Ich hab ja nichts zu verbergen!

Immer wieder werde ich in Diskussionen, in denen es um den Ausbau des Überwachungsstaates geht, mit der Aussage konfrontiert, dass ja eigentlich nur Menschen was gegen Überwachung haben könnten, die etwas zu verbergen hätten: „Und ich hab schließlich nichts zu verbergen!“, wird dann gern im Brustton der Überzeugung postuliert. Ob es nun tatsächlich so ist, dass nicht jeder Mensch irgendwelche Dinge hat, von denen er nicht so gern möchte, dass andere davon erfahren, sei mal dahingestellt, allerdings ist noch ein anderer Aspekt dabei auffällig, der gerade von der Realität eingeholt wird: Es herrscht eine erschreckende Fantasielosigkeit bei vielen Überwachten vor, was denn mit den ganzen gesammelten Daten so alles angestellt werden könnte.

Unbestreitbar gibt es ja einerseits immer mehr staatliche Überwachung (wie hier für gerade mal wieder aktuell beschlossene Maßnahmen in einem Artikel von Digitalcourage dokumentiert wird), andererseits immer mehr Datensammelei vonseiten der Wirtschaft (beispielsweise über Ultraschall-Spyware auf Smartphones, wie aus einem heise-Artikel hervorgeht). Und natürlich geben die meisten auch eine Menge an Daten freiwillig über soziale Medien raus. Wer also das Internet nutzt, der kann davon ausgehen, dass einiges über ihn irgendwo gespeichert wird.

Nun habe ich den Eindruck, dass viele immer noch meinen, dass solche Daten nur dazu benutzt werden, um Verbrecher oder Terroristen aufspüren und überführen zu können – was soll sich der unbescholtene Normalbürger da also Gedanken drüber machen? Das ist natürlich zum einen ausgesprochen naiv, geht es doch davon aus, dass diese Daten niemals Leute in die Finger bekommen, die vielleicht keine lauteren Absichten haben – ob nun auf privater Ebene in Form von Konzernen oder eventuell auch einmal auf staatlich-politischer Ebene, wenn eine Regierung sich mal nicht mehr demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet fühlen sollte.

So wird heute schon das personalisierte Internet diskutiert, das heißt, dass jeder individuell etwas anderes angezeigt bekommt, wenn er bestimmte Webseiten (beispielsweise Nachrichtenportale) aufruft. Dabei wird dann auf vermeintliche durch Algorithmen berechnete Vorlieben des Einzelnen zurückgegriffen. Klingt erst mal harmlos oder sogar gar nicht schlecht – warum soll ich nicht nur Dinge angezeigt bekommen, die mich auch interessieren?

Die Kehrseite dessen ist natürlich, dass sich Filterblasen und Echokammern massiv verfestigen, wenn man keine Inhalte mehr zu sehen bekommt, die außerhalb des eigenen Erfahrungs- und Interessenhorizonts angesiedelt sind. Zudem ist der Manipulation durch Verschweigen von unliebsamen Inhalten so noch mehr Tür und Tor geöffnet, als dies eh schon zurzeit der Fall ist.

Aber solche Gedankenspiele, die in Form von personalisierter Werbung schon umgesetzt werden, sind noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Ein Artikel auf der Webseite BR puls berichtet, dass in China gerade geplant wird, bis zum Jahr 2020 flächendeckend ein Bewertungssystem für sozial erwünschtes Verhalten einzuführen (ein interessanter kritischer Artikel von Götz Eisenberg, der auch die Bedenklichkeit der damit verbundenen Prangerfunktion anspricht, findet sich auf den NachDenkSeiten).

Damit werden dann alle Tätigkeiten von Menschen überwacht und erfasst, um dann daraus abzuleiten, ob sich jemand gesellschaftlich positiv oder negativ verhält, wobei Letzteres zu Sanktionen, Ersteres zu Vorteilen im alltäglichen Leben führen soll: Wer zu oft durch unerwünschtes Verhalten auffällt, der bekommt beispielsweise Schwierigkeiten, Kredite und Versicherungen zu erhalten, darf bestimmte Verkehrsmittel nicht mehr nutzen oder hat Nachteile bei der Anmietung einer Wohnung – im Endeffekt also ein vorprogrammierter sozialer Abstieg mit zunehmender Isolation.

Nun könnte man einwenden: „Ist doch prima, dann verhalten sich alle sozialverträglich, und die schlimmen Finger werden bestraft!“ Das mag theoretisch auch der Fall sein, in der Praxis hingegen ergeben sich da doch ein paar schwerwiegende Fragen: Wer bestimmt, welches Verhalten positiv und welches negativ bewertet wird? Werden Möglichkeiten bestehen, sich quasi Boni käuflich zu erwerben, um so Fehltritte mit Geldzahlungen auszubügeln? Wird es Manipulationsmöglichkeiten oder Fehler des Bewertungssystems geben?

Im Endeffekt erweist sich ein solches Bewertungssystem als Mittel der totalen diktatorischen Kontrolle über eine Bevölkerung: Man gibt bestimmte Werte vor, und alle müssen sich daran halten, und zwar in einer absoluten Art und Weise, da abweichendes Verhalten augenblicklich Sanktionen zur Folge hat, auch wenn dieses Verhalten nur rein subjektiv aus Sicht derer, die einen solchen Index erstellen, unerwünscht ist.

Das ist alles keine Science-Fiction, sondern befindet sich schon in der Umsetzung, und in einer globalisierten Welt ist China auch nicht so weit weg, wie es mancher denken mag.

Wir sollten also nicht den Fehler machen, die Fantasie der Datensammler zu unterschätzen, denn im Endeffekt geben wir ihnen mit unseren Daten in zunehmend größerem Maße eine umfassende Kontrollmöglichkeit und damit auch Macht über uns in die Hand. Wer weiß, wie dies noch genutzt werden kann …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

2 Gedanken zu „Ich hab ja nichts zu verbergen!“

  1. Da fällt mir spontan doch gleich eher die Türkei ein: Da sind mal eben zigtausend Leute wegen ihrer „möglichen politischen Gesinnung“ als Terroristen angeklagt und ohne Verurteilung eingesperrt. „Der soll die Linke gewählt haben. Ab in den Knast!“

    Dann sind da die Menschen, die in eine Rasterfahndung hineingeraten, weil sie mit jemandem telefoniert haben, der wiederum einen Terrorverdächtigen angerufen hatte (z. B. wegen einer eBay-Kleinanzeige). Und plötzlich steht der Verfassungsschutz im Haus, konfisziert Deinen PC mit dem Passwortsafe (kein Zugriff mehr auf alle möglichen Onlinedienste) und allen Kundendaten, und die selbstständige Unternehmerschaft ist mit einem Schlag dahin. Klar kommt raus, dass Du nichts mit den „bösen Jungs“ zu tun hast, und Du bekommst alle Deine Papiere und Deinen PC nach sechs Monaten zurück … wenn alle Kunden abgesprungen und alle Deine Kontakte verhört sind (der Arbeitgeber Deiner Frau hat wegen der Untersuchung auch beschlossen, die Probezeit doch nicht zu einer festen Anstellung umzuwandeln).

    Außerdem sei mal erwähnt, dass die Staaten mit dem größten Überwachungsapparat NICHT die sichersten sind (siehe z. B. USA oder Frankreich).

    Wer also nichts zu verbergen hat, der möge doch seine Vorhänge entfernen und Kameras in Schlafzimmer, Bad und Toilette installieren, damit das live ins Internet gestreamt wird.

  2. In seiner Kolumne auf Spiegel Online beschreibt Sascha Lobo eine weitere Dimension, die noch zur Datensammelwut hinzukommt bzw. auch darauf zurückgreift: der stetig wachsende Einfluss von künstlicher Intelligenz auf unser Leben.

    Dass wir auf diese Weise durch diverse Smart-Produkte unsere Autonomie Stück für Stück aufgeben und immer mehr so handeln, wie Maschinen uns das vorschreiben, ist in der Tat eine beängstigende Entwicklung.

    Zugegebenermaßen gibt es ja auch durchaus sinnvolle Funktionen bei dem Einsatz von künstlicher Intelligenz, von denen Lobo auch einige benennt, allerdings sollte diese Entwicklung doch von einer ausführlichen Debatte begleitet sein, wie weit wir tatsächlich unsere eigenen Handlungsoptionen einschränken lassen wollen. Zumal immer auch die Frage besteht, in wessen Sinne denn die von den Smart-Geräten mit künstlicher Intelligenz vorgeschlagenen oder sogar angeordneten Handlungsweisen sind: im Sinne des Endverbrauchers, der Herstellerfirma des Gerätes, des Staates oder der Gesellschaft?

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