Realität im virtuellen Raum entdecken

Die „unsozialen Medien“ gehören absolut nicht zu den Errungenschaften, die ich als positive Entwicklung in unserer technisierten Welt bezeichnen würde. Die Idee einer vernetzten Welt mit direktem Austausch mit entfernten Kulturen und unseren global ausgebeuteten Handelspartnern bietet zwar viele Möglichkeiten, aber diese gehen durch Hetze, Hass und Selbstdarstellung aus meiner Sicht leider unter. So hat sich eine potenzielle Möglichkeit zum direkten und medienunabhängigen Austausch zu einer vorgefilterten Werbeplattform entwickelt. Der Respekt einer persönlichen Begegnung bleibt auf der Strecke, und es bietet den oberflächlich agierenden „Digital Natives“ eine Menge Platz für die Darstellung einer Vorstellung ihrer Person (beruhend auf Konsum und Schein). Klar trifft das nicht auf alle zu. Du bist natürlich eine der wenigen Ausnahmen ;)

Nun ist mir eine lokale ausgerichtete Plattform begegnet, die dem Anspruch einer tatsächlichen Vernetzung in der Realität gerecht wird: Auf nebenan.de findet man seine wirklichen Nachbarn und kann die virtuellen Verabredungen dann in der Realität erleben. Eine Bekannte erzählte in einem Nebensatz, dass sie ihren alten PC sonst einfach an Nachbarn weitergibt. Das sei ganz einfach, weil sie dort schon mehrere Sachen verschenkt hat und auch einige Dinge ausgeliehen habe. Später im Auto redeten wir über ein Buch und sie erwähnte ihren Lesekreis: Dort einigen sich Nachbarn auf ein Buch, lesen dies und setzen sich dann zusammen und diskutieren Selbiges. Auch diese Aktivität ergab sich mit der genannten Plattform, wobei dort noch viele andere Aktivitäten initiiert und koordiniert werden. Spannend!

Das erinnerte mich an die Utopie aus dem Buch „Selbst Denken“ von Harald Welzer: Ein Mann möchte eine Bohrmaschine bei einem großen Versandhaus bestellen, als seine nach jahrelangem und ungenutztem Aufenthalt im Keller den Geist aufgibt. Vor Abschluss der Bestellung teilt ihm das Onlineportal mit, dass einer seiner Nachbarn diesen Artikel vor Kurzem erworben habe und ob man die Information, welcher Nachbar dies gewesen sein, für ein geringes Entgelt von drei bis vier Euro kaufen möchte (anstatt der Bohrmaschine, die wieder weitestgehend ungenutzt im Keller verrottet). Die Neugier des Nachbarn ist geweckt, wer sich wohl diese Profimaschine gekauft habe, und so geht die Geschichte ihren Gang: Die Nachbarn lernen sich näher kennen und teilen die Maschine (und gründen nebenher noch einen Nachbarschaftskreis für den Verleih anderer Geräte und Maschinen).

Da ich selbst bisher nur indirekt mit dieser Plattform in Kontakt getreten bin (und es aufgrund bestehender Vernetzung zu meinen Nachbarn und meiner beruflichen und familiären Auslastung auch mittelfristig dabei belassen werde), habe ich mal die Erfahrungen anderer Benutzer durchstöbert. Einen kleinen Eindruck liefert z. B. der Beitrag auf Wired von Jana Petersen aus Berlin, die mit der Plattform bereits nach vier Wochen eine aktivere und persönlichere Einbindung in ihre Nachbarschaft gewonnen hat. Beeindruckend und inspirierend!

Wer also Interesse an gemeinsamen Aktionen wie Stammtischen, Gärtnern, Lesekreise oder sonstigen Gruppen- oder Paaraktivitäten hat, findet hier eine Anlaufstelle. Auch für Kleinanzeigen zum Tausch, Verkauf oder Gesuch bietet sich der lokale Rahmen der Plattform an. Natürlich hängt die Anzahl der eingetragenen Nachbarn stark von der jeweiligen Region ab, aber ein Dorf mit 126 Einwohnern wird da auch weniger Bedarf haben als die anonymisierte Großstadt. Für mich eine der ersten Plattformen mit einem brauchbaren Mehrwert für die Gesellschaft: nebenan.de.

 

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Dirk

Jahrgang 1974, in erster Linie Teil dieser Welt und bewusst nicht fragmentiert und kategorisiert in Hamburger, Deutscher, Mann oder gar Mensch. Als selbstständiger IT-Dienstleister (Rechen-Leistung) immer an dem Inhalt und der Struktur von Informationen interessiert und leidenschaftlich gerne Spiegel für sich selbst und andere (als Vater von drei Kindern kommt dies auch familiär häufig zum Einsatz). Seit vielen Jahren überzeugter Vegetarier und trotzdem der Meinung: „Alles hat zwei Seiten, auch die Wurst hat zwei!“

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