Huffington Post Deutschland und die Angst vor den Öko-Weicheiern

Vom Focus ist man ja schon seit Längerem unterirdisch schlechten Journalismus gewöhnt. Bei dessen Ableger Huffington Post Deutschland hatte ich zumindest den Eindruck, dass man sich dort wenigsten ein bisschen mehr Mühe geben würde – bis ich neulich einen Artikel gelesen habe, der mich eines Besseren belehrte: Den Wirtschaftswissenschaftler und Politologe Hans-Martin Esser treibt eine Befürchtung um, die er nun der Welt mitteilen möchte: „Wir erziehen uns lauter Öko-Weicheier“!

Mit markigen Worten äußert der Autor seinen Unmut, dass die heutigen Kinder ja alle zu „Schlappschwänzen“ und „Opfertypen“ erzogen werden, und das von vier Typen von Eltern, die er ein wenig näher beschreibt: die Sagrotan-Mutti, die Sozialpädagogik-Sektiererin, der Funktionsjacken-Papi und der Oberlehrer.

Wer meint, es würde nun eine (durchaus berechtigte) fundierte Kritik an den sogenannten Helikoptereltern geben, der sieht sich enttäuscht: Esser steigert sich bei seinen Kategorien immer weiter in Widerwärtigkeiten hinein, die einen nur noch sprachlos zurücklassen. Kritisiert er beim ersten Typus noch die übertriebene Reinlichkeit, die ja in der Tat bei immer mehr Eltern zu beobachten ist, so wird schon bei der Sozialpädagogik-Sekrtiererin klar, wo es langgehen soll:

Friedlich und freundlich sind die Lieblingsworte, die in pädagogisierender Weise überintoniert werden. Ihre Kinder kennen hässliche Worte hingegen ebenso wenig wie den Namen von Fastfoodketten oder den dort zubereiteten Speisen.

Kommt es zur Kabbelei auf dem Spielplatz, hält das Kind lieber noch die andere Wange hin, anstatt sich zu wehren, da es Angst hat, Mutti könnte den kleinen Schläger nicht mehr liebhaben.

Merke: Anscheinend sind in der Welt von Hans-Martin Esser Fluchen (oder neudeutsch: Hate-Speech), McDonald’s-Fraß und Schlägertypen alles positive und erstrebenswerte Sachen, die es Kindern schon frühzeitig zu vermitteln gilt. Klar, deswegen hat er dann ja für den Softie-Loser, den er als Funktionsjacken-Papi bezeichnet, nur Häme über. Und richtig eklig wird es dann bei der Beschreibung des Oberlehrers:

Nation, Grenzsicherung sowie Landes- und Selbstverteidigung sind ihm ein Grauen. Der Höhepunkt seines Lebenslaufes ist nach dem Zivildienst ein freiwilliges soziales Jahr, worauf ein Soziologie-Studium folgte.

Harald Welzer hält er für den größten deutschen Denker der Gegenwart, da Denken für ihn implizit mit der richtigen Gesinnung zu tun hat. Jeden Politiker, der sich nicht schämt, die Interessen seines Landes zu vertreten, bezeichnet er offen als Rechtspopulisten.

Die Armut in Ländern der 4. und 5. Welt schreibt er der Kolonialzeit von anno dunnemal zu. Die Quittung für die Vergangenheit müssen also er und seine Kinder zahlen – und das bitteschön gern.

Der Gegenentwurf zu diesem Typus ist dann anscheinend der aufrechte Patriot, der für Neger nichts übrig hat und die heiligen Grenzen des Vaterlandes auch gern mal mit Gewalt gegen diejenigen verteidigt, die schon in der Kolonialzeit einfach nur zu blöd waren, um dem europäischen Imperialismus etwas entgegenzusetzen – die AfD und ihre Jünger lassen grüßen, und damit eben auch die klassische Focus-Klientel von der man sich mit der Huffington Post Deutschland doch eigentlich ein bisschen absetzen wollte. Tja, hat wohl nicht so ganz geklappt, wenn einem mit solchen Artikeln derart die Pferde durchgehen …

Und wenn man auch an der heutigen Erziehung einiges kritisieren kann (haben wir beispielsweise hier auf unterströmt auch schon gemacht), so liegt Esser mit seiner Glorifizierung von nationalistischen und neoliberalen Idealen als Allheilmittel gegen die Verweichlichung des Nachwuchses nun mal komplett daneben.

Zum einen ist es ja nun nicht so, dass die heutigen Kinder und Jugendlichen sich gerade durch ein Übermaß an altruistischem und rücksichtslosem Verhalten auszeichnen. Dass Mobbing mittlerweile ein Massenphänomen an deutschen Schulen ist, spricht da zum Beispiel massiv dagegen, denn „Öko-Weicheier“ mobben nun mal eher weniger. Genauso ist es ja bei Prügeleien unter Jugendlichen heutzutage üblich, auf den am Boden Liegenden dann noch mal ordentlich einzuschlagen oder einzutreten – ein Verhalten, dass es zumindest zu meiner Jugendzeit vor 30 Jahren so noch nicht gab und das nun auch kein Zeichen von zu wenig, sondern eher von zu viel, wenn nicht gar übersteigertem Selbstbewusstsein und einem übertriebenen Maß an Selbstverteidigung ist – beides Dinge, die Esser bei Jugendlichen als defizitär ansieht.

Gerade die Dominanz der neoliberalen Werte wie ständiger Wettbewerb, Aggressivität und Konkurrenzdenken im Alltag von Kindern und Jugendlichen (nicht nur in der Schule, auch in der Freizeit und durch viele Medien vermittelt) führt ja dazu, dass Empathie und Rücksichtnahme nicht gerade besonders ausgeprägt werden. Esser plädiert also ernsthaft dafür, den Bock zum Gärtner zu machen. Dass so jemand dann nichts mit Harald Welzer anfangen kann (den ich übrigens sehr schätze und der schon mehr intelligente Sachen geschrieben haben dürfte als alle Schreiberlinge von Focus und Huffington Post Deutschland zusammen) und diesem noch einen plumpen Seitenhieb mitzugeben meint, passt da natürlich genau ins Bild.

Und als wäre das nicht noch genug des Blödsinns in einem Artikel, so sollte man sich vielleicht auch noch vor Augen führen, dass gerade das verhätschelnde Verhalten von Eltern ihren Kindern gegenüber, was es ja tatsächlich in nicht unerheblichem Maße gibt, genau das Gegenteil von dem bewirkt, was Esser sich so vorstellt: Kleine verwöhnte Prinzen und Prinzesschen neigen selten dazu, sich besonders rücksichtsvoll und freundlich zu verhalten, sondern neigen eher zu despotischem Verhalten Gleichaltrigen gegenüber, da sie es eben nicht gewohnt sind, Konflikte konstruktiv auszutragen. Also genau das Gegenteil von „Öko-Weicheiern“ …

Und so einen Mist lesen dann eben viel zu viele Menschen und glauben das auch noch. Merke also: Wo Focus mit drinsteckt, kommt nur journalistischer Dünnpfiff bei raus.

 

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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