Der empathielose Deutsche

Vor einiger Zeit schrieb ich hier auf unterströmt ja schon mal einen Artikel zur zunehmenden Verrohung unserer Gesellschaft, und gerade jetzt manifestiert sich diese Entwicklung wieder mal massiv, sodass man als empathischer Mensch nur noch das Grausen bekommen kann: Im Umgang mit Griechenland zeigt die deutsche Politik, insbesondere in Person von Wolfgang Schäuble, gerade, dass menschliche Schicksale vollkommen egal sind, wenn es darum geht, auf die Einhaltung von Prinzipien zu bestehen. Und erschreckenderweise finde das auch noch viele Deutsche gut und richtig.

Wie vollkommen kontraproduktiv das Verhalten der EU unter Führung von Deutschland gegenüber Griechenland ist, erschließt sich einem, wenn man sich ein bisschen mit der Materie beschäftigt (zum Beispiel, indem man den Links in unserem Griechenland-Dossier folgt). Eine nachweislich gescheiterte Idee wird stur weiterverfolgt, obwohl diese dazu führte, dass die griechische Wirtschaft darniederliegt und gleichzeitig die Staatsschuldenquote, die mit diesen Maßnahmen gesenkt werden sollte, immer weiter ansteigt. Trotzdem wird von der deutschen Politik gegen Griechenland gepoltert in einer vollkommen unsachgemäßen Art und Weise, und auch die Medien machen hier überwiegend mit, sodass sich bei vielen Deutschen das falsche Bild verfestigt, dass die Griechen ja nur faul sein und selbst schuld wären, also auch nicht maulen sollten. Dass in Griechenland das Gesundheitssystem zusammenbricht, die Selbstmordrate und die Neugeborenensterblichkeit stark ansteigen, eine ganze Generation ohne Aussicht auf regelmäßige Beschäftigung ist – egal! Es geht ums Prinzip, und wenn dann noch der Aspekt ins Spiel kommt, dass es ja um „unser Geld“ gehe (die BILD tut sich bei dieser Hetze mal wieder besonders hervor), dann wird auch nicht mehr überprüft, ob denn da überhaupt was dran ist, dann wird mit Klauen und Zähnen ausgeteilt gegen „die Griechen“. Dass hier die Grenzen zu rassistischem und völkischem Denken schnell mal überschritten werden, versteht sich fast schon von selbst, und nicht von ungefähr stellt Sascha Lobo in seiner Kolumne auf Spiegel online fest, dass wir es mittlerweile in Deutschland mit einem starken Neonationalismus zu tun haben (was übrigens nicht überraschend ist, auf diese Entwicklung wies ich in einem Artikel hier auf unterströmt schon vor gut eineinhalb Jahren hin). Und Nationalismus ist eben etwas, was Empathie grundsätzlich entgegensteht, da es das eigene Volk, die eigene Nation eben hierarchisch über anderen anordnet – mit denen man dann auch kein Mitgefühl haben muss.

Doch dieses Verhalten ist nicht ganz neu, sondern kann auch schon zuvor im deutschen Wesen erkannt werden. So wurden beispielsweise in den 60er- und 70er-Jahren zahlreiche sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland geholt, als hier nicht genug Arbeitskräfte gerade für einfache Tätigkeiten in Fabriken vorhanden waren. Das war ja auch sehr praktisch und nützlich für Deutschland, also insofern erst mal super. Als man dann allerdings feststellte, dass diese Gastarbeiter auch Menschen sind, die kulturelle Bedürfnisse haben und nicht einfach nur in ihren Werksbutzen hocken und brav zur Arbeit gehen wollen, und als dann auch noch das Bedürfnis bei den Gastarbeitern aufkam, mit ihren Familien zusammen sein zu wollen, sodass diese auch nach Deutschland geholt wurden, da war es dann schnell vorbei mit der deutschen Freundlichkeit, und es breitete sich recht schnell eine Fremdenfeindlichkeit aus, die sich in abwertenden Begriffen wie „Kümmeltürke“ und „Spaghettifresser“ manifestierte. Die Integration und das Zusammenleben von Deutschen mit Nichtdeutschen ist heute noch als Begriff „Multikulti“ in rechten Kreisen ein Schimpfwort, wobei man sagen muss, dass die Integrationsangebote vonseiten des deutschen Staates eher mager waren, sodass sich die Gastarbeiter in bestimmten Stadtvierteln ansammelten und Kontakt überwiegend mit eigenen Landsleuten hatten.

Dieses Prinzip findet sich auch heute noch im deutschen Wesen und Denken: Von anderen profitieren ist super, aber abgeben will man denen dann nichts, da wird der Deutsche dann schnell mal biestig und rabiat. Nicht nur im Fall Griechenland ist das zu beobachten (immerhin hat Deutschland bisher etwa 40 Mrd. Euro aufgrund der krisenbedingten Niedrigzinsen für deutsche Staatsanleihen gespart, also Schäubles schwarze Null ist sozusagen auf Kosten der griechischen Bevölkerung zustande gekommen), sondern auch, wenn man sich den Umgang mit Flüchtlingen anschaut, die aus Afrika und Asien zu uns kommen. Nicht nur, dass ihnen eine Einreise möglichst schwer gemacht wird und viele schon auf dem Weg, u. a. im Mittelmeer, sterben, auch hier formiert sich immer schärferer Widerstand gegen die Menschen, die ihre Heimat verlassen, um hier Zuflucht zu finden. Nicht nur in Freital, das zurzeit prominent in den Medien ist, sondern auch in zahlreichen anderen Orten gibt es Widerstand gegen Flüchtlingsquartiere, die so weit gehen, dass Brandanschläge verübt werden. Billigen Kaffee säuft der Deutsche gern, billige Klamotten aus dem Discounter dürfen es auch sein, da jubelt der Schnäpchenjäger, und auch die Waffenexporte nimmt man als stolzer Exportweltmeister gern mit – aber wenn dann in den Ländern, die aufgrund von deutscher Politik, deutschem Geiz und deutschen Konzernen gebeutelt werden, die Menschen fliehen, weil ihnen ihre Lebensgrundlage entzogen wurde, dann will man die hier bloß nicht haben! Das ist so primitiv und kurzsichtig wie es widerlich ist.

Symbolisch für diese deutsche Eigenschaft war gerade eine Situation, in der sich Angela Merkel befand und die gestern viel Aufsehen in den sozialen Medien erregt hat: In einem Video des NDR wurde Merkel bei einer PR-Veranstaltung gezeigt, bei der sie mit Schülern zusammentraf, darunter auch ein palästinensisches Mädchen, dass seit vier Jahren in Deutschland lebt, sich hier gern eine Zukunftsperspektive entwickeln würde, aber ständig mit der Abschiebung rechnen muss. Man kann echt nicht beschreiben, wie schäbig Merkel darauf reagiert, man muss es sich anschauen: Erst kommen Allgemeinplätze, dass Deutschland ja nicht alle Flüchtlinge aufnehmen kann, die jedem Pegida-Anhänger das rechte Herz vor Freude hüpfen lassen, dann fängt das Mädchen ob dieser Empathielosigkeit der Kanzlerin, die nun tatsächlich mal mit ganz konkreten Auswirkungen ihres politischen Handeln konfrontiert wurde (man ist fast versucht zu sagen: Das kommt davon, wenn man sich mit dem Volk einlässt …), zu weinen an, woraufhin Merkel nichts anderes einfällt, als dieses Mädchen streicheln zu wollen – so wie einen Hund, den man noch mal eben tätschelt, bevor man ihn an der Autobahnraststätte aussetzt, weil er gerade unbequem geworden und den Urlaubsplänen im Weg ist. Das ganze deutsche herablassende und unempathische Wesen in einer einzigen Geste, präsentiert auch noch von des Deutschen liebster Politikerin und Kanzlerin – wie entlarvend!

Was mich vor allem erschreckt hat: Selbst dieser Vorgang, der eigentlich bei jedem klar denkenden Menschen mit auch nur einem Hauch Empathie massiven Brechreiz verursacht, wird von vielen Deutschen sofort verteidigt und gerechtfertigt. Wie hätte Merkel denn sonst reagieren sollen?, wird da gefragt (auf die Idee, die Politik, die zu solche Situationen führt, zu hinterfragen, kommen solche Leute natürlich nicht), und Merkel wird als mütterlich-mitfühlend bezeichnet. Das ist bezeichnend für den Deutschen, dem sein Patriotismus und Nationalismus („Wir sind wieder wer!“, „Wir sind die Fleißigen, alle anderen wollen nur unser Geld uns auf unsere Kosten schmarotzen!“ usw.) mal wieder gehörig zu Kopf steigt. Was überbleibt, ist ein entmenschlichtes Monster, dass alle Nichtdeutschen auf ihre Funktionalität für Deutschland reduziert und im Zweifelsfall als minderwertig definiert. Alles schon mal da gewesen vor etwa 80 Jahren …

Insofern kann man zurzeit nur sagen: Wehret den Anfängen (wobei es sich schon nicht mehr nur um Anfänge handelt, sondern bereits um einen recht weit fortgeschrittenen Prozess)! Es ist wichtig, diesem unempathischen Verhalten entgegenzutreten, Solidarität mit den Schwächeren zu bekunden und auszuüben sowie deutschem Größenwahn eine deutliche Absage zu erteilen. Schließlich ist Deutschland ist gerade wieder ganz massiv dabei, sich nicht nur international zu isolieren, sondern auch Europa (und vielen Teile der weiteren Welt) mit Not und Elend zu überziehen, und auf diese Duplizität der Historie kann ich zumindest liebend gern verzichten!

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

3 Gedanken zu „Der empathielose Deutsche“

  1. Ein weiteres, diesmal allerdings rein inländisches Beispiel für den Empathiemangel der Deutschen ist mir gerade noch eingefallen: die Reaktionen auf Streiks, die ja insbesondere in Bezug auf die Bahnstreiks der GdL ausgesprochen heftig ausgefallen sind, aber auch bei den Kita- oder Postangestellten zu beobachten waren. Hier herrschte ein aggressiver Ton vor, angestachelt auch durch die üblichen Verdächtigen unserer Medienlandschaft, der das eigene Bedürfnis („Ich will jetzt mit der Bahn fahren!“) mit großer Selbstverständlichkeit über die Solidarität mit berechtigten Forderungen von Arbeitnehmern, die lediglich ein Grundrecht wahrnahmen, erhob.

    Auch die (zumindest von mir so gefühlt) zunehmenden Berichte über Fahrerflucht gehen in die gleiche Richtung: Es ist egal, ob ich da gerade jemand anderem einen großen körperlichen und/oder finanziellen Schaden zugefügt habe, Hauptsache, ich selbst muss aufgrund meines Fehlverhaltens keine Konsequenzen fürchten.

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