Linke = SED?

Immer wieder wird ja gern von Rechten von CDU bis AfD der Vorwurf gegen die Linkspartei ins Spiel gebracht, dass diese quasi als Nachfolgepartei der SED genauso drauf sei wie die ehemalige DDR-Regierungsclique. Damit versucht man natürlich in erster Linie, sich nicht inhaltlich auseinandersetzen zu müssen. Aber dennoch lohnt es sich, mal zu schauen, was an diesem Diffamierungsversuch dran ist – und ob sich nicht viel mehr SED vielleicht woanders findet.

Schon im Jahr 2019 ging ein Artikel auf Spiegel Online mal der Frage nach, wie viel SED denn noch in der Linken stecken würde. Und da kam man zu dem Schluss, dass natürlich einige Verbindungen allein schon deswegen bestünden, weil die Linke als Parteinachfolgerin der SED fungiert (wenn auch über einige Umwege über SED-PDS, PDS und WSAG), aber die personellen Überschneidungen nur noch sehr gering ausfallen – was allein schon altersmäßig offensichtlich ist. Zudem musste man dann auch feststellen:

Inhaltlich distanzierte man sich von Stalinismus und SED-Diktatur. „Demokratischer Sozialismus“ lautete fortan die Parole. Heute versammeln sich in der Linkspartei Menschen aus unterschiedlichsten Richtungen: Sozialdemokraten, radikale Linksaktivisten, Kommunisten, Ökopolitiker. Auf Parteitagen kann man regelmäßig erleben, wie antiautoritär und streitlustig ein großer Teil der heutigen Genossen inzwischen ist.

Klingt nun nicht so ganz nach Kadergehorsam, der ja bei der SED ein konstituierendes Element gewesen ist, oder? Zudem wird ja den Linken immer wieder vorgeworfen, dass sie sich dauernd streiten würden, und die Abspaltung der Sahra-Wagenknecht-Truppe BSW spricht ja tatsächlich dafür, dass solche Konflikte durchaus mit harten Bandagen geführt werden – bis hin zu entsprechenden Konsequenzen, wenn eben nicht mehr eine gewisse Basis vorhanden ist. Auch die im Spiegel-Artikel festgestellte Russlandnähe einiger Linker dürfte nach der BSW-Gründung deutlich zurückgegangen sein.

Zumal man die Russlandnähe und das Verständnis für den dortigen Despoten Wladimir Putin ja mittlerweile vor allem auch in einer anderen Partei findet: der AfD. Und ob es dann wohl Zufall ist, dass dort auch recht viele ehemalige hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter untergekommen sind? Wohl kaum … Und was das angeht, sind andere Parteien (bis auf das BSW) auch deutlich kritischer – auch die Linke.Dort heißt es auf Nachfrage von Correctiv (s. hier):

Die Linke schreibt, es gäbe „eine Unvereinbarkeit zwischen der Rechtfertigung stalinistischer Verbrechen und den Werten der heutigen Partei Die Linke.“ Eine generelle Durchleuchtung von Mitgliedern erfolge nicht. Es gäbe aber eine Verpflichtung, vor Kandidaturen, die eigene politische Vergangenheit offenzulegen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und die persönlichen und organisationspolitischen Schlussfolgerungen daraus hätten bei der Linken einen hohen Stellenwert. Generell habe die Linke aus ihrer Geschichte heraus eine grundsätzliche Skepsis zur Vereinbarkeit von geheimdienstlicher Tätigkeit und demokratischer Kontrolle.

Was ja auch dazu passt, dass die Linke die Partei in Deutschland ist, die sich am deutlichsten gegen die ständige Ausweitung von Überwachungsmaßnahmen positioniert. Insofern sollte man eine inhaltliche SED-Nähe lieber mal bei denen konstatieren, die ständig solche Themen wie Vorratsdatenspeicherung, Gesichtserkennung und Tools wie Palantir ins Spiel bringen (was es zu DDR-Zeiten zum Glück alles noch nicht gab) – und dann landet man auf einmal vor allem bei der CDU/CSU. Na so was …

Was nun neben der Stasi-Bespitzelung vor allem auch für das steht, was in der DDR an Unrecht verübt wurde, ist die Grenze bzw. deren restriktive Bewachung, die im Laufe der Jahre Hunderte von Menschenleben (die angegebenen Zahlen hierzu variieren – s. hier) kostete. Menschen zu ermorden durch Schüsse, Minen oder anderes ekliges Zeug, und das nur, weil sie das Land verlassen wollen, ist ja auch unbestreitbar eine üble Sache.

Menschen ermorden zu lassen, weil sie ins Land wollen, ist hingegen nicht minder übel. Und da ist ja vor einigen Jahren Beatrix von Storch von der AfD recht deutlich geworden, als sie (genauso wie die damalige Parteivorsitzende der Blaubraunen Frauke Petry) forderte, dass auf Geflüchtete an der deutschen Grenze ruhig schon mal geschossen werden dürfe – gern auch auf Frauen und Kinder (s. hier). Dass so eine Person dann immer noch darauf besteht, dass die Linke ja so was wie die SED sei (wie gerade neulich bei Lanz im ZDF), und das gegenüber der Parteivorsitzenden der Linken Iris Schwerdtner, die als Jahrgang 1989 nicht wirklich viel von der SED miterlebt hat, zeigt, wie wenig Selbtsreflexion und wie viel plumpe Diffamierung in solchen Aussagen steckt.

Zudem geschieht das seit Jahren schon ganz real im Mittelmeer. Wobei man natürlich darüber streiten kann, ob ertrunkene Menschen aufgrund von eingestellter oder behinderter und sanktionierter Seenotrettung nun so „direkt“ ermordet werden, als wenn man auf sie schießt. Aber zumindest die Bezahlung der sogenannten libyschen Küstenwache, die regelmäßig Geflüchtete abfängt, auch mit Gewalt und Schusswaffeneinsatz, und diese dann in Lager bringt, wo die Menschen oft gefoltert, vergewaltigt, ermordet oder versklavt werden, kann man m. E. schon auf eine Stufe damit stellen, wie mit Menschen umgesprungen wurde, die aus der DDR fliehen wollten.

Und wer ist für diese schäbige Verwendung unserer Steuergelder verantwortlich? Nun, das passiert auf EU-Ebene und federführend von Konservativen, also auch der CDU. Die Begründung dafür, dass das schon irgendwie o. k. sein soll, die Ermordung von aus der DDR Fliehenden hingegen ein Unrecht, kann dann nur eins sein: Rassismus. Denn die Toten im Mittelmeer (jedes Jahr übrigens mittlerweile deutlich mehr als insgesamt in allen Jahren an der innerdeutschen Grenze) sind eben „nur“ Afrikaner – „nur“ zumindest aus Sicht derer, die deren Tod nicht nur in Kauf nehmen, sondern sogar Milizionäre, Warlords und autokratische Despoten dafür bezahlen. Zumal die SED-Parteibonzen ja auch nicht selbst den Finger am Abzug hatten oder Minen verbuddelt haben.

Apropos SED-Parteibonzen. Die haben es sich in der DDR ja auch nicht schlecht gehen lassen, so ganz frei nach dem orwellschen Animal-Farm-Motto: „Alle Tiere sind gleich, aber einige sind gleicher als andere.“ Und so was kann man den Abgeordneten der Linken nun echt nicht vorwerfen, denn diese spenden zum Beispiel regelmäßig das Geld von Diätenerhöhungen an gemeinnützige Organisation. Und von fiesen Bereicherungen im Zuge ihrer Mandatsausübung hab ich bei denen bisher auch eher nichts gehört. Anders sieht es da schon bei der CDU/CSU aus – nicht nur durch offensichtliche Vorteilsnahme wie bei den schäbigen Maskendeals, sondern eben auch dadurch, dass sehr oft nach der parlamentarischen Tätigkeit durch die sogenannte Drehtür in einen lukrativen Berater- oder Aufsichtsratsjob für „zufällig“ eine der Firmen gewechselt wird, die man zuvor mittels politischer Entscheidungen begünstig hat. Oder so wie bei der AfD, wo sich die beiden Fraktionsvorsitzenden erst mal selbst eine gehörige Zulage aus den öffentlichen Kassen für die Ausübung ihres Amtes gönnen (s. hier).

Also mal zusammengefasst: Was an der SED vor allem so richtig kacke war, sind die Ermordung von Flüchtenden an der Grenzen, die möglichst umfassende Überwachung der eigenen Bürger und die Vorteilsnahme der Parteigranden aufgrund ihrer Positionen. Hm … trifft jetzt, wie eben dargestellt, nicht so ganz auf das Agieren der Linken zu, sondern eben in weitaus größerem Maße auf das von der CDU/CSU und AfD.

Wenn man also eine Fortführung des SED-Spirits sucht in Deutschland, dann sollte man vielleicht mal bei denen anfangen, die das immer lauthals anderen vorwerfen. Ein frommer Wunsch von mir zum Schluss: dass Journalisten entsprechend genau darauf hinweisen, wenn irgendwelche schwarz-blauen Populisten auf diese Weise mal wieder versuchen, eine inhaltliche Diskussion durch diese plumpe und weitestgehend unzutreffende Anschuldigung zu unterbinden.

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Schreibe einen Kommentar