Unsere destruktive Bequemlichkeit

Zwei Artikel (einer in der Süddeutschen Zeitung, einer auf der Webseite ZEITjUNG), die ich in den letzten Tagen las, brachten mich auf ein Thema, das mich eigentlich schon länger umtreibt: die Bequemlichkeit, die unser Leben auszeichnet und die dazu führt, dass es Menschen woanders schlecht geht. Missstände werden schon von vielen ausgemacht, aber wenn es dann darum geht, daran etwas durch eigenes alltägliches Handeln zu verändern, dann ist schnell Schluss mit lustig.

Beschäftigt sich der SZ-Artikel eher allgemein damit, dass unser Wohlstand darauf beruht, dass es Menschen in anderen Ländern schlecht geht (s. dazu auch den Artikel zu Fluchtursachen hier auf unterströmt), so geht der ZEITjUNG-Artikel auf die individuelle Sichtweise ein: Viele Menschen in Deutschland haben durchaus ein Bewusstsein für nachhaltigen Konsum, setzen diesen teilweise auch um, aber sind andererseits dann auch wieder vollkommen gedankenlos bei dem, was sie kaufen. Natürlich kann Dogmatismus kein Anspruch an jemanden sein, nur stellt sich schon die Frage, warum das wohl so ist, wie in dem Artikel beschrieben.

Meiner Ansicht nach hat das einiges mit „aus den Augen, aus dem Sinn“ zu tun, das heutzutage ja so schön einfach funktioniert: Ständig gibt es neue Reize, die uns von irgendwas ablenken, und mit der Produktion der meisten Sachen, die wir kaufen, haben wir eh nichts zu tun, denn diese geschieht ja ganz woanders. Dazu kommt noch, dass wir natürlich alle seit ein paar Jahrzehnten darauf gedrillt werden, dass Konsum glücklich macht (was leider nicht der Fall ist, wie der Neurobiologe Gerald Hüther hier anschaulich beschreibt), sodass wir diese Art des Glücks eben immer wieder zu erreichen versuchen und eine Einschränkung dabei als Angriff auf unser Recht auf Glücklichsein empfinden würden.

Und natürlich ist auch ein Stück weit Egoismus bei einem solchen Konsumverhalten zu beobachten: Das pestizidbelastete Gemüse und die mit Antibiotika vollgestopfte Pute sind ja, wenn ich das esse, auch nicht eben gut für mich selbst, also ist das schon mal ein Anreiz für Bioprodukte. Aber diejenigen, die in den Fabrikhöllen in Ostasien arbeiten oder als Sklaven auf den Kakaoplantage in Afrika, die sind halt nicht nur weit weg, sondern „beschmutzen“ mein Produkt in dem Sinne nicht, dass ich unmittelbaren Schaden davontragen könnte.

Es ist, wie schon gesagt, von niemandem zu erwarten, dass er alle Produkte „korrekt“ einkauft, das wäre ja auch mit extrem viel Informationsarbeit verbunden. Ich hab beispielsweise versucht, unseren Haushalt monsantofrei zu bekommen, und das ist schon alles andere als einfach. Aber einfach mal ein bisschen mehr überlegen, wo etwas herkommt, wie es produziert wurde, ob da nicht nur Tierrechte, sondern eben auch Arbeitsrechte eventuell missachtet wurden, ob etwas besonders umweltschädlich ist oder um die halbe Welt transportiert wurde, obwohl es vielleicht auch eine regionale Alternative gegeben hätte, das kann eigentlich jeder ab und zu mal machen. Gut, das stört natürlich ein wenig die Unbeschwertheit beim „Shoppen“ – und führt meist auch noch dazu, dass man mehr Geld für einzelne Produkte ausgeben muss.

Und Letzteres wollen viele eben nicht – wobei viele das auch einfach nicht können, weil sie mit ihrer Minirente oder Hartz IV ohnehin schon kaum über die Runden kommen.

Wie rabiat die Folgen diese bei uns dominierenden Lebensstils sind, darauf weist beispielsweise Jean Ziegler regelmäßig hin, wie hier in einem Utopia-Artikel angesprochen: Über 50 Millionen Tote in jedem Jahr, die nicht sterben müssten, wenn die Welt eben nicht so strukturiert wurde, dass in unserem Land ein Großteil der Bevölkerung im Überfluss leben kann, sind schon mal eine hart zu schluckende Hausnummer. Aber zum Glück gibt es ja auch so viele schöne einfache Sündenböcke, die natürlich schon einen guten Teil Verantwortung an der Misere tragen, aber eben ohne unser alltägliches Zutun auch recht wenig Einfluss hätten: Banken, Hedgefonds, Politiker existieren ja nicht im luftleeren Raum, sondern in einem System, von dem jeder Einzelne von uns ein kleiner Teil ist.

Und dieses System liefert uns eine Menge Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten, auf die wir nicht zu verzichten bereit sind. Dafür nehmen wir dann auch einfach so in Kauf, den ganzen Planeten zu ruinieren. Klingt dramatisch? Na ja, dazu braucht man sich nur mal die zu befürchtenden Auswirkungen des Klimawandels anzuschauen: Hier wären recht radikale Maßnahmen, die zu großen Änderungen in unserer Lebensweise führen würden, notwendig, um tatsächlich einen Kollaps zu vermeiden. Aber ich wette, wenn beispielsweise jemand nur mal vorschlagen würde, Privatflüge zu verbieten, dann wäre das Geschrei gleich groß: „Was?!? Ich soll nicht mehr in den Urlaub fliegen dürfen? Na, das geht nun echt nicht, so wichtig kann das mit dem Klimawandel ja nun auch nicht sein …“ Und dabei ginge es hierbei noch nicht mal um eine Einschränkung im täglichen Leben, sondern nur in unserer Freizeit.

Ein weiteres Beispiel dazu im kleineren Rahmen: Nach den Silvestervorfällen am Kölner Hauptbahnhof waren sich eigentlich fast alle einig, dass es bessere Prävention geben müsste, um so was zukünftig besser verhindern zu können. Mir fielen dazu sofort zwei Maßnahmen ein: Verbot vom Verkauf von Feuerwerksartikeln an Privatpersonen (denn immerhin hat ja das Schießen von Feuerwerkskörpern in die Menge die Eskalation in Köln begonnen) sowie Einschränkungen beim Alkoholverkauf und -genuss bei öffentlichen Großevents (die Betrunkenheit vieler Täter, aber auch Opfer wurde ja auch als problematisch thematisiert). Mal schauen, wenn solche Vorschläge ernsthaft aufs Tableau kämen, wie vielen dann noch die Sicherheit von Frauen so wichtig wäre, wie nun in den letzten Wochen proklamiert …

Was uns selbst, und sei es nur in einem Teil unserer Freizeitgestaltung, einschränkt, wird als nicht akzeptabel angesehen, um anderen Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen. Und dabei sind wir auch wirklich Meister im Verdrängen, denn was ich nicht ständig sehen muss, bereitet mir auch keinen Verdruss. Das kann man ja auch deutlich an den Flüchtlingen sehen: Die haben uns überwiegend einen feuchten Kehricht interessiert, als sie in ihren Heimatländern gestorben sind oder dort von ihrem Land vertrieben wurden, auch als sie im Mittelmeer zu Tausenden ertrunken sind, war das alles zwar irgendwie tragisch, aber … na ja … halt auch nicht zu ändern oder so. Jetzt stehen sie allerdings bei uns an der Grenze, sind in unserem Land – und da hört der Spaß dann auf, da sieht man die ja und ist unmittelbar mit denen und ihren Schicksalen konfrontiert. Und – zack! – ist von einer „Flüchtlingskrise“ die Rede …

Und so torkeln wir weiter schön mit geschlossenen Augen (oder auch halb narkotisiert, da kann man sich aussuchen, welches Bild einem besser gefällt) auf einen Abgrund zu, vor dem ein großes Schild „Hier geht es so nicht weiter!“ steht. Dabei doktern wir schon mal ab und zu an Symptomen herum, sind aber nicht in der Lage (oder wollen es nicht), uns mal mit den Ursachen zu beschäftigen, die nämlich recht komplexer, da systemischer Natur sind. Sündenböcke werden gern angenommen, um bloß nicht selbst etwas ändern zu müssen, was uns aus unserer schönen Bequemlichkeit herausbringt – und wenn das nur mal ist, beim Einkaufen ein bisschen mehr nachzudenken (Was kaufe ich und wie wurde das hergestellt? Brauche ich das überhaupt?), den ohnehin überflüssigen SUV einmal öfter stehen zu lassen und zu Fuß zu gehen oder sich mal mit den unangenehmen Schattenseiten unseres Wohlstandes bzw. unserer nur für uns heilen Welt zu beschäftigen.

Wir haben also selbst eine ganze Menge Möglichkeiten in unseren eigenen Händen, aber meistens steht uns unsere Bequemlichkeit im Wege, diese auch tatsächlich mal zu nutzen. Dabei ist es schon locker fünf vor zwölf (für viele Menschen auf der Welt sogar schon deutlich später). Also, Leute: Arsch hoch, sonst wird das nichts mehr …

Print Friendly, PDF & Email

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Schreibe einen Kommentar