mittlerweile (wie bei den privaten Betrieben erst recht) auch in erster Linie geschaut wird, dass der Laden wirtschaftlich läuft – und nicht, dass möglichst gute Leistungen für die Erkrankten bereitgestellt werden.

Das wurde natürlich nicht besser durch die zahlreichen Privatisierungen, die vorgenommen wurden, um die öffentliche Hand zu entlasten (was denn oft überhaupt nicht funktioniert hat – s. LBK-Verkauf in Hamburg). Wenn Gelder statt für vernünftige Bezahlung des medizinischen Fachpersonals dafür verwendet werden, um Investoren gute Rendite zu gewährleisten, dann wird die Gesundheitsversorgung – wenig verwunderlich – nicht besser. Aber das ist ja grundsätzlich so bei Privatisierungen von gesellschaftlich relevanter Infrastruktur – die ja zunehmend auch eine Folge der Schuldenbremse ist.

Krise im Bildungswesen

Dass es im deutschen Bildungswesen nicht mehr richtig rund läuft, merkt man nicht nur an schlechten Pisa-Platzierungen. Unterrichtsausfall ist eher die Regel als eine Ausnahme, und Klassen werden nicht kleiner, obwohl Kinder heutzutage oftmals schwieriger sind. Aber klar: Lehrkräfte kosten Geld, und das soll eben aufgrund der Schuldenbremse nicht mehr ausgegeben werden. Also herrscht Lehrermangel, und ähnlich wie bei den Pflegekräften schuften sich viele Pädagogen dann ins Burn-out aufgrund von ständiger Arbeitsverdichtung.

Gleichzeitig boomen die Privatschulen, auf die dann Wohlhabende ihre Kinder schicken können, während der Rest in die Röhre schaut. Und häufig tatsächlich meint, dass das doch nur an Kindern von Migranten läge, die zum Teil nicht über gute Deutschkenntnisse verfügen …

Überlastung der Verwaltung

Die Kommunen werden seit Jahren von der Bundespolitik kaputtgespart, da ihnen immer mehr Aufgaben aufs Auge gedrückt wurden, ohne die Einnahmen zu erhöhen. Das führt dann dazu, dass es lange Wartezeiten gibt, um behördliche Anliegen zu erledigen, und dass vieles überhaupt erst mal komplett liegen bleibt. Natürlich auch solche Sachen wie Integrationsangebote für Geflüchtete.

Die Digitalisierung ist zudem in deutschen Amtsstuben noch nicht weit fortgeschritten, was eben auch daran liegt, dass dafür kein Geld da ist. Und wenn dann mal digitalisiert wurde, dann führt das öfter dazu, dass analoge Angebote zurückgefahren wurden, sodass etliche Bürger außen vor sind (s. beispielsweise hier).

Dazu kommt noch: Auch Polizei und Gerichte sind reichlich überlastet, was dann gleich zum nächsten Punkt führt:

Kriminalität

Hier wird ja besonders gern ein Zusammenhang mit Geflüchteten konstruiert (s. hier), und zwar auch von Fans der Schuldenbremse, damit dabei nicht in den Fokus gerät, dass es eben um die Ausstattung von Polizei und Justiz aufgrund dieses dummen Sparzwangs nicht gut bestellt ist. Auf diese Weise können begangene Delikte nicht so gut aufgearbeitet werden, zudem fehlen Gelder für die Weiterbildung von Polizisten, sodass immer wieder psychisch kranke Menschen von Ordnungshütern erschossen werden (s. hier). Und bei den Cum-Ex-Verbrechern würde man sich ja auch mehr juristische Kapazitäten wünschen, damit diese Schurken verknackt würden (wenn das denn überhaupt politisch so gewollt sein sollte – aber das ist ein anderes Thema).

So haben wir es oft mit überlasteten Polizisten zu tun, die natürlich ihre Arbeit dann nicht so gut machen, wie sie es eigentlich könnten unter besseren Bedingungen. Und dann trifft das noch auf eine überlastete Justiz, die gar nicht mehr in der Lage ist, alle Verfahren zu führen, die anstünden. Was für eine Einladung für Kriminelle!

Kein ausreichender Klimaschutz

Bei diesem Thema wird die Last, die wir kommenden Generationen aufbürden, am allerdeutlichsten. Alles, was in den vergangenen Jahren nicht in Klimaschutz investiert wurde und auch jetzt noch nicht investiert wird, wo die Einschläge für alle sichtbar immer näher kommen, müssen diejenigen, die jetzt jung sind, in einigen Jahre doppelt und dreifach aufbringen, um die immer größeren Schäden zu beseitigen.

Daran wird die Kurzsichtigkeit der Schuldenbremse offensichtlich: Anstatt dass man heute moderate Beträge ausgibt, werden die Ausgaben in die Zukunft verlagert, wo sie dann ein Vielfaches des Jetzigen betragen werde – und zudem noch einiges an Schäden und Menschenopfern aufgrund der nicht getätigten Klimaschutzinvestitionen anfallen werden. Woran man sieht: Die Schuldenbremse ist nicht nur wirtschaftlicher Unfug aufgrund der hohen Sachschäden, die sie verursacht, sondern fordert sogar Menschenleben.

 

Hab ich noch was vergessen? Durchaus möglich, aber ich finde, dass diese Aufzählung hier schon mal aufzeigt, was bei uns ohne die dämliche Schuldenbremse alles besser laufen würde. Da sie aber ein neoliberales Dogma ist, wird sich daran wohl auch in Zukunft nichts ändern – auch wenn der Bundeskanzler in spe Friedrich Merz schon ein bisschen einzusehen scheint, dass er damit eine politische Hinterlassenschaft erbt, die seinen Handlungsspielraum auch erheblich einschränken wird. So meinte er kürzlich dazu (s. hier): „Selbstverständlich kann man das reformieren. Die Frage ist: wozu, mit welchem Zweck? Was ist das Ergebnis einer solchen Reform? Ist das Ergebnis, dass wir noch mehr Geld ausgeben für Konsum und Sozialpolitik? Dann ist die Antwort nein.“

Womit dann auch klar sein dürfte, dass es weiterhin zulasten der Normalbürger gehen wird mit der Schuldenbremse, zumal laut dem verlinkten Artikel CDU-Generalsekretär und Obersozialdarwinist Carsten Linnemann selbst solchen Gedankenspielen schon eine kategorische Absage erteilte. Gut, wenn ein CDUler etwas sagt, dann heißt das natürlich nicht, dass das auch morgen noch Bestand haben muss, aber da auch die Grünen bereits im „Wir kriechen der CDU in den Hintern, damit wir demnächst vielleicht Pöstchen als Juniorparter kriegen können“-Modus sind und eine Abschaffung der Schuldenbremse ebenfalls ausschließen (s. hier), wird uns diese „Mutter aller Probleme“ wohl leider noch eine ganze Zeit erhalten bleiben.

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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