Verbote versus Anreiz

Ein Plädoyer für mehr Konstruktivität und Mehrgleisigkeit in der Politik.

Mely Kiyak hat in ihrer aktuellen Kolumne in der ZEIT (hier zu lesen) deutliche Worte gefunden: Aufklärung über Missstände, zum Beispiel der Produktion von technischen Geräten durch Kinderarbeit, bringe im Grunde nicht viel, es führe im Allgemeinen nicht dazu, dass Kunden ihr Kaufverhalten änderten. Was sie in der Folge fordert, finde ich sehr richtig: das aktive Regulieren von Konzernen, die unter solchen Bedingungen produzieren lassen. Hier braucht es entsprechende Gesetze, sprich Verbote.

 

„Man muss in Deutschland essen, trinken, einkaufen, bestellen und zurückschicken können und sich darauf verlassen dürfen, dass man nichts und niemanden damit schadet, allerhöchstens sich selbst.“ (Mely Kiyak)

 

Das sehe ich ganz genau so, denn es ist weder zumutbar noch ansatzweise realistisch, dass der Konsument jeden Artikel, den er kauft, von vorn bis hinten „durchleuchtet“, um die Verträglichkeit zu überprüfen. Zumal das in weiten Strecken auch nicht ansatzweise möglich ist, zu komplex ist der Zusammenhang aus Produktionsbedingungen, Transportwegen, Lieferketten, Händlern …

Es ist hier Aufgabe der Politik, zum einen für Transparenz zu sorgen, zum anderen Unternehmen zu sanktionieren, die sich an einen zu definierenden Kodex nicht halten.

Das ist aus meiner Sicht jedoch nur eine Seite der Medaille, wenn man über die Aufgaben von Politik nachdenkt. Wer nur über Verbote diskutiert, stößt schnell auf Gegenwehr, was als menschliche Reaktion durchaus verständlich ist. Mir fehlt in solchen Diskussionen, wie auch in vielen anderen, die Ausgewogenheit oder noch besser: eine etwas umfassendere Betrachtung und vor allem auch konstruktive Lösungsfindung.

Es kann nie immer nur „die eine“ Maßnahme geben

Unsere Welt ist viel zu komplex, als dass es immer nur „die eine“ Lösung für ein Problem geben kann. Reden wir von umwelt- und sozialverträglichen Produkten, wird es schier unmöglich, alle Aspekte zu erfassen. Diese Komplexität führt meiner Meinung nach auch dazu, dass dann gar nichts passiert. Die Aufgabe scheint zu groß, also lassen wir es gleich ganz sein.

Perspektivwechsel, Alternativen finden und anbieten

Wenn ich bei meiner Arbeit vor einer größeren (unüberwindbaren?) Aufgabe stehe, hab ich zwei Möglichkeiten: Ich gehe mit der Brechstange ran oder ich entwickele Plan B. Ich mag es, in Lösungen zu denken. Wie oft werde ich gefagt, ob ich nicht dies oder jenes machen könne. Ich bin dann immer sehr direkt und sage, was geht und was nicht geht. Vor allem: Wenn etwas nicht geht, dann biete ich parallel immer Alternativen an. Es macht nicht nur mir Spaß, eine Lösung zu finden, auch meine Kunden freuen sich immer über Konstruktivität. Und so werden meine alternativen Vorschläge auch so gut wie nie abgelehnt, im Gegenteil.

Und genau das ist es auch, was ich in der Politik vermisse und ganz klar einfordere. Es ist dringend Aufgabe von Politik, Lösungen für Probleme zu finden. Verbote können eine Lösung sein, sind aber dann zu einseitig, wenn man nur auf dieser Schiene fährt. Ich erwarte vielmehr eine Strategie, die aus mehreren Bestandteilen besteht. Ich erwarte von Politikern und Parteien keine Froschperspektive, sondern die Vogelperspektive.

Wo bleiben eigentlich die Anreize für „gutes“ Handeln?

Bleiben wir beim Thema Technik, hier das Smartphone, und gehen mal von zwei Tatsachen aus, die auch Mely Kiyak in ihrer Kolumne beschreibt:

1) Das Smartphone erfreut sich steigender Beliebtheit.

2) Für die Herstellung von Smartphones leiden Kinder, Stichwort Kinderarbeit.

Realistischerweise kann man weder das eine noch das andere verbieten. Ersteres muss im Grunde nicht verboten werden, warum auch? Letzteres ist natürlich absolut zu verbieten, doch die Komplexität eines solchen Vorhabens ist offensichtlich. Ich möchte das hier gar nicht weiter vertiefen, denn selbstverständlich muss hier alles getan werden, was möglich ist, und das umgehend und auf allen nötigen Ebenen. Selbstverständlich per Gesetz und Verboten.

Ich möchte aber auf etwas anderes hinaus: Dem Konsumenten mag hier einiges vorzuwerfen sein an Ignoranz und Kaufgeilheit, aber das greift mir a) zu kurz und b) bringt es nichts außer Vorwürfen, Gegenwehr und Whataboutism. Das Ergebnis: Es passiert nichts, um das eigentliche Problem (hier: Ausbeutung und Kinderarbeit) zu lösen. Stillstand.

Deshalb braucht es ein mehrgleisiges Denken, weitere, zusätzliche Ansätze.

Aktives Gestalten, positive Anreize

Warum, so frage ich, gibt es das noch nicht:

  • Das weltweit erste zu 100 % fair und umweltverträglich hergestellte Smartphone.
  • Entwickelt in Deutschland und hergestellt mit Partnern, die sowohl für gute Arbeitsbedingungen und gute Löhne sorgen als auch eine nachhaltige Rohstoffpolitik betreiben.
  • Ein Smartphone, das technisch, haptisch und optisch so genial ist, dass alle es haben wollen.
  • Ein subventioniertes Preismodell, das es Menschen auch mit wenig Geld möglich macht, es zu kaufen.

Das Good’n’Sexy-Phone, heißer Scheiß, made in Germany?

Warum setzt man nicht Fördergelder und Subventionen genau dafür ein? Warum verharren wir immer wieder in Vorwürfen und Stillstand, anstatt aktiv zu handeln? Warum bohren wir lieber an scheinbar unlöslichen Problemen, anstatt uns eine löslichere Aufgabe vorzunehmen und somit den Handlungsspielraum zu erweitern?

(Der Vollständigkeit halber sei hier noch erwähnt, dass mir natürlich Unternehmen wie „Shift Phone“ [aus Deutschland] und „Fairphone“ bekannt sind. Ich finde es großartig, dass es mittlerweile solche Akteure gibt, aber es sind Nischenprodukte, die für sich allein wohl kaum ausreichen, um die Dominanz der großen Anbieter zu brechen und eine Trendwende im Konsum einzuläuten. So gibt die SHIFT GmbH beispielsweise auf ihrer Website an, dass das Budget für Werbung und Marketing weniger als 0,1 Prozent der Firmenausgaben ausmacht. Man kann sich also leicht vorstellen, dass eine größere Zielgruppe so kaum erreicht wird.)

Eine Chance für mehr Gerechtigkeit, und zwar für alle

Ich möchte jetzt endlich mal Ergebnisse sehen, zumindest aber konkrete Vorschläge und Ideen aus der Politik! Viele Menschen, so glaube ich, sind mittlerweile sensibler geworden für Umweltthemen, und das ist doch eine große Chance, Veränderungen zu bewirken!

Aber es geht nur, wenn man Menschen mitnimmt, ihnen attraktive Alternativen anbietet. Und mit „mitnehmen“ meine ich, dass Umweltschutz nichts Elitäres sein darf, es muss für alle machbar sein, auch preislich. Ich bin sehr davon überzeugt, dass das geht. Dazu dürfen solche Themen nur nicht „dem Markt“ überlassen werden, hier muss der Staat mitwirken. Nur so kann sozial- und umweltverträgliches Konsumieren auch etwas sein, was die Masse der Bevölkerung erreicht und begeistert.

Wem das Gewissen als Argument nicht ausreicht, um etwas zu verändern, der könnte sich zumindest mal damit auseinandersetzen, was die Entwicklung solcher Technik wirtschaftlich für uns bedeuten könnte. Wenigstens das darf man doch von der Politik erwarten, oder?

 

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Tina

Jahrgang 1972, Linkshänderin, mal nett, mal launisch, mag Nudeln, Vodka und Hunde. Meine Texte sind abhängig von Tagesform (siehe Stichwort "launisch") und Tagesaktualität. Grundsätzlich treiben mich Themen wie "Gerechtigkeit" und "Gemeinschaft" um bzw. wie wir als Gesellschaft gut miteinander leben können, ohne Hackordnung, ohne Menschen zurückzulassen.

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