Ein Hoch auf die Jugend

Wohin uns Bequemlichkeit und „Augen zu“ hinführen, zeigt uns die Jugend gerade auf. Und das ist gut so. Sicher, manch Vorwurf an uns Alte tut weh und führt zu reflexartiger Abwehrhaltung, aber solche Befindlichkeiten bringen uns nicht weiter. Wie wäre es stattdessem mit Zuhören und Solidarität?

Mitte 40 ist das klassische Alter für die gute alte Midlife-Crisis. Gemeinhin wird das mit nicht mehr ganz taufrischen Männern assoziiert, die „es noch mal wissen wollen“, plötzlich mit zu enger Lederjacke und geleastem Porsche auftauchen. Irgendwie albern. Ich habe mich natürlich auch gefragt, ob es bei mir (47) denn nun auch Zeit für eine Krise sei. So ganz taufrisch bin ich auch nicht mehr, und die Frage, was ich denn so erreicht habe und was ich denn überhaupt noch erreichen könne, steht an grüblerischen Tagen schon auch mal im Raum.

Aber es kommt sogar noch dicker. Neben der eigenen, persönlichen Lebens- und Leistungslage muss sich meine Generation dieser Tage noch viel mehr fragen: Was haben wir alle verbockt und wie konnte es überhaupt dazu kommen? Wenn junge Menschen sich, in dieser Menge erstmals seit vielen, vielen Jahren, protestierend auf die Straße stellen, sind wir gefragt, uns zu hinterfragen.

Gute Zeiten mit guten Errungenschaften

Aufgewachsen und weitgehend sozialisiert in den 1970er- und 1980er-Jahren, gehört diese (meine) Generation zu den ersten, die von hart erkämpften Errungenschaften profitieren konnten. Drei Beispiele dazu.

  • Antirassismus
    Der Nationalsozialismus wurde nicht mehr totgeschwiegen, sondern in der Schule ausführlich behandelt. Deswegen mag Rassismus in der Gesellschaft nicht verschwunden sein, aber es hat eine weitgehende Sensibilisierung dafür stattgefunden, und in der Folge waren rassistische Äußerungen zumindest in der Öffentlichkeit nicht akzeptabel.
  • Gleichstellung der Geschlechter
    Mehr oder weniger selbstverständlich war es, dass Mädchen und Jungen den gleichen Unterrrichtsstoff vermittelt bekamen, zur Uni gehen konnten, sich beruflich verwirklichen durften. Und das eben nicht nur formell, sondern auch gesellschaftlich akzeptiert (das eine bedingt ja bekanntermaßen nicht unbedingt das andere).
  • Umweltbewusstsein
    Umweltschutz wurde ein wichtiges Thema und fand eine breite Unterstützung. Was sich auch daran zeigte, dass eine „Turnschuhpartei“ wie die Grünen in den Bundestag einzog.

Was ist davon geblieben?

Pickt man sich diese drei Themen heraus, kann man von einer positiven gesellschaftlichen Entwicklung sprechen, oder? Doch nur 30 Jahre später hat sich vieles gedreht, und das ist nichts, was ich mir damals für die Zukunft erhofft hatte. Rassismus ist salonfähig geworden, die Gleichstellung der Geschlechter ist noch lange nicht da, wo sie sein könnte, und die Umwelt? Diese verheizen wir gerade ungehemmt für den „Markt“.

Bequemlichkeit und ihre Folgen

Die Gründe dafür sind vielschichtig, das ist mir klar. Ich erwähne hier auch nur einen Aspekt und den auch nur, weil er mich ganz persönlich betrifft bzw. die eigene Nase, an die ich mich fassen muss.

Ich bin bequem geworden und in der Folge blind.

Einigermaßen positiv oder beschwichtigend ausgedrückt, könnte man noch von Naivität sprechen. Etwas radikaler beschrieben, kann man auch von Blödheit reden. Oder Ignoranz. Oder Selbstgerechtigkeit.

Der größte Fehler besteht darin, zu glauben, Erreichtes habe auf ewig Bestand. Positive Errungenschaften als etwas Selbstverständliches anzusehen. Sich auf Lorbeeren auszuruhen und das kritische Auge zu vernachlässigen. Und das hat meine Generation getan.

Ich habe in diesem Zusammenhang übrigens wenig Lust, mich mit Ausweichmanövern à la „Ja, aber ich hab doch immer meinen Müll getrennt“ zu beschäftigen. Es ist selbstverständlich, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern auch immer engagierte Menschen. Aber man muss das Große und Ganze betrachten, das Ergebnis. Und das spricht nicht gerade für uns als Generation insgesamt.

Hoffnung am Horizont

Haben wir also alles falsch gemacht? Glücklicherweise kann ich das mit NEIN beantworten.

Denn das, was ich lange befürchtet habe, unsere Bequemlichkeit, unsere fehlende Kritik, die auf die Jugend abfärbt, scheint sich gerade nicht zu bewahrheiten. Wenn die Jugend aufbegehrt bzw. sich kritisch mit gesellschaftlichen und politischen Themen beschäftigt, dann kann ich nur folgern, dass sehr viele Eltern auch sehr viel richtig gemacht haben.

Die Jugend sieht das, was relevant ist: Die von mir oben benannten drei Themenbereiche sind aktueller denn je und eben nicht „abgehakt“ im Sinne von „das kommt nie wieder“ (Rassismus), „ist erledigt“ (Gleichstellung) und „wir machen da schon ganz viel“ (Umweltschutz). Nein, es sind Dauerbaustellen, die weiter beackert werden müssen. Und das von uns allen.

Beispiele, die inspirieren

Über „Fridays for Future“ wurde schon viel berichtet, und es wird auch weiterhin berichtet. Gut so. Die Schüler beweisen quasi täglich, dass dieses Engagement kein „Eintagsfliege“ ist.

Mir persönlich gefällt gerade auch sehr gut ein Buch von Sophie Passmann („Alte weiße Männer“). Diese gerade mal 25-jährige Frau schreibt sehr Kluges und Nachdenkenswertes über Feminismus, und ich bin inspiriert davon, dass und wie sie sich dieses Themas annimmt.

Auch begeistert es mich sehr, wie unser junger Gastautor Leon, gerade mal 19 Lenze alt, sich des Themas Rassismus annimmt und darüber hinaus noch vieler weiterer aktueller Themen, die er in der wöchentlichen Kolumne einer regionalen Zeitung treffsicher analysiert und auf den Punkt bringt.

Fazit

Jede Gesellschaft muss sich permanent hinterfragen und auch erneuern. Dazu braucht es Engagement, selbstverständlich aus allen Altersgruppen. Die Jugend spielt dabei immer eine zentrale Rolle, denn wenn nicht sie hinterfragt, verkrustete Strukturen kritisch betrachtet, wer soll es dann tun? Ich sage: Ein Hoch auf die Jugend von heute, die aufmischt, sich lautstark äußert. Sie verdient jede Unterstützung von uns Alten. Wir müssen ihnen zuhören und dann auch handeln. Positive Veränderung geht nur gemeinsam und solidarisch.

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Tina

Jahrgang 1972, Linkshänderin, mal nett, mal launisch, mag Nudeln, Vodka und Hunde. Meine Texte sind abhängig von Tagesform (siehe Stichwort "launisch") und Tagesaktualität. Grundsätzlich treiben mich Themen wie "Gerechtigkeit" und "Gemeinschaft" um bzw. wie wir als Gesellschaft gut miteinander leben können, ohne Hackordnung, ohne Menschen zurückzulassen.

3 Gedanken zu „Ein Hoch auf die Jugend“

  1. Mit allem hier Geschriebenen d’accor, nur mit deiner Selbstgeißelung nicht, wenn du von deiner eigenen Bequemlichkeit sprichst und sie uns suggerierst. Ja, wir sind bequem geworden, eigentlich gemacht worden, aber damit tragen wir keine Verantwortung und schon gar keine Schuld. Wir haben uns, wie von uns verlangt, angepasst und glaubten, das wir uns anpassen müssten, eben weil alles alternativlos wäre. Schuld sehe ich deshalb woanders, dort nämlich wo diese Ideologie des Neoliberalismus, auch wissenschaftlich unterlegt, zu einem Dogma gemacht worden ist. Schuld sehe ich bei denen, die professionell damit beauftragt in den Parlamenten, nur mehr in dieser Ideologie denken können. Schuld haben die aus sich geladen, die uns führten und damit verführten. Aber nicht bei uns. Bei uns sehe ich nur die Verantwortung dies jetzt zu ändern und da erfreut mich die Jugend und da ärgern mich die Alten und Jungen, die das anders sehen, die immer noch nicht begreifen, das sie Verntwortung zu übernehmen hätten. Und Schuld werde ich dann auch denen zuweisen, die halbherzig oder gar nicht hier unterstützen, aber erst in Zukunft und weder dir noch mir. Selbstreflexion ist gut und richtig, aber sie darf nicht immer nur von denen kommen, die sich nichts haben zu schulden kommen.

  2. Von „Selbstgeißelung“ ist hier keine Rede und ich möchte meinen Text auch nicht so verstanden haben. Auch die „Schuldfrage“ wird hier nicht insgesamt betrachtet, soll sie auch nicht an der Stelle, weil da doch mehr Komplexität hintersteckt, was ich auch angemerkt hatte. Selbstreflexion kann immer nur von einem selbst ausgehen (logisch), ich erwarte sie nicht von anderen, noch kann ich sie dazu nötigen. Die Übertragung meiner persönlichen Selbstkritik auf „meine Generation“ mag natürlich gewagt sein, aber warum nicht mal etwas provozieren. Letztlich geht es nur um meine Gedanken und den Wunsch, andere zum Nachdenken anzuregen.

    1. Die Provokation ist angekommen gewesen. Mea culpa Kommentare hatten ihr Übriges dazu beigetragen. Aber ich habe dir diese „Selbstgeißelung“ auch nicht vorgeworfen gehabt, deinen Artikel auch nicht als Aufruf dazu verstanden gehabt, wie auch, schrieb ich ja, dass ich mit dir d’accor gehe. Meinen Kommentar bitte deshalb als ergänzende und nicht als ablehnende Kritik zu verstehen.

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