Die Schwurbler als nützliche Systemschergen

In krisenhaften Zeiten, wie wir sie ja gerade unzweifelhaft haben, melden sich meistens auch vermehrt diejenigen zu Wort, die mit abstrusen Geschichten aufwarten und damit zur Schau stellen, dass sie die Einzigen sind, die durchschauen, was gerade so abgeht. Ich will nun gar nicht darauf eingehen, was die Beweggründe solcher Leute, die ich hier als „Schwurbler“ bezeichnen möchte, sein könnten, sondern vielmehr auf die Auswirkungen, die ihr Tun so hat – und zwar auch auf diejenigen, die ihnen nicht in ihre verstiegene Gedankenwelt folgen.

Zum Begriff „Verschwörungstheorie“ hab ich mich ja vor einigen Jahren schon mal kritisch in einem Artikel geäußert, und die damalige Kernaussage gilt nach wie vor – wenn nicht sogar zurzeit in besonderem Maße: Man muss schon deutlich unterscheiden zwischen kritischem Hinterfragen und abstrusen Hirngespinsten wie Chemtrails, Fantasien zur Hohl- oder Flacherde, Reptiloiden und ähnlichem Mumpitz. Und genau diese Unterscheidung wird gerade wieder viel zu selten gemacht, wenn nämlich tatsächliche Schwurbler, die meinen, Bill Gates, Angela Merkel oder wer auch immer hätten das Coronvirus in die Welt gesetzt oder es gäbe die Erkrankung Covid-19 überhaupt nicht, dazu genutzt werden, um Kritik am Krisenmanagement zu diskreditieren.

Allzu schnell heißt es bei Letzterem dann nämlich „Verschwörungstheorie!“, und die Kritiker werden fix mit den Schwurblern in einen Topf geworfen. Was ein m. E. ausgesprochen unlauteres Vorgehen ist. Gerade bei einem solchen Phänomen wie der Corona-Pandemie, wo sich der wissenschaftliche Erkenntnisstand andauernd ändert, finde ich es sogar fatal, andere Sichtweisen, wenn sie denn nicht vollkommen abstruses Geschwurbel sind, auf diese Weise zu unterbinden. Selbst der Virologe Hendrik Streek, der empirische Untersuchungen am ersten Corona-Hotspot in Heinsberg gemacht hat, wurde von vielen nach einem Auftritt bei Markus Lanz (ZDF) und seiner dort geäußerten Kritik an den Maßnahmen zur Eindämmung des Virus immer wieder als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet.

Und nun gibt es ja gerade einige Demos in Deutschland, die sich gegen die einschränkenden Maßnahmen der Regierung richten – und bei denen sich eben auch einige Schwurbler finden, die teilweise sogar als Initiatoren aufteten. Das ist nun für viele Medien (einige wenige Ausnahmen sind beispielsweise ein Kommentar von Franziska Langhammer in der Süddeutschen Zeitung oder ein von den NachDenkSeiten verbreitetes Facebook-Statement von Oskar Lafontaine), darunter leider auch nicht nur die „üblichen Verdächtigen“, sondern auch von mir geschätzte wie der Volksverpetzer, ein Anlass, um so sämtliche Kritiker am Krisenmanagement der Regierung als absurde Spinner hinzustellen.

Und gerade hier wäre Differenzierung notwendig, denn auf diese Weise räumt man den Schwurblern ja nicht nur mehr Einfluss ein, indem man sie als wichtiger und ihre Anhängerschaft als größer darstellt, als sie es eigentlich sind, sondern würgt auch einen wichtigen öffentlichen Diskurs mit dem blödsinnigen Totschlagargument „Verschwörungstheorie“ ab.

Dabei haben wir doch gerade in den letzten Jahren erlebt, dass es durchaus sehr reale Verschwörungen gibt. Dass beispielsweise die Finanzindustrie Gesetzestexte vorformuliert, die dann über in Ministerien eingeschleuste Mitarbeiter und unter Zutun von führenden Politikern (u. a. einigen Bundesfinanzministern) zu einem milliardenschweren Steuerraub führten, der zudem nach dem Auffliegen noch nicht mal adäquat geahndet wird, ist ja nun wohl schon etwas, das man als Verschwörung bezeichnen kann, oder? Zumindest waren in diese Cum-Ex-Geschichte reichlich Akteure involviert, die sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgesprochen (also verschworen) haben mit dem Ziel, sich selbst hemmungslos zu bereichern.

Dass dieser Vorgang für die Protagonisten kaum relevante Konsequenzen hatte und zudem immer wieder deutlich sichtbar wird, was mit Whistleblowern geschieht (z. B. Edward Snowden, Chelsea Manning, Julian Assange) und auch weiter geschehen könnte/wird (eben auch dank der deutschen Regierung, die ja effektiven Whistleblower-Schutz auf EU-Ebene blockiert, wo es nur geht; s. dazu hier), ist ja quasi eine Einladung zu konspirativem Vorgehen für Menschen mit genug materiellen Ressourcen und hinreichend wenig Skrupeln, was die persönliche Bereicherung angeht. Da braucht es dann auch keine komischen Organisationen (die von Schwurblern gern angeführt werden), sondern eben einfach nur eine gleich gelagerte Interessenlage.

Und genau dieser vom derzeitigen wirtschaftlichen System und der korrumpierten Politik profitierende Personenkreis ist nun derjenige, der auch von den Schwurblern profitiert, da diese bestens dafür geeignet sind, jede Kritik und jedes Hinterfragen im Keime zu ersticken und jeglicher Seriosität zu berauben. Was dann dazu führt, dass gerade die, die für sich in Anspruch nehmen, genau zu checken, was abgeht (im Gegensatz zu den „Schlafschafen“, wie Menschen, die ihren absurden Geschichten nicht folgen wollen, gern von Schwurblern genannt werden), und als Einzige das System zu hinterfragen, ebendieses System stabilisieren.

Eigentlich zum Lachen, wenn es nicht so tragisch, grotesk und alles andere als harmlos wäre …

Auffällig ist, dass viele, die solche Schwurbeleien plausibel finden, AfD-Jünger und andere Rechtsaußen sind. Aber das passt ja auch, denn Rassisten und Nationalisten neigen ja nun mal dazu, sich Sündenböcke zu suchen, um so (viel zu) einfache Erklärungen für komplexe Sachverhalte zur Hand zu haben. So ergibt sich dann auch eine weitere Parallele zu den AfD-Fans: Diese meinen ja auch, gegen das System zu sein, wirken dabei aber ausgesprochen systemstabilisierend, da sie den Neoliberalismus als Ursache der beobachtbaren Verwerfungen nicht infrage stellen und zudem noch allzu nützlich für das Teile-und-herrsche-Prinzip sind, sodass sie die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben – was wiederum denjenigen nützt, die das marode System auf Teufel komm raus aufrechtzuerhalten suchen, da sie davon materiell profitieren.

Daraus ergibt sich für mich dann die Frage, ob es nicht sogar angehen könnte, dass der eine oder andere Schwurbler genau dafür vom neoliberalen Establishment entlohnt oder anderweitig gefördert wird, um seinen Mumpitz zu verbreiten, der doch genau diesem Establishment so sehr nützt. Vorstellbar wäre das für mich schon (denn schließlich hat gerade die AfD gezeigt, dass sie genau weiß, wie man die Social-Media-Klaviatur erfolgreich bespielen muss), aber auch da werden sicher wieder etliche gleich „Verschwörungstheorie!“ bölken …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Ein Gedanke zu „Die Schwurbler als nützliche Systemschergen“

  1. Und gerade aktuelle offenbart sich eine weitere Facette der Nützlichkeit von der Schwubel-Fraktion für die Regierung: Die Corona-Demo in Berlin wurde verboten.

    Felix Zimmermann legt in einem Kommentar auf der Website von heute (ZDF) nachvollziehbar dar, warum das juristisch zwar o. k., aber politisch doch nicht so eine wirkliche Glanzleistung ist.

    In jedem Fall ist nun die Büchse der Pandora des Demo-Verbots unter Zustimmung weiter Teile der Bevölkerung geöffnet. Wenn so was erst einmal praktiziert wurde, werden die Proteste beim nächsten Mal schon weniger sein.

    Die Schwurbler sind also mal wieder hilfreiche Diener der Regierung bei deren Demokratieabbau.

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