Kapitalismus wird ja immer wieder gleichgesetzt mit Demokratie. Dabei gibt es genug Beispiele, die zeigen, dass dieses Wirtschaftssystem genauso gut mit nicht demokratischen politischen Systemen funktioniert: Chile unter dem Diktator Augusto Pinochet beispielsweise war das erste neoliberale „Testlabor“ – und mit Sicherheit alles andere als ein demokratischer Rechtsstaat.
Auch andere Diktaturen sind durchaus dem (neoliberalen) Kapitalismus zugeneigt, so beispielsweise zurzeit in Ägypten. Andere Länder wie Ungarn, Indien, Italien, Argentinien oder vor ein paar Jahren noch Brasilien unter Jair Bolsonaro haben Regierungen, die tendenziell nationalistisch, rechtsoffen und antidemokratisch sind, was sich auch wunderbar mit dem Kapitalismus vereinbaren lässt. Und der autoritäre Staatskapitalismus in China ist eine ganz besondere Spielart dieses Systems, die zudem auch noch extrem erfolgreich ist zurzeit.
Das ist letztlich auch kein Wunder, denn Kapitalismus und Faschismus (oder andere totalitäre Systeme) haben eine Gemeinsamkeit: Beiden geht es vor allem um die Verteidigung von Privilegien.
In totalitären Staaten ist das offensichtlich: Es gibt eine Gruppe, gern „das Volk“ genannt, die als höher stehend angesehen wird als eine oder mehrere andere Gruppen von Menschen und der darum auch gewissen Privilegien zugestanden werden. Wenn nun diese anderen Gruppen gleiche Rechte einfordern, dann wird diesem entschieden entgegengetreten, gern auch mit Gewalt, und das kann dann so weit gehen, dass diese anderen Gruppen als „Volksschädlinge“ definiert werden, die es auszumerzen gilt.
Dieses Schema des Verteidigen von Privilegien erleben wir immer wieder: Einheimische gegen Ausländer, Hellhäutige gegen Dunkelhäutige, Heterosexuelle gegen Homosexuelle, Anhänger von Religion X gegen Anhänger von Religion Y, Männer gegen Frauen … Deswegen gehen in nationalistisch oder fundamentalreligiös totalitären Systemen auch immer gern Rassismus, Misogynie und Homosexuellenfeindlichkeit Hand in Hand: Es geht darum, die Privilegien der herrschenden Klasse (die in der Regel männlich ist) zu behaupten.
Nun mag man einwenden, dass so etwas in demokratischen Gesellschaften nicht vorkäme, denn dort zählt ja das Prinzip der Freiheit. Allerdings sollte man sich dabei Folgendes vor Augen führen: Freiheit, die nicht für alle gilt, ist keine Freiheit, sondern das sind Privilegien. Und schon sind wir genau da, was auch totalitäre Gesellschaften auszeichnet.
Und dazu muss man sich nicht mal des pervertierten Freiheitsbegriffs der FDP bedienen (wobei dieser auch schon über deren Parteikreise hinaus Geltung erlangt hat), sondern einfach mal schauen, wie es denn mit den Freiheiten für alle bei uns so bestellt ist.
Fangen wir doch mal mit der elementaren Freiheit der Wohnortwahl an. Immer mehr Menschen können nämlich nicht dort leben, wo sie es gern würden, sondern nur dort, wo sie es sich überhaupt noch leisten können. Natürlich gab es immer schon Nobelviertel, nur werden stetig mehr Bezirke für Menschen unerschwinglich. Das geht so weit, dass beispielsweise Familien, deren Kinder aus dem Haus sind und die deswegen eine kleinere Wohnung beziehen wollen, ihr angestammtes Viertel verlassen müssen, weil die kleinere neue Wohnung teurer wäre als die größere mit dem alten Mietvertrag. Das Privileg von Vermietern und Wohnungskonzernen, ihre Profite immer weiter erhöhen zu können, zählt hier offenbar mehr als die Freiheit von vielen Menschen, sich ihren Wohnort aussuchen zu dürfen.
Noch krasser wird das, wenn wir uns Geflüchtete betrachten. Die dürfen nämlich dank der Residenzpflicht schon mal gar nicht dort wohnen, wo sie vielleicht Familie oder Freunde haben, sondern werden einfach einer Gemeinde zugeteilt. Und diejenigen, die noch gar nicht hier im Lande sind, haben überhaupt nicht die Freiheit, sich für einen hiesigen Wohnort zu entscheiden. Entweder sterben sie schon auf der Flucht oder werden dann nach den Plänen von CDU und AfD (bei denen auch die SPD mittlerweile mittut) an den Grenzen abgewiesen. Das Privileg, hier in Deutschland leben zu können, wird ihnen also verwehrt von denjenigen, die keine Lust darauf haben, ihren privilegierten Wohlstand zu teilen.
Dann gäbe es ja auch noch die Freiheit der Berufswahl. Klingt erst mal gut und scheint eine Selbstverständlichkeit zu sein, ist es aber in dem Moment nicht mehr, wenn man Bürgergeld empfängt und dann genötigt wird, irgendeine Arbeit anzunehmen – egal, ob die zu den eigenen Qualifikationen und Lebensumständen passt. Die AfD möchte ja sogar wieder Zwangsarbeit einführen, und spätestens dann wäre klar, dass es sich hier nicht um Freiheit, sondern um ein Privileg von besser Situierten handelt.
Dazu kommt dann ja noch, dass Frauen nach wie vor schlechtere Chancen als Männer haben, in Führungspositionen zu gelangen, sodass auch dies die Freiheit der beruflichen Entfaltung erheblich einschränkt. Erschwerend kommt für alleinerziehende Frauen dann noch hinzu, dass es oftmals nicht ausreichende Kinderbetreuung gibt. Da bekommt eine solche Mutter dann vom Arbeitgeber gesagt: „Klar kannst du mehr als halbtags arbeiten, aber dafür bräuchtest du dann einen Krippenplatz für dein Kind.“ Und bei der Kita heißt es parallel: „Klar kannst du einen Krippenplatz bekommen für dein Kind, aber dafür musst du eine Vollzeitstelle vorweisen.“ Ziemlich fiese Zwickmühle, oder?
Wo wir gerade bei den Frauen und ihren spezifischen Benachteiligungen sind: Das Thema Schwangerschaftsabbruch kommt ja auch immer wieder gern auf die Tagesordnung, vor allem von Konservativen und Rechten, und dann wird klar, dass die Freiheit, über den eigenen Körper zu entscheiden, längst auch nicht so ohne Weiteres für alle gilt, sondern vielmehr patriarchalische Privilegien dem entgegenstehen. Und das nicht nur in Ländern wie Saudi-Arabien mit ihrer offensichtlichen Misogynie, sondern eben auch hierzulande.
Wie man sieht, sind das schon einige Privilegien, die mitunter mit Klauen und Zähnen verteidigt werden. Und das vor allem immer unter der Prämisse, dass Profite und Wirtschaftlichkeit der Freiheit für alle vorgezogen werden. Klar, es heißt ja auch KAPITALismus …
Ein noch recht neues Beispiel möchte ich noch vorbringen: Digitalzwang, also das Gegenteil von der Freiheit, sich für Analoges zu entscheiden, was man auch gleichsetzen kann mit der Freiheit der Privatsphäre. Damit sieht es nämlich zunehmend nicht so gut aus bei uns, denn Dienstleistungen werden immer öfter nicht alternativ digital angeboten, sondern ausschließlich. Und das hat dann durchaus Nachteile, beispielsweise dass Daten gesammelt werden, die Bürger so zunehmend ihrer Privatsphäre beraubt werden und Menschen, die (aus welchen Gründen auch immer) bestimmte digitale Techniken nicht nutzen wollen oder können, ausgeschlossen werden. Dass das problematisch ist, sehen auch sehr technikaffine Menschen so, beispielsweise die von Digitalcourage.
Und das betrifft zunehmend auch elementare Dienstleistungen, beispielsweise von der Deutschen Bahn oder bei der Paketzustellung. Da Daten ein wertvolles Gut sind und zudem auf diese Weise Angestellte eingespart werden können, wird also auch hierbei das Privileg der Gewinnmaximierung als wichtiger erachtet als die Entscheidungsfreiheit und Privatsphäre der Menschen.
Diese Denkweise, die totalitären Staaten zu eigen ist, findet sich also auch in kapitalistischen Demokratien – und das ist dann eben ein Anknüpfungspunkt für Antidemokraten und andere autoritär Gesinnte, sodass deren Ansichten sich immer weiter verbreiten können. Wichtig dabei ist es natürlich, Angst zu verbreiten, um den Menschen zu suggerieren, ihre Freiheit (die nichts anderes ist als ihre Privilegien) wäre in Gefahr. Dass diese Privilegien häufig ungerechtfertigt sind und auf dem Leid von anderen Menschen basieren, wird dabei nicht thematisiert, sodass man diese Privilegien notfalls eben auch mit Gewalt verteidigt. Was so seit Jahren beispielsweise permanent im Mittelmeer geschieht, indem man dort bewusst Menschen ertrinken lässt – wenn sie nicht vorher von bezahlten „Türwächtern“ in Nordafrika ermordet, in Lager gesperrt, gefoltert und vergewaltigt werden.
Insofern ist die zunehmende Zustimmung zu faschistischen, autoritären oder totalitären Politikern und Parteien, die zurzeit in vielen kapitalistischen Demokratien zu beobachten ist, eigentlich nur eine logische Konsequenz aus der neoliberalen Radikalisierung des Kapitalismus, da auf diese Weise immer mehr Privilegien geschaffen werden, die dann als Freiheit verklärt werden, um sie verteidigen zu können. Wer also etwas zur Erhaltung der Demokratie machen möchte, sollte diesen Zusammenhang berücksichtigen und Kritik des Wirtschaftssystems nicht nur zulassen, sondern auch konstruktiv voranbringen.