Frauen in der Gesellschaft. Konsumiere und optimiere dich. Oder: Was ist Feminismus?

„Sei ganz du selbst“ – „Verändere noch heute dein Leben.“ Diese Aussagen mögen widersprüchlich klingen, gehören aber zu einem perfiden Schema, welches für die heutige Zeit stilprägend ist. Während das Thema der formellen Gleichberechtigung für viele als „abgehakt“ gilt, Frauen sich für weitgehend „emanzipiert“ halten, frönen wir dem neuen Trend der Selbstoptimierung – frei nach dem Motto: „Die Unterdrückung ist tot, es lebe die Unterdrückung.“

Erst neulich habe ich mich mit dem Thema „Frauen in der Politik“ beschäftigt und meine Gedanken dazu hier formuliert. Natürlich sind Politikerinnen keine „Insel“, und die Frage, inwiefern gelebte Gleichberechtigung uns als Gesellschaft verbessert – oder eben nicht – , muss auch in einem größeren Kontext betrachtet werden.

In einem Magazin stieß ich jüngst auf diese Aussage: „Eine Feministin kann aufgespritzte Lippen und Fake-Brüste haben. Es geht nur um die innere Einstellung, nicht um die Optik.“ Begleitet von Floskeln wie „Sei du selbst“. Die Verfasserinnen möchten, nach eigenen Angaben, zu mehr „Selbstliebe“ aufrufen und natürlich zu „Empowerment“. Solche Dinge lese ich öfter, und je mehr ich darüber nachdenke, umso befremdlicher finde ich diese Aussagen.

Selbstliebe als Allheilmittel und Dogma

Wer mit sich selbst zufrieden ist, ist im Ergebnis ja meistens ein eher freundlicher Zeitgenosse. Ich denke, das kann man so unterschreiben. Was macht uns zufrieden? Das mag individuell verschieden sein. Ein guter und ertragreicher Job, Familie und Freunde, gutes Aussehen, ein erfülltes Leben, Spaß, Gesundheit … Kann man diese Faktoren wirklich steuern oder ergeben sie sich? Wer kann diese Fragen schon beantworten?

Doch halt, findige Menschen wissen die Antworten schon längst und werden nicht müde, uns diese Antworten zu übermitteln. Zahlreiche Magazine, Blogs und sonstige Medien zeugen davon. „Selbstliebe“ ist angesagt, und dann folgt auch alles andere, nämlich das große Glück!

Am Anfang muss man also selbst etwas tun. Im Regelfall ist damit gemeint, „an sich zu arbeiten“, etwas zu ändern. Ich bin dieser Logik auch schon gefolgt, doch langsam kommen mir Zweifel an dieser „Glücksformel“, denn allzu sehr passt sie in ein Denkschema, welches am Ende des Tages mit Konsum einhergeht und weniger mit dem Erlangen einer gewissen menschlichen Reife und der damit verbundenen Zufriedenheit.

Wer immer optimiert, kommt nie an

Die Rolle der Frau in der Gesellschaft war und ist geprägt von Erwartungshaltungen. Nett, hübsch und lieb zu sein ist ein Beispiel dafür. Jetzt mag man denken, das sei „früher“ so gewesen. Aber heute? Nein, heute dürfen wir laut und unbequem sein. Oder aber nett, hübsch und lieb. Wir haben die Wahl.
Wirklich?

Wenn dem so wäre, dann hätte wir ja lauter zufriedene Frauen. Weil: Jede darf so sein, wie sie will. Meiner Wahrnehmung nach haben wir diesen Zustand jedoch nicht. Hierzu wäre es nämlich notwendig, dass wir uns selbst und andere schlichtweg akzeptieren. Akzeptanz bedeutet, etwas hinzunehmen, und nicht, daran herumzubohren.

Letzteres ist aber ein Postulat geworden: die Optimierung. Das „An-sich-Arbeiten“, das Ausmerzen von unerwünschten Faktoren und Eigenschaften. Und ist die eine Sache beackert, kommt das nächste Themenfeld dran. Dabei betonen wir natürlich immer, wie „gern“ wir dies tun, wie „freiwillig“ und wie es uns „voranbringt“.

Dumm ist nur: Wir werden nie fertig und befinden uns darum in einer permanenten Unruhe und Unzufriedenheit (aus der wir ja eigentlich via Optimierung herausmöchten).

Und man sollte sich fragen: Warum mache ich das? Geht es wirklich um mich selbst oder im Endeffekt doch wieder um die Erwartungshaltungen anderer? Was heißt denn „wollen“ in diesem Zusammenhang? Ist es mein Wille oder ein Fremdgesteuerter?

Wer immer optimiert, vergisst den Tellerrand

Erst neulich las ich einen interessanten Kommentar in der taz, der gut in diesen Kontext passt. Demzufolge hat der Selbstliebe-Optimierungstrend via Yoga, Meditation, „Achtsamkeitsübungen“ und Sonstiges in diese Richtung noch weitere (mögliche) Auswirkungen, wie z. B. die Förderung des Unpolitischen. Gemeint ist damit, dass das Kreisen um einen selbst, die „Selbstfindung“, auch dazu führen kann, dass man sich eben weniger für gesellschaftliche und politische Themen und Probleme interessiert, weil diese Dinge bewusst ausgeblendet werden (sollen).

Darüber kann man sicherlich streiten, doch ich finde, das ist ein bedenkenswerter Aspekt.
Umso bedenkenswerter, da ich ja hier über Frauen schreibe und diese ganz klar die Zielgruppe sind für alles, was mit der Vermarktung des Optimierungstrends zusammenhängt.

Selbstliebe als Geschäft

Und damit ist man dann wohl auch beim Knackpunkt des Ganzen angelangt: „Selbstliebe“ ist ein dickes Geschäft mit zahlreichen Facetten. Das geht von der mittlerweile völlig hochstilisierten Bedeutung von „Fashion & Beauty“ und dem exzessiven Erfolg von Marken und Blogs für die „Trendigen“ über die aktuelle Sport- und Fitnesswelle der „Aktiven“ bis hin zu Angeboten rund um „Wellness“, „Entspannung“ und „Mindfulness“ für die, die sich damit identifizieren, eben nicht „trendy“ sein zu wollen. Praktisch: Für jeden Typ Frau wird etwas geboten, um sich zu „verbessern“, „glücklicher“ zu werden.

Verändere dich, damit du du selbst sein kannst?

So verschieden die Zielgruppen auch sein mögen, zwei Dinge haben sie gemeinsam: Sie erliegen der Denkfalle, nicht „genug“ zu sein, und sie kompensieren dies mit Konsum.
Schon merkwürdig, oder? Um zu sich selbst zu finden, muss man sich erst mal verändern. Aber wohin? Und: Wann hat das ein Ende? Antwort: nie. Wer glücklich ist, kauft nicht oder zumindest weniger.

Feminismus als Label

Auch der gute alte Feminismus hat es auf diese Weise zum Trendsetter geschafft. Nicht wenige Marken thematisieren „Frauenpower“ über Werbung und markige Aufdrucke auf Klamotten und Taschen. „We should all be feminists“ steht da auf T-Shirts, „Strong Woman“ schreit es einem von einer Ledertasche entgegen, die für mehrere Hundert Euro über die Ladentheke geht.

Alles wie immer – nur irgendwie schlimmer

Natürlich ist das alles im Prinzip nichts Neues. Schon immer wollten Mode, Schminke und gutes Aussehen an die Frau gebracht werden. Doch die kommunizierte Pseudoverbindung aus Konsum und Feminismus stellt schon eine weitere, noch absurdere Ebene dar. Und allzu gern lassen wir uns anscheinend suggerieren, dass unser Drang nach Verbesserung in allen Bereichen des Lebens freiwillig, eine bewusste Entscheidung ist. Denn: Wir bestimmen heute selbst! Frauenpower. Und so.

Blättere ich durch ein Frauenmagazin, sehe ich aber merkwürdigerweise immer noch dasselbe wie immer: sehr schöne Menschen. Tipps in allen Bereichen. Dünn angerührte Texte und Kolumnen. Immer noch 50er. Schlimm genug. Das Ersetzen von „Mach dich hübsch für deinen Mann“ durch „Wir machen uns hübsch, weil wir es wollen“ macht es für mich persönlich irgendwie noch einen Tick schlimmer.

Schon erschreckend. Während vorherige Generationen dafür gekämpft haben, dass Frauen und Männer gleiche Rechte haben, dass Frauen nicht mehr um Erlaubnis fragen müssen, um dieses oder jenes zu tun, unterwerfen wir uns heute allzu gern dem Druck des Perfektionismus, anstatt einfach zu „sein“.

Ja, und was ist denn nun Feminismus?

Für Feminismus gibt es ja seit jeher verschiedene Definitionen. Vielen Varianten gemeinsam ist die Gleichstellung der Geschlechter. Ich finde aber: Feminismus ist mehr. Denn die bloße Gleichstellung hieße ja nicht anderes, als dass sich Frauen – gleichgestellt – genauso verhalten wie Männer vor der Gleichstellung.
Meines Erachtens hat Feminismus auch immer damit zu tun, sich für andere einzusetzen. Nämlich für alle, die benachteiligt werden. Überall. Und selbstverständlich ist das eine gemeinschaftliche Aufgabe aller Geschlechter und vor allem eine, die noch lange nicht beendet ist. Ganz im Gegenteil. Dazu ist es aber vonnöten, dass wir kritisch sind, dass wir politisch sind. Das Kreisen um das innere Selbst wird nicht ausreichen, um wirkliche gesellschaftliche Probleme aktuell und in der Zukunft zu lösen.

Fazit

Es gibt Druck von außen und Druck von innen. Beides ist schlimm. Aber wenn wir von Emanzipation reden, von Gleichberechtigung der Geschlechter und Freiheit von Frauen, kann es doch nicht angehen, dass wir den äußeren Druck entfernt haben (über formelle gesetzliche Gleichstellung), um ihn dann durch den selbst auferlegten inneren Druck zu ersetzen. Vom Anhängsel des Mannes zum Büttel des Konsums? Wo ist da bitte die Befreiung?

Mal ganz abgesehen davon, kann eine G***i-Tasche schwenkende Frau meiner Meinung nach niemals eine Feministin sein, denn sie reduziert ihre Gleichstellung auf Konsum und Statussymbole und macht damit nichts anderes als die „alten weißen Männer“, um den dieser Tage zugegebenermaßen etwas überstrapazierten Begriff hier noch mal anzubringen. Sie macht auch nichts anderes als die von mir bereits beschriebenen Frauen in der Politik, denn sie hofiert und bedient das immer gleiche System der Ungerechtigkeit. Eine wirkliche gesellschaftliche Weiterentwicklung ist damit nicht möglich.

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Tina

Jahrgang 1972, Linkshänderin, mal nett, mal launisch, mag Nudeln, Vodka und Hunde. Meine Texte sind abhängig von Tagesform (siehe Stichwort "launisch") und Tagesaktualität. Grundsätzlich treiben mich Themen wie "Gerechtigkeit" und "Gemeinschaft" um bzw. wie wir als Gesellschaft gut miteinander leben können, ohne Hackordnung, ohne Menschen zurückzulassen.

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