Anja Reschkes Kommentar zum deutschen Flüchtlingshass

Panorama-Moderatrin Anja Reschke hat vor ein paar Tagen in der tagessschau mit einem Kommentar zum Thema Flüchtlinge viel (überwiegend positive) Resonanz erfahren. (Wer das tatsächlich noch nicht gesehen haben sollte: Hier ist das als Video auf YouTube zu finden.) Zu Recht, denn sie positioniert sich dort eindeutig gegen die rechten und rassistischen sogenannten „besorgten Bürger“ und deren Hasstiraden, vor allem im Internet, zudem fordert sie dazu auf, eindeutig Position zu beziehen und rechter Hetze zumindest verbal entgegenzutreten. In den sozialen Medien verbreitete sich dieses zweiminütige Statement dann auch wie ein Lauffeuer, weitgehend herrscht Einigkeit darüber, dass solche deutlichen Worte tatsächlich sehr angebracht waren, um dem rechten Rand zu zeigen: Es denken nicht alle so wie Ihr! Doch ist nun Optimismus angebracht ob dieses anscheinenden Konsenses? Ich fürchte, eher nicht …

Ich kann nämlich leider Anja Reschkes Einschätzung, die sie auch in einem Interview im Rahmen einer Nachberichterstattung zu ihrem Kommentar wiederholt hat, nicht teilen, dass tatsächlich die Mehrheit der Deutschen derartigem rechten Gedankengut ablehnend gegenüberstehen würde. Hier nimmt sie eine Abgrenzung vor, die m. E. so nicht zutreffend ist: Der Übergang vom „Ja genau!“-Bölken bei der BILD-Hetze gegen die „faulen Griechen“ zum direkten Rassismus gegenüber Flüchtlingen ist eben ein fließender und nicht ein scharf abgrenzbarer. Und für die Anti-Griechenland-Politik unserer Regierung können sich ja laut verschiedensten Umfragen stets so 60 bis 70 Prozent der Deutschen begeistern. Wenn Anja Reschke hier die Grenze zum Rassismus erst überschritten sieht, wenn tatsächlich Steine und Brandsätze fliegen oder verbale Vernichtungsfantasien ausgelebt werden, dann verkennt sie hier das Wesen des Rassismus. Und genauso wenig ist es m. E. eine legitime Meinungsäußerung, wie von Anja Reschke in dem oben verlinkten Interview dargelegt, Flüchtlinge als Sozialschmarotzer zu bezeichnen. Hier beginnt der Rassismus, indem Menschen aufgrund ihrer Herkunft eine Handlungsweise unterstellt wird, die tatsächliche Zusammenhänge komplett ausblendet.

Dies findet sich auch in dem Begriff „Wirtschaftsflüchtlinge“ wieder, den Anja Reschke gleich zu Beginn erwähnt: Was ist denn ein sogenannter „Wirtschaftsflüchtling“? Nichts anderes als jemand, dessen Lebensgrundlage (in der Regel von Konzernen aus westlichen Industrieländern) zerstört wurde und der nun seine Heimat, seine Familie, seine Freunde, sein gesamtes Hab und Gut zurücklässt in der Hoffnung, irgendwo anders ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Das sind also die Menschen, auf deren Leid wir unseren (noch vorhandenen) Wohlstand gründen, auf deren Kosten wir leben. Wenn diese nun bei uns anklopfen, dann sollen wir denen also die Tür vor der Nase zuknallen und denen sagen: „Geh nach Hause (auch wenn wir das gerade ziemlich abgerockert haben und Du dort unseretwegen keine Perspektive mehr hast)!“ Auch hier findet eine Herauslösung aus einem Gesamtzusammenhang statt, die schon den Keim des Rassismus in sich birgt.

Um das klarzustellen: Natürlich werfe ich Anja Reschke keinen Rassismus vor, und ich finde ihren Kommentar zudem auch generell sehr gut, vor allem erscheint es mir wichtig, dass auch mal in weit verbreiteten Medien so deutlich Position gegen die sich immer lauter artikulierenden Rassisten bezogen wird. Allerdings weiß ich zumindest auch, dass ich ein gutes Stück weit in einem Elfenbeinturm sitze, was die Bekanntschaft mit durchaus gut gebildeten und eher weltoffenen Menschen angeht, und ich schätze mal, dass das bei Anja Reschke ähnlich sein wird. Hieraus nun zu schließen, dass sich ähnliche Ansichten und Stimmungen auch auf die gesamte deutsche Gesellschaft übertragen lassen, ist m. E. ein fataler Fehler. Ich wette mal, dass an den Facebook-Pinnwänden vieler anderer der Anja-Reschke-Kommentar nicht so häufig und positiv bewertet geteilt wurde wie an meiner. Eine Auswahl von Reaktionen hat das Internetmagazin Vice in einem Artikel zusammengestellt und auch gleich mal treffend kommentiert. Hieran sieht man sehr gut, dass es nicht immer nur „Alle Flüchtlinge sollen ersaufen“ und ähnlich deutlich menschenverachtende Hetze sein muss, um undifferenzierten Rassismus in die Welt zu tragen. Und viele der dort vorgetragenen Scheinargumente sind eben auch ziemlich deutlich nicht aus irgendwelchen Rechtsaußenquellen, sondern vielmehr durch unsere sogenannten Qualitäts- und Leitmedien induziert – und damit entsprechend weit verbreitet.

Doch wie sieht es nun mit dem von Anja Reschke geforderten erneuten „Aufstand der Anständigen“ aus, dem deutlichen Entgegentreten gegen rechte Positionen und Äußerungen? Nicht wirklich gut, wie es mir scheint, zumindest wenn ich mir den nur einen Tag nach der Ausstrahlung von Anja Reschkes Statement veröffentlichten Kommentar von Fabian Reinbold auf Spiegel online anschaue. Genau das, was Anja Reschke an deutlich gemachter Haltung gegen Rechts einfordert, wird nun sogleich erst mal als Hysterie von Empörungsjunkies abgetan, garniert noch mit Ratschlägen an Arbeitgeber, wie man doch damit umgehen sollte, wenn der eigene Betrieb in Verruf geraten könnte aufgrund öffentlich getätigter rassistischer und volksverhetzender Aussagen von Mitarbeitern einen Shitstorm auslöst (dass ein Unternehmer vielleicht einfach keine Mitarbeiter in seinem Betrieb haben möchte, die offensichtlich rassistisches und rechtsextremes Gedankengut verbreiten, scheint jenseits von Reibolds Vorstellung zu liegen). Zivilcourage und gezeigte Haltung à la Reibold dürfen also für die Rassisten bitte keine Konsequenzen haben. Darüber hinaus ist der Kommentar auch noch schlecht recherchiert: Reibold bezieht sich vor allem auf den medial vor Kurzem sehr präsenten Fall, als ein 17-jähriger Azubi von Porsche Österreich nach einem volksverhetzenden Posting von besonderer Widerwärtigkeit aufgrund der Meldung einer Facebook-Gruppe beim Arbeitgeber gefeuert wurde. Der von Reibold als „Anführer der Netzschnüffler“ (was schon absurd ist als Formulierung, denn öffentlich getätigte Aussagen müssen nicht „erschnüffelt“ werden, aber an solchen inhaltlichen Feinheiten stört sich Reibold nicht) und „Prangeraufseher“ Diffamierte ist nämlich nicht anonym geblieben, wie er schreibt, sondern musste mittlerweile nach zahlreichen ernst zu nehmenden Drohungen als Folge von öffentlichen Statements unter Polizeischutz Österreich verlassen. Im Gegensatz zu dem, was Reibold im Umgang mit rechten Hetzern fordert, sind diese nämlich nicht ganz so zimperlich.

Das durfte auch Heinrich Schmitz erfahren, dessen Artikel für The European wir hier ja auch schon das eine oder andere Mal in den Wochenhinweisen verlinkt haben. Als erkennbares Mitglied der Initiative Heime ohne Hass, die u. a. eine Petition gegen fremdenfeindliche Demos vor Flüchtlingsheimen gestartet hat, sieht er sich nun mit den Konsequenzen seiner Haltung konfrontiert: Als Einschüchterung wurde die Polizei von einem anonymen Anrufer, der vorgab, Heinrich Schmitz selbst zu sein, informiert, dass er angeblich seine Frau umgebracht haben sollte. Diesen Vorgang beschreibt er ausführlich in einem ausgesprochen lesenswerten und sehr persönlichen Artikel, genauso wie seine Konsequenz aus diesem Vorfall: Zum Schutze seiner Familie wird Heinrich Schmitz keine politischen Texte mehr verfassen und auch aus der Initiative Heime gegen Hass austreten.

Das sind also zwei Konsequenzen aus dem so viel beachteten Kommentar von Anja Reschke, die befürchten lassen, dass trotz der hohen Teil- und Zustimmungsfrequenz in den sozialen Medien kaum positive Konsequenzen zu erwarten sein werden. Zwei Minuten einen Kommentar anhören, dann diesen teilen und kräftig „Gefällt mir“ klicken – und das dürfte es dann für die allermeisten auch schon wieder gewesen sein. Und spätestens beim nächsten Fußballevent liegt man sich mit den Nationalpatrioten dann wieder in den Armen und findet es gar nicht so wild, wenn da aus Ausgelassenheit auch mal ein bisschen „Sieg heil!“ geschrien wird.

Das Schlusswort möchte ich dieses Mal Heinrich Schmitz überlassen, denn besser kann ich es auch nicht formulieren:

Ich habe kapiert, dass die „schweigende“ Mehrheit der Bevölkerung am liebsten „schweigt“. Dass sie keineswegs mit dem Hass auf den Straßen einverstanden ist, aber lieber hinter den Gardinen steht, statt selbst auf die Straße zu gehen. Dass die Frau an der Spitze dieses Landes das Schweigen zur Regierungsmaxime erhoben hat und sich gerade deshalb alternativloser Beliebtheit erfreut. Dieses Schweigen wird über kurz oder lang zu einem „Schweigen der Lämmer“ werden. Es soll dann nur niemand behaupten, er hätte nichts gewusst oder er habe nichts tun können.

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

4 Gedanken zu „Anja Reschkes Kommentar zum deutschen Flüchtlingshass“

  1. Gerade passend dazu entdeckt: Wenn man sieht, wie Focus Online rechte Ressentiments und Stimmungen befeuert, dokumentiert von Stefan Niggemeier in einem Artikel seines Blogs, dann wundert einen auch nicht mehr, warum sich zum einen Rassisten immer häufiger und lauter äußern und zum anderen immer mehr Menschen, die sich selbst in der politischen Mitte verorten (Focus ist nun ja kein Blatt, was man als explizit rechtsextrem bezeichnen würde), für rechtes Gedankengut anfällig werden.

  2. Ein Artikel von Henning Uhle berichtet über einen weiteren Blogger, der aufgrund von massiven Drohungen aufhören wird, sich politisch gegen Rechte in Freital zu äußern. Es ist nicht nur eine Schande, dass rechter Pöbel wieder so mächtig geworden ist in Deutschland, sondern zudem auch vermutlich von unseren sogenannten „Eliten“ gar nicht mal so ungern gesehen, wenn nun immer mehr kritische Stimmen im Land verstummen, ohne dass man sich selbst die Finger schmutzig machen muss.

  3. Und auch besonders schäbiges Verhalten der „besorgten Bürger“ muss leider wieder vermeldet werden. Ein Artikel des Blogs Regenbogenwald dokumentiert die widerwärtigen Äußerungen von nicht wenigen Dresdnern als Reaktion auf eine Vermisstenmeldung eines zwölfjährigen Mädchens aus der Asyl-Zeltstadt. Das ist keine kleine Randgruppe, das ist die sogenannte „Mitte der Gesellschaft“, die sich da ungeniert in der Öffentlichkeit zu ihrem Rassismus bekennt.

  4. Wie weit Rassismus und Ausländerfeindlichkeit verbreitet und mit großer Selbstverständlichkeit mittlerweile wieder (in diesem Fall zwar in Österreich) ausgelebt werden, zeigt ein Artikel in der taz. Darin geht es um einen türkischstämmigen Bahnmitarbeiter, der rassistische Ausfälle zur Anzeige gebracht und dem dafür dann gekündigt wurde.

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