Volksentscheide

Das Thema Volksentscheide wurde ja in den letzten Monaten immer mal wieder von Politikern ins Spiel gebracht und entsprechend auch medial diskutiert, und vermutlich dürfte dies auch im anstehenden Wahlkampf öfter mal zur Sprache kommen. Nun hab ich mir auch mal ein paar Gedanken dazu gemacht, die ich so noch nicht in der Diskussion vorgefunden habe und die es m. E. aber wert sind, beachtet zu werden bei der Entscheidungsfindung, ob Volksentscheide nun eine eher gute Sache sind oder nicht.

Zunächst mal eine Sache vorweg: Ich stand Volksentscheiden eigentlich eher skeptisch gegenüber, da ich die Befürchtung hatte, dass diejenigen, die über die größte Publikationsmacht verfügen, solche Abstimmungen allzu leicht zu ihren Gunsten beeinflussen könnten. Diesbezüglich gab es allerdings im November 2015 einen Volksentscheid, der zeigte, dass dies nicht der Fall sein muss: die Ablehnung der Olympia-Bewerbung der Stadt Hamburg. Mehr Einsatz von Politik und Medien, die in den Wochen und Monaten vor der Abstimmung mächtig die Werbetrommel gerührt hatten, um eine Zustimmung zur Bewerbung als Resultat zu erhalten, ist ja kaum noch möglich – und dennoch haben sich die abstimmenden Hamburger mehrheitlich gegen das Sport-Event entschieden. Es scheint also doch nicht so einfach zu sein, gute Argumente mit massivem PR-Einsatz übertönen zu können …

Doch nun zu meinen Überlegungen bezüglich der Volksentscheide. Gehen wir mal davon aus, dass Volksentscheide bundesweit als Mittel der politischen Entscheidungsfindung eingeführt wären, dann ergeben sich dabei m. E. drei kritische Punkte:

1. Es gibt nur Ja und Nein

Politische Entscheidungen, die dann zu Gesetzen führen, sind oft das Ergebnis von langen Verhandlungen, in deren Verlauf die Verhandlungspartner ihre Positionen einander annähern, die Standpunkte abwägen und Kompromisse eingehen. Bei einem Volksentscheid wird es immer mehr oder weniger auf Ja oder Nein als Optionen hinauslaufen, und im Entscheidungsprozess kann kein Abwägen mehr stattfinden. Das mag für einige Entscheidungen auch durchaus o. k. und sein, aber viele Sachverhalte bedürfen eben genauer Erörterungen und komplexerer Differenzierungen. Etwas wie „Das kann man schon so sehen, aber man sollte diesen Punkt rausnehmen, da sonst dieses und jenes nicht berücksichtigt wird …“ oder „Wenn man das so macht, muss man aber auch etwas anderes bedenken …“ lässt sich in Form eines Volksentscheids kaum abbilden.

Es bestünde daher m. E. die Gefahr, komplexe Themen zu verengen und unsachgemäß zu simplifizieren, damit man den Abstimmenden keinen Zettel vorlegen muss, auf dem 37 verschiedene Auswahlmöglichkeiten angekreuzt werden können. Schwarz-Weiß-Denken dürfte somit gefördert und diskutierte Kompromisse eher schwierig umzusetzen werden. Und so stellt sich die Frage: Wer entscheidet, welches Thema sich hinreichend vereinfachen lässt, um es dann zum Volksentscheid vorlegen zu können?

2. Komplexe Themen

Politik wird nicht nur in den Parlamenten gemacht, sondern vor allem in Ausschüssen, in denen sich mit den zu behandelnden Themen intensiv beschäftigt wird. Im Bundestag oder in den Landtagen werden dann meistens die Ergebnisse dieser Ausschussarbeit präsentiert und dort dann (nach Fraktionszwang) abgestimmt. Schon die Parlamentarier durchblicken häufig gar nicht mal so genau, worüber sie da eigentlich abstimmen, sondern folgen den Empfehlungen ihrer Fraktionsmitglieder aus den Ausschüssen. Klar, oft liegen da zu einer Entscheidung Hunderte von Seiten an Infos vor – wer soll das alles durchlesen können in relativ kurzer Zeit?

Da es nun dem Sinn von Volksentscheiden entgegenstünde, wenn die Bürger dann Empfehlungen von Parteien folgten, müsste sich also jeder bei einem Volksentscheid in die Materie des abzustimmenden Themas einarbeiten. Das erfordert nicht nur viel Zeit, sondern auch einiges an Wissen, denn oftmals geht es um juristische Genauigkeiten spezifische Themen, die eben inhaltlich weit über das „Stammtisch-Know-how“ hinausgehen. Wer von uns könnte jetzt zum Beispiel so ad hoc die Situation in Syrien überblicken, wer da also warum und wo gegen wen kämpft, um bei einem Volksentscheid, der sich irgendwie mit dieser Thematik beschäftigt, kompetent sein Votum abzugeben?

Wenn ich beispielsweise in sozialen Medien sehe, dass gerade von Volksentscheidbefürwortern vom rechten Rand oftmals Gelder für Flüchtlinge und die Renten in einen Topf geworfen werden, obwohl das eine aus Steuermitteln und das andere aus den Sozialkassen bezahlt wird, dann frage ich mich ernsthaft, wie solche Leute über entsprechende wirtschaftspolitische Prozesse entscheiden wollen.

3. Abstimmungsmüdigkeit

Und wenn dann tatsächlich mehr und mehr Entscheidungen dem Souverän des Wahlvolks vorgelegt werden und von diesem abgelehnt oder abgesegnet werden sollen, dann könnte ich mir vorstellen, dass schon recht schnell ein gewisser Überdruss einsetzen könnte. „Ach, Sonntag ist schon wieder Volksentscheid? Was wollen die denn diesmal?“

Wenn dann auf diese Weise stetig weniger Menschen an den Volksentscheiden teilnehmen würden, dann stünde es nicht mehr allzu gut mit deren Legitimität, die ja gerade darauf beruht, dass nicht nur ein paar Politiker, sondern eben die Masse der Bevölkerung Entscheidungen trifft. Wenn aus dieser Masse dann aber irgendwann zehn oder zwanzig Prozent werden, wird es kritisch, denn eine solche Menge von Menschen lässt sich sehr schnell einseitig beeinflussen. Und wer dann seine Anhängern auf den Punkt mobilisieren kann, kann auf einmal verbindliche Mehrheiten generieren, die eigentlich gar keine Mehrheitsmeinungen abbilden.

Fazit

Volksentscheide sind meiner Meinung nach mit Vorsicht zu genießen und sollten allenfalls für besondere Anlässe, die auf diese Weise auch hinreichend abgebildet und beurteilt werden können, zugelassen werden. Beispielsweise könnten grobe Richtungsentscheidungen festgelegt werden, die dann aber danach noch weiter auf dem bisherigen parlamentarischen Wege ausgearbeitet würden, wenn denn der Volksentscheid eine Zustimmung ergäbe – nur mal so als ein Beispiel, denn die Fragestellung sollte ja letztlich auf Ja oder Nein hinauslaufen.

Sichergestellt werden müsste in jedem Fall, dass eine möglichst breit gefächerte vielseitige Information der Bevölkerung stattfände vor solchen Abstimmungen, damit nicht über Medienmacht politische Entscheidungen noch direkter beeinflusst werden können, als dies ohnehin schon der Fall ist. Doch das wird schwer durchzusetzen sein, sodass jeder Volksentscheid immer auch ein Kampf gegen diejenigen ist, die über die meisten Ressourcen für PR verfügen, um ihre Interessen umgesetzt zu sehen.

Es ist also alles nicht ganz so einfach, wie es sich diejenigen immer gern vorstellen, die den Volksentscheid als ideales (oder besser: idealisiertes) Mittel der politischen Entscheidung postulieren …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Ein Gedanke zu „Volksentscheide“

  1. Gerade in Sachen „Veto“ ist das Volk da eine gute Ja/Nein-Quelle. Greife ich das Beispiel „Syrien-Krieg“ auf, dann wäre die Entscheidung, da deutsche Tornados zum Einsatz zu bringen, durch ein klares „Nein“ schnell erledigt gewesen. Dazu bedarf es keiner Einarbeitung in die Lage vor Ort: Deutsches Militär hat da nichts zu suchen, das sehen die meisten so.
    Auch bei der Frage, ob sich Ausschüsse überhaupt einem Thema widmen sollen, wäre eine Ja/Nein-Entscheidung hilfreich, die ich auch als Volksentscheid begrüßen würde. Das „Wie“ ist dann wieder Frage der Ausschüsse (z. B. „Grundeinkommen“ oder „TTIP“). So könnte man das unsinnige Binden von Ressourcen unterbinden, wenn es kein „allgemeines Interesse“ dafür gibt.
    Letzten Endes ist es ja wie mit den Volksentscheiden selbst: Das Maß, in dem der Volksentscheid zum Einsatz kommt, ist der entscheidende Faktor. Nicht ob man Volksentscheide generell oder nie als parlamentarisches Werkzeug einsetzt.

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