Autonomes Fahren

Neben der E-Mobilität steht ja das Prinzip des autonomen Fahrens für viele im Fokus einer Entwicklung hin zu einem modernen Straßenverkehr. Ich kann die diesbezügliche Euphorie allerdings nicht so ganz teilen, vielmehr sollten wir uns gerade jetzt, da ja die kriminelle Energie der Führungsebenen von Automobilkonzernen nach der Abgasaffäre mit der illegalen Kartellbildung erneut mehr als deutlich zutage getreten ist, doch lieber ein paar Fragen stellen, wie es denn mit der praktischen Umsetzung von autonomem Fahren bei kritischen Verkehrssituationen aussehen könnte.

Wie reagiert ein Auto bei einem Unfall?

Bei autonomem Fahren denken die meisten daran, dass Autos gemütlich und unfallfrei durch die Gegend gondeln. Doch leider ist ja nicht sogleich der komplett Verkehr automatisiert, sonder es wird nicht nur Fahrer von nicht autonom fahrenden Fahrzeugen geben, sondern auch Fußgänger, Radfahrer, Tiere …

Ein gewisses chaotisches Element wird also immer im Straßenverkehr vorhanden bleiben, und wo es das gibt, da besteht auch immer die Gefahr von Unfällen. Wenn also ein Unfall nicht mehr zu vermeiden ist, da die technischen Voraussetzungen des autonom fahrenden Autos nicht zulassen, dass eine Kollision verhindert werden kann, stellt sich nun die Frage, nach welchen Gesichtspunkten das Fahrzeug nun versucht, den Schaden möglichst gering zu halten.

Wird versucht, möglichst geringen Personenschaden zu haben? Oder werden gezielt Personenschäden in Kauf genommen, um andere zu schützen (beispielsweise Kollision mit einer Einzelperson statt mit einer Gruppe)? Wie wird der Insasse des Fahrzeugs dabei priorisiert, also wird beispielsweise lieber der Wagen gegen eine Mauer gelenkt mit größerer Wahrscheinlichkeit, dass der Fahrer zu Schaden kommt, als dass er in einen anderen Kleinwagen gelenkt wird, wobei dessen Insassen den größeren Schaden hätten?

Solche Entscheidungen stellen sich heute im personengeführten Individualverkehr kaum, da die Handlungen bei Unfällen bzw. beim Versuch, diese zu vermeiden oder zumindest den Schaden gering zu halten, zumeist recht schnell und instinktiv erfolgen. Algorithmen haben da eine andere Reaktionsgeschwindigkeit als Menschen und können derartigen Abwägungen treffen. Oder vielmehr müssen diese vorher von ihren Programmierern so festgelegt werden.

Und damit geben wir nun nicht nur unser eigenes Leben, sondern auch das von anderen Menschen in die Hand von diesen Leuten. Ich weiß nicht, ob vielen Menschen sich noch mal hinters Steuer eines autonom fahrenden Autos setzen würden, wenn sie bei einem Unfall aufgrund eines Algorithmus als am wenigsten schützenswert bestimmt worden und so mit schweren Verletzungen im Krankenhaus gelandet wären.

Wie es dann nach solchen Unfallszenarien mit Schadensersatzklagen aussehen würde, kann ich mir zumindest jetzt noch nicht vorstellen. Wer wäre dann verantwortlich für die Unfallfolgen vom Unbeteiligten, die aufgrund eines solchen Algorithmus einfach nur als Möglichkeit mit dem geringsten Gesamtschaden ausgemacht worden wären? Der Programmierer? Der Fahrer? Der Automobilkonzern? Der Verursacher des kritischen Ereignisses, das zum Unfall führte?

Klingt nun alles vielleicht etwas abgehoben, aber bei der großen Anzahl von Unfällen, die es täglich gibt, dürfte eine solche Situation recht schnell eintreten – und dann würde ich es zumindest beruhigend finden, wenn solche Fragen vorher geklärt wären.

Werden Käufer von 300-PS-Kisten akzeptieren, dass sich ihre Autos defensiv im Straßenverkehr verhalten?

Und noch mal möchte ich die Aussage vom vorherigen Punkt aufgreifen: Bei autonomem Fahren denken die meisten daran, dass Autos gemütlich und unfallfrei durch die Gegend gondeln.

Nun sind in den letzten Jahren vor allem solche Autos erfolgreich (und gerade von den deutschen Herstellern), die extrem PS-stark, schnell, sportlich und auch groß sind. Man muss sich nur mal anschauen, wie solche Fahrzeuge beworben werden: Das ist selten mit Gemütlichkeit verbunden, sondern meistens mit rasanter Fahrweise.

Wer sich nun also so ein Geschoss kauft, dass in deutlich unter zehn Sekunden von 0 auf 100 beschleunigt und bis zu 250 km/h fährt, der hat bestimmt einen anderen Fahrstil im Sinn als ein möglichst defensives und immer vorschriftsmäßiges Fahren mit maximal der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. Und wird sich garantiert die Krätze ärgern, wenn er an einer Kreuzung nicht wegkommt, weil andere, noch personengesteuerte Autos die Vorfahrtsregeln forsch auslegen und eben nicht erst fahren, wenn es eindeutig so ist, dass es zu keinem Unfall kommen kann.

Gerade diese Fahrzeuge sind auch sehr teuer, deren Käufer also schon etwas, was der Automobilhersteller in jedem Fall nicht verlieren möchte. Wenn diese nun aber zunehmend genervt von ihren freundlich und gar nicht mal nur eine Spur rücksichtslos fahrenden Autos sind – werden die dann zukünftig als Kunden bei der Stange gehalten werden können?

Vermutlich wohl eher nicht …

Was könnte also ein Automobilhersteller machen, um so den Kundenwünschen nach forscher, sportlicher und zum Teil auch rücksichtsloser (klingt etwas hart, kann aber jeder jeden Tag auf deutschen Straßen beobachten) Fahrweise entgegenzukommen? Es könnte beispielsweise eine menschliche Komponenten, die auf genau solchen aggressiveren Handlungsmustern besteht, in die Fahralgorithmen implementiert werden. So was gibt es beispielsweise schon bei Sequencer-Programmen, mit denen Schlagzeugspuren programmiert werden: Damit diese nicht so steril klingen, wird einen Humanize-Funktion aktiviert, die kleine Ungenauigkeiten einbaut, die das Spiel menschlicher klingen lassen.

Nun sind Schlagzeugspuren nicht dafür gedacht, zweieinhalb Tonnen Stahl durch den Straßenverkehr zu manövrieren, aber ich denke, das Prinzip dürfte ein ähnliches sein. Bleibt dann nur die Frage, was geschieht, wenn sich in einer Verkehrssituation dann mehrere auf diese Weise vermenschlichte Algorithmen begegnen, die nicht aus der gleichen Programmierschmiede stammen. Ich weiß nicht, mir ist da das zwar fehlerhafte, aber intuitive menschliche Verhalten dann doch ein bisschen lieber als so eine Vorstellung …

Besteht Vertrauen in Automobilhersteller, dass sie solche Fragen wertfrei zu lösen versuchen?

Wenn man einigen Werbeprospekten glaubt, dann haben die Automobilhersteller vor allem das Ziel, den Straßenverkehr unfallfrei und möglichst flüssig zu gestalten. Das ist natürlich Blödsinn, denn das hauptsächliche Ziel eines Konzerns ist es eben immer, möglichst hohen Profit zu machen – alles andere muss sich diesem unterordnen.

Wie wenig moralisch dabei gerade die Automobilindustrie vorgeht, konnte man in letzter Zeit ja nun verschärft beobachten: Da war die Abgasaffäre mit reihenweise manipulierten Emissionswerten, was für Mensch und Umwelt erheblich Schäden verursacht. Da waren gerade aktuell die kartellmäßigen Absprachen, die Nachteile für Mitbewerber, Zulieferer und Verbraucher zur Folgen hatten (s. beispielsweise hier). Und wenn man sich dann noch den gerade gesendeten gut vierminütigen Beitrag des Deutschlandfunks anhört (liegt dort auch in transkribierter Form vor), aus dem hervorgeht, dass VW in Brasilien in den Jahren von 1964 bis 1985 wohl sehr aktiv mit der Militärdiktatur zusammengearbeitet hat bei der Verfolgung von kommunistischen Arbeitern, die danach oft genug gefoltert wurden, dann wirft das ein noch mal schlechteres Licht auf die Ethikvorstellungen zumindest dieses Automobilkonzerns.

Diesen Konzernen sollen nun also derart sensible Entscheidungen wie die oben geschilderten anvertraut werden – in der Hoffnung, dass sie dabei nur möglichst einen reibungslosen Ablauf für alle Verkehrsteilnehmer, hohe ethische Standards und nicht in erster Linie die eigenen Umsätze und Gewinne im Kopf haben. Scheint mir nun doch ein bisschen naiv zu sein …

Vielmehr könnte ich mir vorstellen, dass da andere Überlegungen für autonom fahrende Autos ins Spiel kommen, wenn diese in Unfallsituationen verwickelt werden: Wäre es nicht aus Sicht der Hersteller lohnend, wenn als bevorzugtes „Crashobjekt“ Autos anderer Marken herhalten müssten?Zumindest sähen dadurch die eigenen Unfallstatistiken besser aus, und diesen dürfte bei autonom fahrenden Autos eine hohe Bedeutung zukommen. Wenn also schon in ein anderes Fahrzeug hingefahren werden muss, dann bitte in eines von der Konkurrenz – egal, ob der Personen- und Sachschaden dann höher ist – Marketing rules!

Oder wäre es nicht sinnvoll, eher in kleinere Fahrzeuge hineinzufahren im Zweifelsfall, wenn es schon zu einem Crash kommen muss? Gut, für deren Insassen wäre das nicht so schön, aber es ergäbe sich weniger Schaden sowohl für das eigene Fahrzeug als auch insgesamt – was auch wieder gut für die eigene Statistik wäre. Hier kommen wir nun in den sehr kritischen Bereich der Abwägung von Personenschäden gegen materielle Schäden. Wie VW diesbezüglich in Brasilien entschieden hat, kann beim Deutschlandfunk nachgehört werden.

Und daraus ergeben sich dann weitere Fragen: Wer legt denn überhaupt derartige Parameter für das Verhalten autonom fahrender Autos bei Unfallszenarien fest? Und wer achtet auf welche Weise darauf, dass diese auch eingehalten werden? So wie ich die Politik der letzten Jahrzehnte einschätze, dürfte es da wohl auf eine freiwillige Selbstverpflichtung der Konzerne hinauslaufen. Und das hat ja bisher auch immer so richtig super geklappt …

Autonomes Fahren ist eine Idiotie sondergleichen

Die Vorstellung vom autonomen Fahren ist also, wie ich finde, aus den oben dargelegten Überlegungen heraus ein ziemlich unsinniges Unterfangen, da wir so die Programmierer von nachweislich wenig moralisch agierenden Konzernen zu Herren über Leben und Tod machen würden. Und das kann ja nun nicht ernsthaft im Interesse von uns allen als Verkehrsteilnehmern sein, oder?

Davon abgesehen: Die beste Methode, Unfälle zu vermeiden, wären ohnehin nicht autonom fahrende Autos, sondern weniger Verkehr auf den Straßen, und das ginge am besten über die Reduzierung des Individualverkehrs. Ganz andere Baustelle, die auch noch aus vielen anderen Gründen sinnvoll wäre (Reduzierung von Ressourcenverbrauch, Umweltverschmutzung und Feinstaubbelastung wäre da nur ein Aspekt). Aber das dürfte kaum im Sinne von unseren Automobilkonzernen sein – und die zeigen sich ja gegenüber den Parteien und Politikern als ausführenden Organen nicht umsonst schon seit Jahren immer ausgesprochen generös …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Ein Gedanke zu „Autonomes Fahren“

  1. An der Stelle möchte ich in Bezug auf die Ethik noch einmal auf die „MoralMachine“ des MIT (Massachusetts Institute of Technology) hinweisen: http://moralmachine.mit.edu/

    Es ist wirklich lächerlich, den Automobilherstellern auch nur einen Deut an moralisch korrektem Verhalten zuzugestehen. Und wenn man sich anschaut, welche Strafen vonseiten der Politik (und des Strafrechts!) für die bewusste Vergiftung der Bevölkerung ausgesprochen werden (nämlich keine, einen feuchten Furz!), dann sehe ich die Qualität der Programmierung solcher Fahrzeuge auch nicht im Sinne des Schutzes der Bevölkerung kommen. Schande über jeden Manager, Konzernchef, Ingenieur und Politiker, der diese „dreckige“ Spiel auf Kosten der Gesundheit mitspielt.

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