Ein Rückblick aufs Jahr 2023

Wie schon in den letzten Jahren, so kann ich auch dieses Jahr meinen Jahresrückblick mit dem Fazit vom Vorjahr beginnen und feststellen, dass sich eigentlich nichts zum Positiven gewandelt hat …

So endete ich im letzten Jahr:

Das Wirtschaftssystem kollabiert, wird aber dennoch nach wie vor als alternativlos angesehen. Die planetare Biosphäre kollabiert zeitgleich, was schon mal ein extrem ungünstiges Timing ist, da beide Vorgänge mit extremen Verwerfungen verbunden sind. Und viele Menschen wenden sich dann verängstigt rechten Rattenfängern zu.

Keine günstigen Aussichten für 2023 …

Tja, und genau das kann man nun wieder konstatieren. Der Rechtsruck im Lande (und leider nicht nur da) geht unvermindert weiter und wird immer offensichtlicher, und das eben nicht nur bei der AfD, sondern auch bei den anderen Parteien. Und die Katastrophen aufgrund der Klimakrise setzen sich auch weiter fort.

Letztere durfte ich dieses Jahr sogar am eigenen Leib erfahren, nämlich bei der Sturmflut Ende Oktober, die weite Teile der Ostseeküste heimgesucht hat. In unserem Ferienhaus an der Geltinger Bucht konnten wir schon seit Jahren feststellen, dass die Stürme heftiger und häufiger auftreten als noch vor einigen Jahren – also genau das, was ja auch die Klimaforscher als Folge der globalen Erwärmung prognostiziert haben.

Was dann allerdings jetzt über uns hereinbrach, war dann noch mal ein ganz anderes Kaliber (das habe ich ja auch schon vor zwei Monaten in einem Artikel geschildert). Und für uns ging das noch relativ glimpflich ab, wenn man sieht, was beispielsweise in Libyen los war nach den sintflutartigen Regenfällen. Dort gab es nämlich Tausend Tote zu beklagen.

Solche „Jahrhunderereignisse“ gibt es mittlerweile ja in jedem Jahr gleich mehrere, ich denke da nur an die Überschwemmungen in Pakistan 2022. Oder an die Waldbrände in Kanada und Australien. Oder, oder, oder …

Das Jahr 2023 war dann auch das wärmste seit Beginn der Klimaaufzeichnungen. Und es ist nicht zu erwarten, dass sich dieser Trend umkehrt, denn nach wie vor wird Wachstum, Wachstum und noch mal Wachstum postuliert. Was ja leider kontraproduktiv ist, wenn man die CO2-Emissionen verringern möchte. Aber das ist den neoliberal-kapitalistischen Betonkopfideologen leider vollkommen egal.

Denn deren Wirtschaftssystem – oder besser: Religion, so irrational wird das vergöttert – kollabiert ebenfalls immer offensichtlicher. Man hat eben ein Wirtschaftssystem geschaffen, dass nicht nur immer wieder Krisen produziert, die es dann nicht löst (schon gar nicht nachhaltig), sondern nur zur verschärften Umsetzung der eigenen Agenda nutzt, sondern das auch noch extrem fragil ist aufgrund der globalen Lieferketten.

Das führt dann nicht nur zu Energieproblemen, wie aufgrund des Ukraine-Krieges zu beobachten, sondern auch zu immer häufiger auftretenden Lieferengpässen. Ich stehe zumindest dauernd im Supermarkt und kann Produkte, die es sonst immer problemlos gab, nicht mehr erwerben, weil die gerade nicht geliefert werden können. Was bei Lebensmitteln ein bisschen ärgerlich ist, wird bei Medikamenten dann schon lebensgefährlich – meine Frau kann ein Lied davon singen, dass sie ständig Patienten auf andere Arzneien umstellen muss oder gar nicht versorgen kann.

Dadurch wird dann für viele Menschen deutlich sichtbar: Da läuft was nicht mehr rund. Das Grundversprechen des Kapitalismus, dass es der kommenden Generation besser gehen wird als der aktuellen, kann nicht mehr eingehalten werden, und das sorgt für Verunsicherung. Und eine verängstigte Bevölkerung ist leider auch immer anfällig für die simplifizierten Parolen und Versprechungen von Rechtsextremen. Wie man ja leider gerade sehen kann …

Damit meine ich nicht nur, dass die AfD immer mehr Zuspruch bei Wahlen erhält und mittlerweile auch schon mal Posten wie Landrat und Bürgermeister besetzt, sondern auch das Verhalten der anderen Parteien, die selbst im Zuge dieser Entwicklung zunehmend inhaltlich nach rechts rücken.

Beispiele gibt es dafür leider mehr als genug. Die FDP ist ja nun schon lange jenseits von Gut und Böse, aber wenn man zurzeit liest, wie diese und ihre Anhänger sich in den sozialen Medien präsentieren, da kann einem ganz gepflegt schlecht werden: AfD-Gelaber in Reinkultur, gepaart mit unverhohlenem (und gern auch immer wieder von BILD und Co. geschürtem) Hass auf Bürgergeldempfänger, denen das Schwarze unter den Fingernägeln nicht gegönnt wird. Übrigens interessanterweise vor allem von denjenigen, die jede Diskussion über Gerechtigkeit mit debilem „Neiddebatte“ abzukanzeln versuchen.

Aber leider ist die FDP ja der dominante Faktor der derzeitigen Bundesregierung (auch wenn deren verkorkster Anhang das weitestgehend anders sieht und sich über die vermeintlich „grüne Politik“ aufregt), und so findet Klimaschutz auch so gut wie gar nicht statt. Und wenn man dann schon mal dabei ist, dann kann man ja auch vonseiten der SPD und Grünen offen rechte Positionen vertreten, so zum Beispiel in der Asyldebatte, wo doch tatsächlich der Sozen-Kanzler Scholz auf dem Spiegel-Titel fordert: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“ Wow, lupenreines AfD-Sprech, oder? Die EU-Asylreform wird dann auch von der Bundesregierung mitgetragen, obwohl dadurch die Menschenrechte von Geflüchteten massiv beeinträchtigt werden. Immerhin sind sechs Mitglieder der Grünen, die selbst einen Fluchthintergrund haben, schon aus der Partei ausgetreten deswegen – die wollen diesen Rechtsruck nicht mitmachen (s. hier).

Und dann wird Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auch noch für eine Rede zur Eskalation in Nahost gefeiert, in der er offen rassistische Motive bedient, indem er meint, dass sich alle Muslime gefälligst von der Hamas zu distanzieren hätten. Wow – dass so was kaum noch für Aufsehen sorgt und sogar überwiegend positiv aufgenommen wird, zeigt, wie weit rassistische Haltungen mittlerweile normal geworden sind in Deutschland.

Von der Linken ist leider kaum noch was zu erwarten, nachdem die Partei sich nun gespalten hat. Sahra Wagenknecht hat natürlich einiges an Strahlkraft, allerdings sind mir da doch auch immer mehr Aussagen von ihr übel aufgestoßen, die vor allem deutlich machen, dass eine ökologische Politik mit ihrer Partei wohl nicht zu machen sein dürfte.

Dann ist da noch die CDU mit ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz, der vor allem auch immer wieder damit auffällt, dreist Lügen zur üblen Stimmungsmache in die Welt zu setzen, so zum Beispiel, dass sich Geflüchtete hier die Zähne schön machen lassen würden, was Deutschen so nicht zustände. Gut, Merz war schon immer sehr weit rechtsaußen, aber mittlerweile ist der Typ so was von ungeschminkt auf AfD-Kurs, dass man sich nicht wundern sollte, wenn es bald irgendwo die erste schwarz-blaue Koalition gäbe. In Thüringen kooperiert man ja schon ständig gemeinsam mit der FDP mit den Blaubraunen, da ist eine offizielle Zusammenarbeit ja nur noch ein kleiner Schritt.

Das Schlimme daran ist ja auch, dass solche Lügen wie von Merz komplett folgenlos bleiben. Da gibt es dann mal ein bisschen Aufregung – und das war’s. Gut, wie sind ja aus den letzten Jahren vor allem von der CDU einiges gewohnt an politischen Fehltritten, die keine Konsequenzen haben (Scheuer, Spahn, Amthor, Altmaier, Klöckner …), und letztlich kann man natürlich auch nicht so viel erwarten von einer politischen Kultur, die „Mister Erinnerungslücke“ Olaf Scholz auf den Kanzlersessel spült. Aber mittlerweile hat sich da eine Hemmungslosigkeit und Schamlosigkeit breitgemacht, sodass gar nicht mehr versucht wird, den Schein von Distanz zu den Vermögenden zu wahren. Siehe beispielsweise Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki von der durch und durch korrupten FPD, der sich und seine Frau schön auf Luxuskreuzfahrten einladen lässt und dabei anscheinend noch nie irgendwas von Dingen wie einer Vorbildfunktion gehört hat, oder die Minsterialrätin aus dem Bundesfinanzministerium, die auf Veranstaltungen spricht, in denen es darum geht, Vermögenden Tipps zu geben, wie man sich noch besser vor Steuerzahlungen drücken kann.

Und dann war da ja auch noch Hubert Aiwanger – als junger Mann ein lupenreiner Neonazi und Antisemit, jetzt „nur noch“ Rechtspopulist der Freien Wähler und Vizeministerpräsident von Bayern. Selbst als nun seine schäbige Vergangenheit ans Licht kam, hatte das keinerlei Konsequenzen für ihn – ganz im Gegenteil. Nicht nur, dass er im Amt bleiben konnte, bei der nachfolgenden Wahl gab es sogar noch Zugewinne für seine Partei. Die Deutschen scheinen also nationalsozialistisches Gedankengut in immer größerem Maße zu goutieren.

Dass der neoliberale Kapitalismus Rechtspopulismus hervorbringt, wird mittlerweile schon von Wissenschaftlern wie dem Historiker Philipp Ther begründet vorgetragen (s. hier), und das ist ja nun wirklich nicht nur bei uns, sondern überall auf der Welt auch zu beobachten: Italien hat eine faschistische Regierung, Polen hatte jahrelang unter der rechten PiS zu leiden, bevor sie dieses Jahr abgewählt wurde, Österreich hatte mit Strache einen Faschisten als Vizekanzler, in Frankreich könnte demnächst Marine Le Pen Präsidentin werden, in Skandinavien mischen Rechtsextreme immer mehr in den Regierungsgeschäften mit, die Republikaner in den USA sind mittlerweile auch jenseits von Gut und Böse, Modi führt Indien in Richtung eines hindunationalistischen Faschismus, Orbàn in Ungarn …

Das finde ich schon ziemlich bedenklich, vor allem wenn man sich klarmacht, dass Rechtsextreme mit Sicherheit keine Lösungen für die Klimakrise oder die zunehmenden sozialen Verwerfungen haben. Und im Zweifelsfall dann eben auch, wie gerade in Gaza zu beobachten, einfach auf Menschenrechte pfeifen, wenn es der eigenen Agenda dient. Die rechtsextreme israelische Regierung schießt ja nun mit ihrem Massaker an Tausenden palästinensischen Zivilisten sehr weit über das Ziel der Selbstverteidigung nach dem bestialischen Angriff der Hamas hinaus, finde ich.

Aber wenn man das kritisiert, dann ist sich ja selbst ein ausgewiesener Antisemit wie Hubert Aiwanger nicht zu blöd, den Vorwurf des Antisemitismus rauszuhauen. Woran man dann sieht, wie sehr entrationalisiert der politische Diskurs hierzulande mittlerweile ist. Und in einer solchen Atmosphäre wird es für die Bürger immer schwieriger, die rationalen Entscheidungen zu treffen, die eigentlich notwenig wären, um den neoliberalen Vernichtungsfeldzug gegen die Natur, die Menschen und den gesamten Planeten noch zu stoppen.

Oder um es kurz zusammenzufassen: Zunehmende Skrupellosigkeit trifft auf zunehmende Verblödung.

Einen Hoffnungsschimmer mag ich insofern leider nicht mehr auszumachen, daher bleibt mir nur ein Fazit: Mir graut vor dem, was da kommen wird …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Ein Gedanke zu „Ein Rückblick aufs Jahr 2023“

  1. Ja, mir graust es auch ein wenig. Aber dann wiederum denke ich: Wir bekommen als Gesellschaft das, was wir uns als Gesellschaft verdient haben, oder? Wenn wir also still halten (stumpf wählen, stumpf konsumieren und stumpf agieren) und weiter den reichen und mächtigen Personen beim Lenken zuschauen (weil unsere Schäfchen noch trocken genug stehen), werden wir das erhalten, was man als Zaungast eben bekommt: Schlechte Aussichten.

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