Wirtschaftsunterricht in Baden-Württemberger Schulen

In einem Artikel der NZZ war vor ein paar Wochen zu lesen, dass an Baden-Württembergs Schulen vom nächsten Jahr an das Fach „Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung“ eingeführt werden soll. Dazu gibt es zu Recht kritische Stimmen, die auch in dem Artikel zu Worte kommen. Vor allem treibt die grün-rote Landesregierung hier die Ökonomisierung der Schulausbildung voran: Es geht in erster Linie darum, möglichst gut verwertbare Humanressoucen auszubilden.

Die Einführung dieses neuen Schulfaches ist im Prinzip nur die logische Fortführung von der Aktion „Unternehmer machen Schule“, in deren Rahmen Unternehmer an Baden-Württemberger Gymnasien kommen und dort ihre Sichtweise der Wirtschaft darlegen. Dass diese dann eher einseitig ausfällt, liegt auf der Hand, und auch die geplanten Unterrichtsinhalte des neuen Schulfaches lassen Themen wie prekäre Beschäftigung und Altersarmut vermissen – es wird also den Schüler ein überwiegend neoliberal geprägtes Bild vermittelt. Dass eine der Antriebsfedern für die Installation des Wirtschaftsunterrichts der angeblich Fachkräftemangel sein soll (eine Reportage zu diesem Märchen verlinkten wir ja schon mal an dieser Stelle), zeigt dann auch, wessen Interessen in erster Linie bedient werden sollen.

Mit der Einführung des G8-Gymnasiums und der Umwandlung der meisten Studiengänge hin zu Bachelor-/Master-Abschlüssen wurde das Bildungssystem in Deutschland schon massiv beschnitten: Es bleibt kaum noch Zeit, um den Kindern und Jugendlichen eine umfassende, zu kritischem Denken ermutigende Bildung zu vermitteln, sondern es müssen prüfungsrelevante Inhalte durchgepaukt werden. Nur noch der Leistungsgedanken steht im Vordergrund und nicht mehr die Muße und der Spaß am Lernen, Entdecken von Neuem oder Entwicklung sozialer Kompetenzen. Dass dabei Unternehmen schon jetzt in Form von Unterrichtsmaterial ordentlich Einfluss auf den Unterricht und die dort vermittelten Inhalte nimmt (wie exemplarisch LobbyControl hier am Beispiel der Deutschen Vermögensberatung aufzeigt), reicht der Arbeitgeberseite nun anscheinend nicht mehr, sodass ein eigenes Fach hermuss. Letztlich geht es wirklich nur noch darum, keinen selbstständig denkenden und umfassend gebildeten jungen Erwachsenen am Ende des Schul- und Universitätssystems zu haben, sondern eine Humanressource, die optimale Verwertbarkeit verspricht: also Fachidioten, die nicht aufmucken und gut funktionieren. Kleine Randnotiz: Dass diese Entwicklung nun mit einem Schulfach Wirtschaft ausgerechnet von einer grün-roten Landesreigierung derart vorangetrieben wird, ist sehr bezeichnend für den Zustand dieser Parteien bzw. die deutsche politische Landschaft generell.

Wie viel sinnvoller wäre es da doch, statt Wirtschaftskunde ein Fach Medienkompetenz an die Schulen zu bringen! Durch die rasante technologische Entwicklung sind immer mehr Menschen überfordert, überhaupt noch ansatzweise einen Durchblick zu behalten bei dem überwältigenden Medienangebot via Internet, sodass sie dann doch wieder bei BILD und Tagesschau landen und so ein recht eingeschränktes Bild von der Welt vermittelt bekommen. Unterrichtsinhalte könnten hier beispielsweise sein, wie man als Leser/Zuschauer Quellen verifiziert (z. B. mal einen Blick ins Impressum werfen, das ist erschreckenderweise nicht sehr verbreitet, wie ich immer wieder feststellen muss), zudem sollte ein Überblick über die Medienstruktur in Deutschland und auch in der Welt vermittelt werden. Weitere Themen: Wie sind die öffentlich-rechtlichen Medien aufgebaut und welche Interessenkonflikte können sich daraus ergeben? Wie erstelle ich meinen eigenen Blog und worauf muss ich dabei achten? Wie benutze ich Suchmaschinen für eine vergleichende Recherche? Anhand welcher Parameter kann ich die Seriosität einer Quelle beurteilen? Aber auch: Wie bewege ich mich souverän in sozialen Medien und wie gehe ich mit dort stattfindendem Mobbing oder Trollen um? Nicht zuletzt: Was ist ein angemessener Umgang, sowohl qualitativ als auch quantitativ, mit meinem Smartphone?

Das wären Inhalte, die nicht nur direkt dem Alltag von Kindern und Jugendlichen entspringen und insoweit eine direkte Relevanz für sie hätten, sondern auch umfassende Kompetenzen zur selbstständigen Information und damit zu eigenständigem, kritischem Denken fördern würden. Zudem wären Schüler so besser in der Lage, sich in der Welt zu orientieren und sich ein eigene differenziertes und begründetes Weltbild aufbauen zu können. Blöderweise sind das nun aber alles Fähigkeiten, die vonseiten der Arbeitgeberlobbys nicht so richtig gern gesehen werden, denn die stehen der Humanressourcen-Verwertbarkeit ja schon ein Stück weit im Wege. Und so gibt es nun also bald Wirtschaftsunterricht und wohl leider kein Fach Medienkompetenz. Schöne neoliberale Welt …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

2 Gedanken zu „Wirtschaftsunterricht in Baden-Württemberger Schulen“

  1. Reinhold Hedtke, Professor für Didaktik der Sozialwissenschaften und Wirtschaftssoziologie an der Uni Bielefeld, sieht das ganz ähnlich wie ich und zeigt in seinem Artikel für die Süddeutsche Zeitung auf, dass das Thema Wirtschaft schon ausreichend im Unterrichtskanon vorhanden ist und keine Separation in Form eines eigenen Schulfachs Wirtschaftsunterricht benötigt. Dies wird seiner Ansicht nach nur von Lobbyverbänden und deren Thinktanks gefordert. Sein Fazit:

    Ein solches Fach zielt nicht auf allgemeine Bildung, sondern auf besondere Interessen. Es ist überflüssig.

  2. In einem Artikel der RP Online wird berichtet, dass Sigmar Gabriel sich unisono mit dem Vorsitzenden der Initiative „Wissensfabrik“ anlässlich deren zehnjährigen Bestehens dafür ausspricht, das Schulfach „Ökonomische Bildung“ generell in Deutschland einzuführen. Ein Blick auf den Wikipedia-Eintrag dieser Initiative offenbart, dass es sich dabei um eine reine Unternehmerorganisation handelt. Prima, dass sich Gabriel als Sozialdemokrat so hemmungslos hinter derartig einseitige Interessen stellt – aber das sind wir von ihm ja auch nicht anders gewohnt, seit der den Fiffi für Merkel machen darf.

    Mal abgesehen davon, dass so auch die hier schon geäußerten Befürchtungen bezüglich der Ausrichtung dieses Faches bestätigt werden …

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