Nicht nur schwarz und weiß

Wolfram Weimer, Staatsminister für Kultur und Medien, zudem reaktionärer Rechtsaußen in der CDU, aber eben auch ein Buddie von Bundeskanzler Friedrich Merz (und deswegen vermutlich in seinem Amt gelandet), möchte bei der schlechtesten Bundesregierung aller Zeiten auch nicht hintenanstehen und haut selbst mal einen schönen Schwachsinn raus: Er verbietet das Gendern in der Kommunikation des Bundeskanzleramts. Bei den Diskussionen dazu konnte ich ein interessantes Phänomen beobachten, dass leider typisch für unsere Zeit ist.

Ich finde es ja vor allem albern, dass Leute, die behaupten, man würde ihnen durchs Gendern verbieten, wie sie sprechen dürften, nun gutheißen, dass anderen Menschen verboten wird, so zu sprechen, wie sie es möchten. Ich selbst gendere auch nicht (warum das so ist, hab ich vor gut drei Jahren schon mal in einem Artikel beschrieben), rege mich aber auch nicht darüber auf, wenn andere das machen. Soll doch jeder nach seiner Fasson glücklich werden damit – leben und leben lassen eben. Aber das scheinen viele so nicht zu sehen, denn für die gibt es da nur schwarz und weiß.

Wenn man selbst nicht gendern mag, dann soll das auch allen anderen verboten werden – so zumindest geben das viele Aussagen zu dem Thema wieder. Da wird dann auch gern behauptet, man würde ja mittlerweile zum Gendern gezwungen, was definitiv nicht der Fall ist (und was ich auch nicht gutheißen würde). Also gibt es da nur ein Entweder-oder für diese Leute, keine Grautöne dazwischen. Was soll so was? Auf diese Weise wird man schließlich Problemen nur selten gerecht.

Aber diese Denkweise findet sich auch bei anderen Themen wieder. Ich halte beispielsweise den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj für einen korrupten Oligarchenzögling (so wie es viele Medien vor dem Februar 2022 auch sahen – s. dazu hier). Auf der anderen Seite habe ich auch null Sympathien für den russischen Präsidenten Wladimir Putin – und schon mal erst recht nicht seit seinem Angriffskrieg auf die Ukraine. Auch hierbei hab ich oft bemerkt, dass viele nur in einem Schwarz-weiß-Schema denken: Selenskyj ist super, Putin ist böse. Wenn man solchen Leuten dann damit kommt, dass Selenskyj auch kein lupenreiner Demokrat ist und dass unter seiner Regierung im Osten des Landes schon ein paar Jahre vor dem russischen Angriff permanent Krieg geführt wurde, dann gilt man oft gleich mal als „Putin-Knecht“. Auch wenn ich für mich sagen kann, dass ich Putin schon reichlich eklig fand, als viele ihn wegen seiner Gaslieferungen hierzulande noch hofiert haben.

Es braucht da offensichtlich für viele eine simplifizierte Sichtweise, wo es einen Guten und einen Bösen gibt – und nichts dazwischen. Interessanterweise sind da ja mittlerweile schon viele Hollywood-Filme weiter …

Bei einem anderen aktuellen Konflikt sieht das ganz ähnlich aus: Das Vorgehen von Israel in Gaza finde ich indiskutabel, und das, ohne der Hamas auch nur ansatzweise irgendwas abgewinnen zu können oder gar Sympathien für die zu hegen. Vielmehr sehe ich das Problem bei diesem Konflikt vor allem darin, dass die betonköpfigen Hardliner auf beiden Seiten das hasserfüllte Sagen haben. Und was die Vernichtungsfantasien angeht, stehen in Benjamin Netanjahus in weiten Teilen rechtsextremer, faschistischer und rassistischer Regierung etliche der dort Versammelten der Hamas kaum in etwas nach.

Aber auch hier gilt für viele die Schwarz-weiß-Einteilung: Wenn man Kritik an den Massakern in Gaza übt, dann ist man ein Antisemit, wenn man darauf hinweist, dass die Hamas ein destruktiver Haufen von Verbrechern ist, dann ist man ein Zionist. Mir ist es schon passiert, dass ich an einem Tag in zwei verschiedenen Diskussionen sowohl als das eine als auch das andere beschimpft wurde, und das, obwohl ich beide Male eigentlich den gleichen Standpunkt vertreten habe. Grotesk, oder? Aber Grau sieht halt für diejenigen, die nur Schwarz wahrnehmen, eher wie Weiß aus, wohingegen die Weiß-Wahrnehmer das dann schon als Schwarz sehen. Konstruktive Diskussionen sind so nur leider nicht möglich.

Ganz ähnliches Thema: die israelischen Angriffe auf den Iran. Die dort regierenden Mullahs finde ich abscheulich, allerdings gilt auch für solche Typen das Völkerrecht, und das besagt eben, dass man nicht einfach Raketen in irgendein anderes Land reinschießt in kriegerischer Absicht. Denn auch dort sterben dann Zivilisten, die nun vielleicht sogar selbst gar nicht viel für ihre Regime übrig hatten. Allerdings wurde eine Schwarz-weiß-Sichtweise hierbei dann sogar von höchster Stelle, nämlich vom Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), befeuert, als er davon schwafelte, dass Israel nun die „Drecksarbeit für uns“ gemacht hätte. Und dafür bekam er dann auch durchaus viel Zustimmung, so nach dem Motto: „Ist doch gut, wenn die Mullahs im Iran beseitigt werden!“ Tja, nur dass man auf diese Weise in der Regel ein Regime nicht beseitigt, sondern oft sogar stärkt, weil dann nämlich einfacher auf einen äußeren Feind fokussiert und so von innenpolitischen Problemen abgelenkt werden kann.

Um noch mal ein paar weniger kriegerische Beispiele zu bringen: Es ist für viele auch unvorstellbar, dass man die Energie- und Verkehrswende aus Klimaschutzgründen für eine wichtige Sache hält, aber E-Autos nicht so viel abgewinnen kann. Und dann soll es auch noch Leute geben, die das so sehen und noch nicht mal die Grünen wählen – sapperlot! Da ist dann der Schwarz-weiß-Einteiler schnell mal überfordert, denn eigentlich sollten doch alle Linksgrünen E-Autos ganz super finden, oder? Tja, auch hier ist es mal wieder nicht so einfach, wie BILD und Co. es die Menschen glauben machen möchten.

Genauso können viele es nicht nachvollziehen, dass man sowohl Kritik an öffentlich-rechtlichen Medien, beispielsweise aufgrund von einseitiger Berichterstattung oder Themenauswahl, üben kann, aber denn ebendiese öffentlich-rechtlichen Medien für eine grundsätzlich gute Sache hält, da sie in einer Demokratie eine wichtige Funktion erfüllen. Der Schwarz-weiß-Denker schreit dann lieber „Lügenpresse!“, wenn ihm etwas nicht in den Kram passt, und damit hat es sich dann.

Und da könnte man noch einiges Weiteres aufführen: Ich kann Veganismus oder Vegetariertum gut finden, dabei aber selbst durchaus noch ab und zu Fleisch essen. Das passt bei vielen auch schon nicht mehr ins Denkschema rein, denn wenn ich beispielsweise verlauten ließ, dass ich gern Fleischersatzprodukte esse und diese zudem auch in der Regel nicht „chemischer“ sind von den Inhaltsstoffen her als viele Fleischprodukte, bin ich schon oft für einen Vegetarier gehalten und entsprechend angepflaumt worden, dass ich ja anderen den Fleischkonsum verbieten wolle. Will ich gar nicht, wobei ich es schon schön fände, wenn mehr Menschen sich mal einen Kopf machen würden, ob wirklich so oft Fleisch auf den Tisch kommen muss. Aber verbieten? Nö, mit Sicherheit nicht.

Ich besitze ja auch nach wie vor kein Smartphone, da ich den Dingern nichts abgewinnen kann und sie für Verblödungsmaschinen halte – worin ich immer wieder bestätigt werden, wenn ich haufenweise Leute auch zu wenig passenden Gelegenheiten in Shrimphaltung damit rumlaufen oder -sitzen sehe. Wie dem auch sei, nun bekomme ich öfter zu hören, dass ich ja wohl zurück in die Steinzeit möchte. Aha – deswegen betreibe ich beispielsweise auch einen Blog im Internet, und das schon seit einigen Jahren. Und deswegen arbeite ich auch zu nahezu 100 % online. Und ich informiere mich auch vor allem im Internet. Aber nicht jedem technischen Trend hinterherzulaufen und einfach mal für sich festzustellen, dass bestimmte Dinge dadurch nicht besser werden (Streaming ist beispielsweise auch so eine Sache, die mich gar nicht anprickelt), wird dann mit genereller Technikfeindlichkeit gleichgesetzt. Schwarz und weiß halt …

Auch ist es durchaus möglich, dass man das Frauenbild von konservativen Muslimen kritisiert und gleichzeitig dafür plädiert, das Asylrecht wieder mehr zu stärken (oder gar zu erweitern, z. B. in Bezug auf Klimaflüchtlinge), als es weiter abzubauen. Oder dass man die Vorteile freien Unternehmertums durchaus kennt und zu schätzen weiß, gleichzeitig aber der Ansicht ist, dass es dafür dann auch deutliche Regulierungen des Wirtschaftssystems oder vielleicht sogar gleich ein neues Wirtschaftssystem bräuchte (weswegen man nicht gleich ein Sozialist oder Kommunist sein muss). Oder dass man vor ein paar Jahren COVID 19 als eine gefährliche Krankheit anerkannte, die Berichterstattung darüber in weiten Teilen hingegen recht fragwürdig und das „Krisenmanagement“ der Bundesregierung reichlich ungeeignet fand – und das, ohne AfD-Jünger oder Querdenker zu sein. Oder, oder, oder …

Leider begegnet mir diese Schwarz-weiß-Denkweise zunehmend häufiger in letzter Zeit. Hier scheinen die sogenannten Polarisierungsunternehmer (wie in dem empfehlenswerten Buch „Triggerpunkte“ von Steffen Mau et al. beschrieben – s. hier) ganze Arbeit zu leisten, sodass viele Menschen vor allem auf Konfliktlinien und Gegensätze fixiert sind, anstatt mal zu versuchen, ein differenziertes und begründetes Gesamtbild in Augenschein zu nehmen. Und dann vielleicht zu ergründen, wo man sich denn bei den Grautönen einander annähert bei unterschiedlichen Sichtweisen.

Bei den vielen komplexen Problemen, die wir heutzutage in unserer Welt haben, wäre das nämlich ausgesprochen wichtig.

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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