Liane Bednarz und Christoph Giesa: Gefährliche Bürger

„Die neue Rechte greift nach der Mitte“, so der Untertitel dieses Buches, und das ist ja zurzeit ein brandaktuelles Thema, sodass ich mit großem Interesse an die Lektüre herangegangen bin. Auch dass die beiden Autoren laut Umschlagtext „keine Linken“ sind – Liane Bednarz steht der CDU, Christoph Giesa der FDP nahe -, macht neugierig, denn derartige Gesellschaftskritik wird ja üblicherweise aus einer anderen politischen Ecke formuliert. Leider erweist sich dies jedoch als größter Schwachpunkt des Buches, denn es gelingt Bednarz und Giesa nicht, über ihren eigenen ideologischen Schatten zu springen, sodass eine Analyse, warum immer mehr Menschen aus der sogenannten bürgerlichen Mitte nach rechts abdriften, nur rudimentär stattfindet.

Doch zunächst mal zu den positiven Aspekten des Buches, denn die hat diese gründlich recherchierte Arbeit durchaus zu bieten. So werden die Ursprünge der Rechtskonservativen Bewegung in Deutschland seit den 1920er-Jahren aufgezeigt und die inhaltlichen Parallelen zur heutigen Bewegung um AfD, Pegida und Co. dargestellt, sodass die Tradition, in der die rechten Meinungsführer stehen, gut nachvollziehbar wird. Drüber hinaus werden die Vernetzungen führender Personen der rechten Szene beschrieben, ihre immer wiederkehrenden Argumentationsmuster, indem sie sich selbst als Opfer darstellen, aufgedeckt, und auch einige Beispiele für Autoren mit rechtem Gedankengut in nicht als rechtsextrem einzustufenden Medien präsentiert (ausführlich wird sich zum Beispiel mit Matthias Matussek von der Welt beschäftigt). Ebenfalls wird der seit einigen Jahren zunehmend stärkere Rechtsdrall der Achse des Guten beschrieben, merkwürdigerweise ohne jedoch auf Achse-Führer Henryk M. Broder einzugehen, der ja nun schon oft genug durch rassistische, homophobe und sozialdarwinistische Ausfälle auf sich aufmerksam gemacht hat. Auch die Reichsbürgerbewegung und rechte Kräfte in kirchlichen Kreisen werden ausführlich beleuchtet, und natürlich darf eine Beschäftigung mit der AfD nicht fehlen, es werden die rechten Akteure vorgestellt, die ja nun seit einiger Zeit eindeutig das Ruder in der Partei übernommen haben. Insofern kann man sich mit „Gefährliche Bürger“ einen guten Überblick über die derzeitige politische und publizistische rechte und rechtskonservative Szene in Deutschland verschaffen.

Aber damit hört es dann auch leider schon auf, denn eine Analyse, warum immer mehr Menschen aus der sogenannten „bürgerlichen Mitte“ auf einmal rechte Thesen vertreten und sich mit rassistischen Äußerungen hervortun, bleibt leider aus. Die Rechten sind halt die in den aufgezeigten Netzwerken agierenden Bösewichte, und weil die dabei sehr fleißig sind, machen eben auch viele mit. Dass Menschen, denen es im Wesentlichen gut geht, nicht so ohne Weiteres aufwiegeln lassen, kommt den Autoren nicht in den Sinn. Stattdessen wird recht deutlich festgestellt, dass die Deutschen ja gar keinen Grund hätten, sich zu beklagen:

Eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt, kein Krieg seit 1945, Exportweltmeister, Heimat einiger der größten Unternehmen auf dem Globus, eine der höchsten Lebenserwartungen weltweit – ganz so schlecht kann es uns in den letzten Jahrzehnten wohl doch nicht ergangen sein. Ach ja, Fußballweltmeister waren wir auch noch ein paarmal, das darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. (S. 190)

Das ist neoliberale Rhetorik in Reinkultur! Klar, für die Vorstände von exportorientierten Unternehmen mag das so als Erfolgsgeschichte gelten, dass hier im Land für die meisten Menschen dann allerdings doch nicht alles so zum Besten bestellt ist, habe ich ja schon vor ein paar Monaten in einem Artikel hier auf unterströmt dargestellt. Und genau hier zeigen sich die beiden Autoren auch komplett betriebsblind: Sarrazin und Pirincci werden zwar zu Recht als Brandstifter beschrieben, die eine Verrohung der Diskussionskultur bei ihren Anhängern befördert haben, aber deren neoliberaler Background bleibt unerwähnt. Selbst wenn da sozialdarwinistisches Gedankengut von Sarrazin oder dem AfDler Alexander Gauland beschrieben wird, wird keine Parallele zum neoliberalen Mantra der angeblichen Leistungsgesellschaft gezogen, sondern dies nur als Ausdruck einer rechten Gesinnung gesehen. Auch beschreiben die Autoren, dass die Diskriminierung einer gesellschaftlichen Gruppe dazu führt, generell auch andere Gruppen abwertend zu beurteilen, aber der Rückschluss, dass hier der Neoliberalismus mit der Abwertung von Nichtleistungsträgern genau so eine Stigmatisierung betriebt, wie sie im völkisch-rassistischen Denken üblich ist, wird nicht gezogen.

Stattdessen wird immer mal wieder ein wenig unmotiviertes Russland-Bashing betrieben. Klar, Putin ist kein toller Typ, aber was hat das nun unbedingt mit der Radikalisierung des deutschen Bürgertums zu tun? Zumal wenn dann noch solche Quellen wie ein Artikel von Joachim Bittner von der Zeit (genau, das ist der Journalist, der mit seinem Chef Josef Joffe mit einer Klage gegen die Macher von Die Anstalt im ZDF, als diese den beiden ihre Nähe zu transatlantischen Lobbygruppen nachgewiesen haben, so derb auf den Bauch gefallen ist) herangezogen werden. Dafür werden dann auch reichlich undifferenziert sämtliche alternativen Medien, die sich vor allem als Blogs u. Ä. übers Internet verbreiten, recht pauschal als rechtslastig abgestempelt. Und es geht leider noch populistischer, und zwar wenn der Versuch von Alexander Gauland von der AfD, im brandenburgischen Wahlkampf in diesem Jahr Wähler der Linken anzusprechen, so kommentiert wird:

Aber was zählen schon Mauertote und Stasigefängnisse, wenn man auf Stimmen hoffen kann?

Damit begeben sich die Autoren nun auf das Niveau der „Zeitung“, die wohl mit ihrer plumpen Hetze gegen Ausländer, Muslime, Hartz-IV-Empfänger und „faule Griechen“ einen erheblichen Anteil an der vergifteten, von Ressentiments erfüllten Atmosphäre in Deutschland beigetragen hat – und ruinieren sich damit ein Stück weit ihre wirklich sorgfältige Arbeit zur Bestandsaufnahme der derzeitigen rechten Szene in Deutschland. Schade eigentlich …

Insofern mögen auch die am Ende des Buches vorgetragenen Lösungsvorschläge nicht so recht zu verfangen, denn es ist halt immer unmöglich, ein Problem auf die Weise zu lösen, auf die es entstanden ist. Es wird einfach ausgeblendet, dass die marktradikale Politik eben dazu führt, dass viele Menschen sich nicht mehr politisch repräsentiert fühlen von den großen Parteien und deswegen rechten Rattenfängern mit ihren simplen Sündenbockparolen auf den Leim gehen.

Mittlerweile wurden die Autoren auch ein wenig von der Realität überrollt. Vonseiten der CDU (de Maizière beispielsweise, aber auch Joachim Pfeiffer, der die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl forderte und stattdessen ein Gnadenrecht des Staates als sinnvoll erachtete) und natürlich der CSU wurde mittlerweile genau das übernommen, was von Bednarz und Giesa noch als eindeutig rechte Rhetorik gekennzeichnet wurde. Und auch eine FDP-nahe Facebook-Seite hat vor Kurzem einen Grünen-Politike, der einen Busfahrer, der Flüchtlinge kutschieren sollte und dabei ein Thor-Steinar-Shirt trug, bei dessen Arbeitgeber gemeldet hat, als „Blockwart“ und „Denunziant“ gebrandmarkt (und dabei wurde dann auch noch schön auf einen Artikel der rechten Zeitschrift Junge Freiheit verlinkt) – laut den Autoren „Beleidigungen“ der „neurechten Wortakrobaten“ (S. 211). Das eigene Umfeld, was die beiden Autoren als Gegenpol zum neu erstarkten Rechtskonservativismus in Deutschland verstanden wissen wollten, ist also mittlerweile schon ganz gut von diesem vereinnahmt worden …

Liane Bednarz und Christop Giesa: Gefährliche Bürger, 255 Seiten, Verlag Hanser, ISBN: 9783446444614, 17,90 Euro

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Ein Gedanke zu „Liane Bednarz und Christoph Giesa: Gefährliche Bürger“

  1. Gerade hab ich einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung gelesen, der auf eine etwas unerwartete Weise bestätigt, was ich ja auch als Hauptkritikpunkt an dem Buch anmerkte, nämlich dass die Autoren doch sehr im eigenen Saft schmoren würden und daher zu keiner wirklich umfassenden Analyse in der Lage seien. Lisa Bednarz hat demnach etliche Passagen aus dem Manuskript gestrichen, da in diesen Personen vorkamen, bei denen es die Anwaltskanzlei, bei der sie beschäftigt ist, nicht gern gesehen hätte, wenn die in einem solchen Zusammenhang auftauchten. So macht man sich dann gute Ansätze natürlich vollends zunichte …

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